Warum Bex Burch für ihr Debüt nichts von Virtuosität wissen wollte

05.01.2024
Foto:© Fabian Brennecke (International Anthem)
Auf ihrem Album »There is Only Love and Fear« feiert Bex Burch weibliche Zugänge zu Musik. Wir haben mit der Instrumentenbauerin über Virtuosität, Kontrolle und ›deep listening‹ gesprochen.

An jeder Ecke lauern Glücksversprechen – Werbungen, Reiseberichte, Ratgeber. Alle suggerieren, dass es uns an etwas mangelt. »Werde besser, schlauer, aufregender! Dann erst hast du Freude verdient«, ist das (geheime) Credo aller Marktschreier. Stimmt es? Eine andere Perspektive eröffnet das Solo-Debüt der Klangkünstlerin Bex Burch.

An den Größen des Jazz und des Minimalismus geschult, feiert »There is Only Love and Fear« Unscheinbares. Atemgeräusche, Vogelrufe und Autoschlüssel sind Teil seines ruhigen Reigens wie Trommeln, Bläser und ein selbstgebautes Holz-Xylophon. Es bietet schwer zu kategorisierende Arrangements, die in Zurückhaltung eindrücklich sind. Undogmatisch knüpft Burch an die Altväter Reich, Riley und Young an, aber suspendiert deren zentrales Stilmittel, die Abstraktion. Sie spricht gerne von »messy minimalism«: »Dieser Begriff umschreibt scherzhaft, was ich an Klängen liebe. Er umfasst Leerstellen, Ruhe, Spannung und Entspannung. Es geht darum, Kontrolle abzugeben.« 

»Ich habe mich dabei ertappt zu denken, ich sollte virtuoser spielen. Das ist eine maskuline Vorstellung.«

Bex Burch

Auf Kontrolle verzichten heißt, zuzugestehen, dass Dinge anders sein können. Besonders schwer ist das, wenn Wunschvorstellungen gesellschaftlich verwurzelt sind. Dies weiß Bex Burch: »Ich habe mich dabei ertappt zu denken, ich sollte virtuoser spielen. Das ist eine maskuline Vorstellung.« Denn was wir in Musik suchen, sind oft Qualitäten, die über Musik hinaus für erstrebenswert gelten – männlich kodierte Eigenschaften. Nicht zufällig stammt »Virtuosität« vom lateinischen Wort für »Mann« (»vir«) ab.  

Vor diesem Hintergrund betont Bex Burch, dass ihr Debüt die Manifestation eines weitreichenden Prozesses ist. Anstoß gab eine kompositorische Übung. Über einen Zeitraum von dreimal 90 Tagen schrieb Burch täglich kurze Stücke. »Ich habe immer damit begonnen, mir die Frage zu stellen ›Welche Klänge mag ich heute?‹ Diese Praxis hat fundamental verändert, wie ich zuhöre – genauso wie mein Ich-Erleben.« 

Radikale Akzeptanz

Mit dieser Aufwertung des Hörens löste sich Bex Burch von tradierten Vorstellungen des Musikmachens. »There is Only Love and Fear« ist weder Komposition noch kollektive Improvisation. Es ist das Arrangement von 32 Aufnahme-Sessions, in denen Burch Musiker*innen unterstützte, ihre eigenen Vorlieben zu artikulieren. »Ich habe versucht, nicht zu kontrollieren, was geschah. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Kontrolle und Verantwortung. Die Verantwortung, die ich mir selbst auferlegt habe, war so präsent wie möglich zu sein – darauf zu horchen (›deep listen‹), was erforderlich ist.« 

Diese Herangehensweise beschreibt Burch auch als »feminine Musik«. Es ist der Versuch, Klänge zu entfalten. »Feminine Musik dreht sich um radikale Akzeptanz. Alle Klänge sind willkommen. Lassen wir sie gelten, als das, was sie sind.« Es geht Burch nicht darum, Töne zu isolieren. Das wäre nach wie vor die männliche Vorstellung, kontrollieren zu müssen. Vielmehr will Burch die Eigenheit ihrer Aufnahmen hervorbringen, indem sie in einen Kontext bettet. Die Künstlerin strahlt in die Kamera: »Ich weiß, warum jede Note steht, wo sie steht. Ich weiß, ich habe seinerzeit mein Bestes gegeben. Ich bin unglaublich stolz auf dieses Album.« 

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»There is Only Love and Fear« ist in sich geschlossen und trotzdem das Resultat einer Lebensphase. Es könnte anders klingen. Genau diese Kontingenz feiert Burch: »Musik muss gar nichts leisten. Sie hat keine Sollzustände. Das ist, was sie so wunderbar macht.« Es ist ein Gemeinplatz, dass die besten Dinge im Leben Selbstzweck sind. Burch insistiert darüber hinaus, dass scheinbar Triviales genauso für sich steht wie eine Symphonie Beethovens. Wir müssen nichts erreichen. Alles Gute ist bereits da. Dieses Bewusstsein macht »There is Only Love and Fear« zu einem Geschenk.

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts

Britischer Jazz

Unter dem Themenschwerpunkt »British Jazz« fassen wir Beiträge zur Jazzmusik aus Großbritannien zusammen.

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