Kuhzart: Fühle mich direkt als hätte ich eine Virtual Reality Experience mit dem X-Rated Update von Sailor Moon.
Aigner: Wie findet ihr dieses PSA als Intro? Gabs Arca davor schonmal so frontal unambivalent fierce?
Kuhzart: Ne, gabs nicht. »Nonbinary« ist ja schon einfach die Hymne für die komplette woke, queere, super-extrovertierte, tief verunsicherte Instagram-Gemeinde.
Cornils: Ich fange einfach mit einem Bekenntnis an: Arcas Musik als Solo-Produzentin war mir immer strunzegal. Und »KiCk i« fließt mir so um die Ohren, ich habe sie nun circa acht bis zehn Mal gehört, aber es bleibt nix und null hängen – außer, dass Björk zwischendurch »corazón« singt.
Kuhzart: Sagt sie halt echt!
Cornils: Klingt harsch, aber Arcas Main-Gig in finanzieller Hinsicht ist halt der Job als Produzentin – FKA twigs, Kanye, Björk. Und die eigene Musik ist doch eher Versuchsfeld, oder? Und die wird aber bei weitem noch so weit und breit gehört wie die Brotjobmucke. So zumindest mein Eindruck. Es gibt da sicherlich die kleine krasse Fangemeinde, vor allem aber kann sich meiner Auffassung nach die Musikjournaille immer auf eins einigen: Geiles Konzept, brauche ich ja gar nicht mehr anhören!
Aigner: Finde das bis zu diesem Album total richtig, aber hier sind doch endlich auch solo SONGS drauf. Würde ernsthaft behaupten, dass »Machote« und die Tracks mit Sophie und Rosalia voll die Hits sind.
Kuhzart: »Time« klingt wie Grimes zu besten Zeiten und »No Queda Nada« hittet doch auch different.
Aigner: Und »Rip The Slit« klingt wie diese wahnwitzige Shanghai-Club-Avantgarde.
Cornils: Ich weiß auch nicht. Auch das klingt nun brutal, aber ich habe insbesondere bei den sehr Reggaetón-lastigen Tracks das Gefühl, irgendwo im Jahr 2013 auf Soundcloud gelandet zu sein. Heute Abend Janus-Party im Chesters, Lotic legt auf. Arca trug ja schon immer das Versprechen von sehr viel future in sich, aber ich fühle das gar nicht so sehr. Vielleicht ist’s mir einfach zu poppig? Wobei ich es auch nicht unbedingt poppig finde.
Kuhzart: Aber es ist ja eben nicht Soundcloud! Dafür ist das ja schon einfach zu stark, was das SONGWRITING anbelangt. Ich finde eher, dass Arca mit »KiCk i« endgültig geschafft hat, Pop mit so vertracktem Digital-Error-Shit zu vereinen.
Cornils: Ich höre das Songwriting aber nicht wirklich raus und obendrauf gibt’s immer noch das Ableton-Gekreische und -Geknackse, das sich für mich über die letzten fünf Jahre hinweg als ultimativer Cop-Out für alle etabliert hat, die halt fett »Avantgarde« auf ihre Koffeinkickkompositionen draufgepatscht haben wollen.
Aigner: Joaaaaa, Janus ist fair, aber ich finde das schon bisschen sehr 2020 auch, klingt schon auch nach der Weiterentwicklung. Nach SVBKVLT und so. Aber ich hör halt viel von den rhythmischen und genremäßigen Ausgangspunkten, die hier zitiert werden auch echt freiwillig zuhause und find’s dann geil, wenn das halt nicht wie bei Janus oder Arca früher in so Skizzen erschöpft, sondern mal ausformuliert ist. Ich finde es übrigens prima, dass Reggaetón schon so lange als subversive Pose im großen Pop-Biz UND in diesem Deconstructed-Ding überlebt hat. Holt mich immer übel ab.
»Der Rosalia-Track ballert so, ich werde den halt auf jeden Fall 30 Mal pumpen, sorry.« – »Du hast so einen Schaden. Ein Shakti-Kissen haben und diesen Song 30 Mal pumpen wollen.«
Cornils: Ich bin also der Hater in dieser Runde, ja? Obwohl ich Arca nicht hasse, eh klar. Nur: Das Björk-Feature ist halt einfach ein Björk-Song, oder? Also allgemein: Vielleicht hat Alejandra mit »KiCK i« den Brotjob zur Hauptberufung erklärt. So viel Feature war ja noch nie. Ist’s eigentlich doch eher ein Mixtape als ein Album?
Aigner: Der Rosalia-Track ballert so, ich werde den halt auf jeden Fall 30 Mal pumpen, sorry.
Kuhzart: Du hast so einen Schaden. Ein Shakti-Kissen haben und diesen Song 30 Mal pumpen wollen.
Aigner: Glaube, ich kann mich nicht von Club Music in all ihren Albernheiten trennen, weil man dann nie aus der Pubertät rauskommt
Cornils: Albernheiten ist ein spannendes Stichwort, weil ich die hier überhaupt nicht sehe. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass sich Simon Reynolds ein bisschen zu sehr die Hände reiben wird bei der Platte. Mir fehlt da die emotionale Durchschlagskraft, selbst bei »Calor«: Das ist schon schön, und es wird mich ewig umtreiben, wo ich dieses Piano schon mal gehört habe, aber an sich… Uff, wie diese cripsen Knackserklänge das Ding umspielen. Ärgerlich, finde ich. Aber ja Shit, vielleicht bin ich einfach reaktionär und wünsch‘ mir nur den FKA twigs-Hop von damals wieder zurück. Ich meine, jetzt läuft hier »No Queda Nada« an und hach, ja, es packt mich schon ein bisschen. Das ist halt aber auch Oldschool-Arca und klingt, als wäre das eine übrig gebliebene Skizze aus FKA twigs- oder Kelela-Zeiten.
Aigner:: Hmmmm, ich finds unfair, tbh. Klar projiziere ich da auch immer ein bisschen die Hoffnung rein, dass mich Pop nochmal so wegzimmert wie in der Timbaland-Phase und so gut ist das hier nicht. Aber hä, ich finde der Vorwurf ist doch wirklich eher fair für die ersten Alben, ne?
Kuhzart: Ey, »Calor« ist doch zum Beispiel das, was Anthony & The Johnsons mit ihrem kack HudMo-Album hätte machen sollen. Mich hat zwar Vorgänger-Album mehr »berührt«. Vielleicht weil da das Sich-Winden noch so spürbar war, das Sich-Häuten auch. Das hier ist schon echt final form. Freezer ist eh eine gute Assoziation in dem Zusammenhang.
Kuhzart: Für mich wie gesagt nicht Asche, sondern Formvollendung. Gefühlt aber tatsächlich ganz stark auch das Ende dieser Fahnenstange. Der Glitch muss danach endgültig weg. Fände ein Album mit MetroBoomin gut. Oder direkt ein Kollabo-Album mit 21 Savage. Ich finde im harten 808-Minimalismus liegt ihr unausgeschöpftes Potenzial
Aigner: Ey das ist genau das Ding, glaube die wäre insaner Raphit-Lieferant.
Kuhzart: Ich finde es tatsächlich logisch, dass »KiCk i« jetzt die maximal, effektgeile Pose ist. Es ist ja auch einfach ein Album der Selbstvergewisserung. Wenn das mal klar ist, wird da auch wieder Raum in der Musik sein. Und den braucht’s, wenns noch besser werden soll.