Von J Dilla zum Deutschen Jazzpreis: Petter Eldh bleibt in Bewegung

03.06.2024
Foto:© Francis Fuego
Vor vielen Jahren zog Petter Eldh wegen der Impro-Szene nach Berlin. Dort machte er einiges anders und stieß damit nicht nur auf Gegenliebe. Gerade hat er den Deutschen Jazzpreis gewonnen.

Petter Eldh fällt auf. Nicht wegen der Kappe und dem Cargohemd, das er ständig trägt. Der Kontrabass ist schuld. Sobald der Schwede mit seinem Streicherschrank unterwegs ist, schauen ihm die Leute hinterher. Das kommt ziemlich oft vor. Hundertmal steht Eldh im Jahr auf der Bühne. In Porto, Rotterdam, São Paulo oder Berlin, wo er manchmal wohnt, sofern er nicht schon wieder woanders ist: mit seiner Band Koma Saxo; dem Trio Enemy, oder mit Kumpeln wie Otis Sandsjö.

Zuletzt hat der 41-Jährige den Deutschen Jazzpreis gewonnen. In der Begründung steht: Eldh sei »treibende Kraft bei der Entwicklung einer Berlin-Nordischen Jazzachse«. Darüber kann er lachen, weil er weiß, dass es stimmt. Eldh, der mit Freejazzeltern in der Nähe von Göteborg aufwuchs, hat in den vergangenen Jahren »Spuren hinterlassen«. Vor allem in der sogenannten Szene und wegen seines Kontrabasses. Aber auch, weil er Sampler und Synthesizer hortet, um damit »verrückte Dinge« zu machen, wie er sagt.

Dieses Verrückte, das habe ihn schon immer angezogen. Zumindest seit dem Moment, als ihn seine Eltern im kritischen Alter zu Brötzmann schleppten. Danach sei klar gewesen: Rebellion dagegen wird schwierig. Also zog sich Eldh die Hosen unter den Hintern und hörte Hip-Hop, machte Beats – und zog nach Kopenhagen. »Dort habe ich ganz klassisch Kontrabass studiert, die amerikanische Schule aufgesogen, wirklich Jazz gespielt. Bis ich mich festgefahren fühlte und weiterzog. Berlin war wie ein Neustart für mich.«

Distanz zum weißen Mann

Immer wieder sei Eldh in den 2000ern in Berlin gewesen. Um im Ur-HHV-Hinterhof nach Vinyl zu stöbern. Oder einfach nur zum Feiern. 20 Jahre sei das her, kaum zu glauben. Breites Grinsen. Damals sei sie jedenfalls losgegangen, die Liebe zu Berlin und seinen Möglichkeiten. Schließlich habe Eldh erst hier zu Hip-Hop, Sampling und seinen elektronischen Roots zurückgefunden – wenn auch über Umwege, von denen er sich heute distanziert.

»Anfangs bin ich durch die Stadt geirrt und habe all diese kleinen Clubs entdeckt«, so Eldh. »Überall gab es Musik. Ich hab mich einfach dazugestellt und gespielt«. Das Milieu, das Eldh seine »Vergangenheit« nennt, habe aber bald nicht mehr zu ihm gepasst. Zu viel weißer Mann, zu wenig Problembewusstsein für eigene Privilegien ließen ihn den Notausgang wählen.

»Ich glaube nicht, dass die Stadt etwas mit mir gemacht hat.«

Petter Eldh

»Eine aktive Entscheidung, die ich treffen musste«, sagt Eldh. »Sie führte aber dazu, dass ich mich erneut umschauen konnte. Und zu offeneren Leuten stieß.« Die kämen in Berlin von da und dort und überall, nur selten aus Berlin. »Deshalb glaube ich nicht, dass die Stadt etwas mit mir gemacht hat. Es waren die Menschen, die mich verändert haben. Ich habe sie hier gefunden, hätte sie aber auch in London oder Amsterdam kennenlernen können. Einfach weil ich auf der Suche nach ihnen war.«

Dilla? Verrückter Scheiss

Inzwischen hat Eldh auf fast 200 Alben gezupft, für Lucy Railton, Jameszoo oder Alben auf ECM. Er spielt in Gruppen mit den Namen des Gegenwartsjazz: Christian Lillinger, Noah Fürbringer, Lucia Cadotsch. Außerdem treibt Eldh mit seinem schwedischen Kumpel Otis Sandsjö auch seine Productionskills an. Y-Otis spielen auf den relevanten Festivals – man nennt den Output sicherheitshalber »liquid jazz«, damit zwischen Samplingschmäh und Seriosität auch klar wird: Die alten Strukturen, sie gerinnen.

»Damals kannte ich in Berlin keinen einzigen Jazzdrummer, der wie Dilla spielt«, sagt Eldh. »Also haben wir es einfach selbst gemacht und verrückten Scheiß drübergelegt. Die Leute haben es gehasst. Allerdings nur jene, die ohnehin nicht mehr Teil meines Wegs waren.« Alle anderen, die jungen Leute, hätten es hingegen sofort verstanden. »Sie sind sich vollkommen bewusst, was Berlin einmal war. Sie bauen nur nicht mehr darauf auf.«

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Dass Eldh inzwischen viel Freizeit an der Westküste Schwedens verbringt, dürfe man nicht als Flucht aus Berlin deuten: Die Stadt mache nach all den Jahren noch immer Spaß. Sie sei aber auch … Petter Eldh sucht nach den richtigen Worten, überlegt, sagt … »anstrengend«. Jedenfalls sei Berlin keine Konstante. Wer hierher komme, dürfe nicht dastehen und warten, dass etwas passiert. »Man muss sich auf die Suche machen«, so Eldh. Nur so falle man wirklich auf.

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