Tzusing über Wut als erste Erinnerung und die Kraft des Dagegenseins

01.09.2023
Foto:© Zeng Wu
Tzusing rebelliert gegen alle Regeln der Krachs – mit seinem Gefahrengroove aus Techno, EBM und Industrial wurde der in Malaysia geborene Producer und DJ bekannt. Zuletzt erschien sein zweites Album auf PAN. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.

Tzusings erstes Album erschien auf L.I.E.S., das zweite vor Kurzem auf PAN Records – beide Labels sind nicht gerade als Institutionen der künstlerischen Konvention bekannt. Für die hat Tzusing ohnehin nur ein verkniffenes Lächeln übrig. »Unz, unz, unz« mag manchmal ganz nett sein. Dazwischen quetscht er Footwork und Italo Disco, manchmal auch was ganz anderes. Eine Mischung, mit der er Dancefloors auf der ganzen Welt leergespielt, Promoter gegen sich aufgebracht und den Besitzer von Shanghais berühmtesten Club Shelter überzeugt hat.

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Seit der Corona-Pandemie lebt Tzusing in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan. Ein Ort, den er Heimat nennt. Als »wütendes Kind«, das mit Techno aus der Brüder-CD-Sammlung gegen die asiatische Erziehung aufmuckte, kam Tzusing aber früh rum. Seine Eltern schickten ihn zur Läuterung in die USA, dort fand er Platten von Aphex Twin, bald spielte er in Chicago seinen ersten DJ-Gig. Zurück in China eröffnete Tzusing ein Fahrradgeschäft und baute eine sogenannte Szene im Shelter auf – ein Club, der später ALL hieß und zu einem der wichtigsten in Asien werden sollte.

Seit einigen Jahren tritt Tzusing auch in Europa auf, auf Festivals und in Clubs, die seinen Sound verstehen, wie er sagt. Dass das nicht immer einfach ist, gibt er gerne zu. Anders zu sein, mit den Hörgewohnheiten zu spielen, sie wie auf seinem Album »Green Hat« zu rupfen: Das macht Tzusing Spaß, und ihn zu einem der spannendsten Acts elektronischer Musik der Gegenwart. Warum er Thai-Boxing mit Therapiesitzungen vergleicht, was das Shelter mit den Sex Pistols zu tun hatte und welche Geschichte er mit Bill Kouligas von PAN teilt, erklärt Tzusing im Interview.

Du hast mal gesagt, dass du ein ängstlicher Mensch bist, aber wenn du ängstliche Musik hörst, fühlst du dich wohl. Wieso?
Es ist seltsam, aber es stimmt. Wenn ich ängstliche Musik höre, fühle ich mich gut.  

Woher kommt diese Angst?
Es hat damit zu tun, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, die Wert auf eine strikte Erziehung gelegt hat. Dafür muss man wissen: Chinesen erwarten viel von ihren Kindern. Bestimmte Dinge, die im Westen als Missbrauch empfunden werden, sind in Asien normal. In diesem Umfeld aufzuwachsen, hat mich stark geprägt.

Ist das deine erste Erinnerung, die du hast: die strenge Erziehung?
Meine erste Erinnerung ist Wut. Ich war ein wütendes Kind. Das hat sich nie geändert. Es fällt mir also leicht, ängstliche Musik zu machen, weil ich mich dieser Quelle der Wut und des Hasses so nahe fühle. Deshalb ist es immer eine Katharsis, diese Musik zu machen.

Was kommt dir in den Sinn, wenn du an deine frühe Kindheit denkst?
Es gibt zwei Erinnerungen, die mir im Kopf bleiben. Wie ich auf unserem Küchentisch herumgesprungen bin und mir die Seele aus dem Leib gebrüllt habe. Und Michael Jackson zu sehen. Als ich drei Jahre alt war, hat mich das Musikvideo zu »Beat It« umgehauen.

»Man liest ja immer nur über die Musikgeschichte und Szenen so weiter … Aber ich habe erlebt, wie sich eine Szene in Echtzeit aufbaut.«

Tzusing

Du hast ADHS, hab ich in einem Interview gelesen….
Ich habe einen Song mit dem Titel »O.D.D.« Das ist die Abkürzung für Oppositional Defiant Disorder. Ich finde das wirklich lustig. 

