»Pfff, das hat Goethe eh nicht so gedacht!«. Wie oft hätte man sich als Schüler bei einer überbordenden Gedichtinterpretation gewünscht, sie mit der Absicht des Autor abgleichen zu können. Auch im Musikjournalismus interpretiert man viel. Bei aktuellen Werken hat man zum Glück die Chance mit den Künstlern zu reden und seine Gedanken mit ihren abzugleichen. Im Gespräch mit Danilo Plessow (aka Motor City Drum Ensemble) und Marcus Worgull, die als Vermont in diesen Tagen ein gemeinsames Album veröffentlichen, hat sich herausgestellt, dass meine Interpretation ihrer Musik und deren Drumherum zwar verständlich, aber auch Fehl am Platze ist. Das Drumherum: Köln. Die Stadt und ihre Geschichte scheinen eine bedeutsame Rolle für das Projekt Vermont eingenommen zu haben. Immerhin entstanden die ersten Aufnahmen hier, in Danilo Plessows ehemaligem Heimstudio. Worgull und Plessow trafen sich, tranken Bier, schalteten die Drum-Machines aus und analoge Synthies ein. »Lose Jam-Sessions«, nennt das der Pressetext zum Album. Herausgekommen sind Soundflächen und Loops, die Krautrock zitieren und damit in einer Kölner Tradition stehen. Immerhin sitzt Jaki Liebzeit von Can bei einem Track am Schlagzeug, auf einem anderen spielt Dominik von Senger Gitarre. Und damit immer noch nicht Köln genug. »Vermont« erscheint obendrein noch auf Kompakt, dem Kölner Techno-Traditionslabel. Da haben wir es doch: Köln und Tradition, darum geht es! Vermont bringen jene Klänge der Stadt am Rhein wieder ans Licht, die viele bereits vergessen zu haben scheinen, schreiben ihr eigenes Kapitel Kölner Musikgeschichte, damit junge Menschen vielleicht das gesamte Buch aufschlagen. »Alles Zufall«, sagt Danilo Plessow, »dass das Album jetzt fast schon eine Message hat, das war uns während wir daran gearbeitet haben nie bewusst.« Und Marcus Worgull fügt hinzu: Es ist einfach eine schöne Geschichte.
Blöde Titel»Da gibt es Leute, die machen Tech-House und wollen dir dann erzählen, dass sie Stockhausen gehört haben und dadurch auf ihre Tracks gekommen sind. Erzähle mir doch keinen Schwachsinn!«
Danilo Plessow
Zufall? Einfach eine schöne Geschichte? So nimmt man einem emsigen Journalisten natürlich den Wind aus den Segeln, wo er doch so zielsicher in Richtung einer Metaebene steuerte. Die beiden wollten also gar nicht den Blick der Menschen für Kölner Musikkultur schärfen. Zum Glück gibt es ein Beiboot. Rauf auf die See damit, Motor an und Vollgas zur nächsten Metaebene. Heimkommen und Flüchten, das Bekannte gegen das Unbekannte. Dann ging es eben darum. Marcus Worgull und Danilo Plessow sind beide viel als DJs unterwegs; das ständige Reisen trieb Plessow sogar in einen Burn-Out. Er bekämpfte die Krankheit, in dem er zu Hause blieb und seinen Tourkalender entschlackte. Die Wohltat der Heimat also, die trotzdem den Ruf der Ferne nicht endgültig ausblenden kann. »Rückzug« heißt ein Track auf dem Album. Andere aber eben »Yaiza«, »Sharav« und »Droixhe«. Das klingt doch exotisch, das ist doch der genaue Gegenpol zum Rückzug. Vermutlich habe ich mich, angetan von meiner eigenen Interpretation, etwas weit aus dem Sessel gelehnt, gestikuliert, in der Erwartung, dass ich in meinen Gesprächspartnern ein Feuer entfache. Marcus Worgull findet meine These allerdings so wenig beeindruckend wie ich den Staatsvogel von Vermont »Du brauchst halt irgendwelche blöden Titel«. Ab diesem Satz bin ich Metaebenen-mäßig schiffsbrüchig. Die beiden erklären mir, dass sie die Songtitel (und auch den Bandnamen) nur nach deren Wohlklang ausgesucht haben. Und danach, ob man für die Titel nicht bereits tausende Suchergebnisse auf Discogs erhält. Danilo Plessow kennt kein Erbarmen, nimmt mir auch das letzte Treibholz, das mich in Richtung Metaebene über Wasser hielt: »Ich finde es wird heute in der Musik auch allgemein zu viel hineininterpretiert. Da gibt es Leute, die machen Tech-House und wollen dir dann erzählen, dass sie Karlheinz Stockhausen gehört haben und dadurch auf ihre Tracks gekommen sind. Und ich denke mir dann so, ›Hey, erzähle mir doch keinen Schwachsinn!‹ Da geht es nur um Image«.
»Ja« sagen zu den Maschinen
Wie Recht Danilo Plessow damit hat und mir ja eigentlich aus der Seele spricht. Wir lehnen uns alle wieder in unsere Sessel zurück. Besser gesagt, ich lehne mich zurück, Marcus Worgull und Danilo Plessow lehnten ja schon. Und eigentlich ist damit die Erklärung für das Album »Vermont« direkt vor meinen Augen, ganz offensichtlich. Zurücklehnen! Loslassen, fallenlassen. Das haben die beiden sich für dieses Album gegönnt. »Eigentlich haben wir nur herumgeklimpert, haben das aufgenommen, im Loop laufen lassen und dann haben wir dazu auf den anderen Synthies herumgespielt, bis wieder einer gesagt hat, ›Ja, das ist gut, das passt!‹. Das Entscheidende ist aber vielleicht, dass die Maschinen sehr für sich sprechen. Wir haben einfach nur ›ja‹ gesagt, wenn sich etwas angenehm angefühlt hat«, erklärt Marcus Worgull. Man tut den beiden also keinen Gefallen, wenn man sie im Nachhinein zwingt, sich in ihre Musik zu verkopfen. »Es hat selten so viel Spaß gemacht, Musik zu machen. Es war wie eine homöopathische Kur«, sagt Marcus Worgull und lacht, »Meditations-Musik«, ergänzt Danilo Plessow und lacht auch. Und so ist es wie damals in der Schule: Die Interpretation mag für die Katze gewesen sein, aber die eigentliche Geschichte ist halt doch einfach eine schöne.