Bedeutet das nicht, dass man ständig Regeln in Frage stellt und so?
Wahrscheinlich habe ich das. Aber ich habe es nie untersuchen lassen. Taiwan und Asien im Allgemeinen haben es nicht so mit Psychologen.

Nein?
Es kommt langsam in Taiwan und China an. Aber wenn man jemandem in Taiwan sagt, er soll zu einem Psychologen gehen, ist die Person beleidigt. Die Leute glauben immer noch, man sei verrückt, wenn man zu einem Psychologen geht.

Deine Musik wird dann zu einer… 
…Therapiesitzung, ja! Aber was weiß ich – ich hab ja nie eine gemacht.

Du hattest sowohl in China als auch in Taiwan ein Studio. Wann hast du beschlossen, Shanghai zu verlassen?
Letztes Jahr. China war während der Pandemie total abgeschottet vom Rest der Welt. Zu diesem Zeitpunkt gab es außerdem keine Aussicht darauf, dass sich das bald ändern würde. Ich musste also umziehen, weil ich wieder on the road gehen wollte. Das war der Hauptgrund: um die Freiheit zu haben, wieder Auftritte im Ausland zu spielen.

Wie war es, Shanghai hinter dir zu lassen?
Wie das Ende eines Kapitels. Ein guter Freund zog nach Japan. Der Besitzer des Clubs, in dem ich früher ständig auflegte, ging zurück nach England, also …

Der Club, den du erwähnst, war Shelter, richtig?
Früher hieß er Shelter, irgendwann hat er geschlossen und dann unter dem Namen ALL neu eröffnet. Gaz Williams, der Eigentümer, hat den Club aber während der Pandemie verkauft und ist zurück nach England gezogen. Die Sache ist: Man liest ja immer nur über die Musikgeschichte und Szenen so weiter … Aber ich habe erlebt, wie sich eine Szene in Echtzeit aufbaut. Die Leute haben sich am Anfang nicht für diese Kultur interessiert, aber wir haben daran geglaubt. Plötzlich kam die Aufmerksamkeit. Jüngere Leute interessierten sich für das, was wir taten. Parallel dazu gab es eine Modeszene in Shanghai. Und viele Modeleute hingen im Club ab. Natürlich war es nicht so bedeutend wie die Sex Pistols in London. Aber eines Tages werde ich darüber lesen und mir denken …

Du warst von Anfang an dabei.
Ja, ich bin 2011 nach Shanghai und gezogen und habe bald im Shelter gespielt. Wir haben dort eine Szene geprägt. Plötzlich kamen nicht mehr nur Expats, die das, was in Europa passiert ist, nach Asien gebracht haben. Wir haben eine eigene Identität entwickelt.

Was war so besonders an ALL?
Darüber wird nie gesprochen. Es hat viel mit meinem guten Freund Kim Laughton zu tun, er ist ein bildender Künstler und hat den Club entworfen. Als Gaz das ALL eröffnete, machte Kim mit seinem Design sehr deutlich, dass die Musikpolitik sehr progressiv zu sein hat. Wir sollten nicht diese Legacy-Nächte haben wie … Es ist so gemein, das zu sagen, aber … Es war klar, dass der Club nicht für klassischen House und Techno ist. Das Booking sollte den avantgardistischen Scheiß widerspiegeln, der in der Welt passiert. Und das haben wir auch geschafft. Es war auch etwas anderes als in einem Club wie dem Berghain mit seiner strengen Türpolitik. Anstatt eine arschlochartige Türpolitik zu haben, macht man den Club einfach so cool, dass nur Leute kommen, die wirklich dort sein wollen.

»Wenn du aber weißt, was du tust, und die Tanzfläche trotzdem leer ist, ist das nicht deine Schuld. Die Leute haben dann einfach keinen Geschmack.«

Tzusing

Hört sich nach einer echten Offenheit für neue Formen der elektronischen Musik an.
Ja, als ich Anfang der 2010er Jahre das erste Mal im Shelter aufgelegt habe, habe ich den Dancefloor komplett leergespielt. Ich habe ein Techno-Set gespielt, aber auch Dead Prez. Irgendwann kam Gaz zu mir rüber und sagte: »Mach dir keine Sorgen, scheiß auf die!« Welcher Club-Boss tut so etwas? Er gab mir Rückendeckung, weil: Wenn du nicht weißt, was du tust, und du räumst die Tanzfläche, ist das scheiße. Wenn du aber weißt, was du tust, und die Tanzfläche trotzdem leer ist, ist das nicht deine Schuld. Die Leute haben dann einfach keinen Geschmack. 

Du bist wegen des Shanghaier Clubs Shelter bei L.I.E.S. gelandet, richtig?
Durch Douglas Lee, ein koreanisch-amerikanischer Produzenten, der sich An-i nennt. Er hat einige Platten auf einem Label namens Minimal Wave veröffentlicht, die sind der Wahnsinn. Jedenfalls haben wir vor ein paar Jahren in Shanghai abgehangen. Ich habe ihm danach ein paar Songs geschickt. Er fand sie gut. Also schickte er sie an Ron. Ich wusste nicht, dass er Ron Morelli kannte. Aber sie sind alte Freunde. 

Wie hast du Bill Kouligas von PAN kennengelernt?
Ich habe auf dem Unsound Festival gespielt und das getan, was ich immer tue – ich habe Techno aufgelegt und nach der Hälfte der Zeit habe ich mit Footwork angefangen. Der Dancefloor war wenig begeistert. Ich verlor die Leute. Danach fühlte ich mich beschissen. Aber Bill kam auf mich zu und sagte: Das war unglaublich! Er war einfach super unterstützend. Zu dieser Zeit haben mich ja viele Promoter verarscht.

Für das Leerspielen der Dancefloors?
Ich habe viele Floors leergespielt, ja. Als ich 2015 anfing, durch Europa zu touren, habe ich Techno, EBM, Italo Disco, vielleicht etwas New Beat und House gespielt. Es war wirklich vielfältig, aber dennoch kohärenter als das, was ich jetzt mache. Ein Techno-Track geht so: Unz, Unz, Unz. Aber ein Footwork-Track folgt anderen Regeln. 

Das hast du auch mal gesagt: Du willst nicht dazugehören. 
Ist das nicht cooler? Man versucht als Künstler doch genau das: so anders wie möglich zu sein.

Ist das nicht ein ewiger Kampf, sich dagegenzustemmen?
Nein, das macht Spaß! Man entwickelt sich nicht mehr weiter und verändert sich auch nicht mehr, wenn man eingeordnet wird. Ich will ja keine Scheiße über jemanden erzählen, aber: Produzenten, die immer noch das gleiche Zeug machen wie vor 20 Jahren, machen mir Angst. 

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Wie oft kommt es vor, dass du deswegen den Club verlässt?
In Europa gehe ich nicht wirklich in Clubs. Außerdem ist mein Agent wirklich gut darin, mich für interessante Festivals und Clubs zu buchen. Er würde mich nicht auf ein Tech-House-Festival buchen. Damit muss ich mich also nicht auseinandersetzen. Aber: In Taiwan, wenn ich mit meinen Freunden ausgehe, finde ich die Musik in den Clubs immer langweilig. Die ganze Zeit.

Tatsächlich?
Ich bin älter und abgestumpft, deshalb denke ich: Es ist wirklich schwer, ein guter DJ zu sein. Man muss eine Menge Musik sammeln. Und man muss wissen, wie man sie gut zusammenbringt. Dass beides zusammenkommt, ist extrem selten. Yousuke Yukimatsu ist einer meiner Lieblings-DJs. Er gräbt wie ein Verrückter. Und er weiß wie kein anderer, wie man Musik mixt. 

Hast du Angst, irgendwann zu denen zu gehören, die immer das Gleiche machen?
Wenn ich keine neuen Ideen mehr habe, ist meine Zeit abgelaufen. Es ist einfach uninspirierend, das zu tun, was schon so oft gemacht worden ist. Das ist, als würde man jemandem bei der Arbeit im Großraumbüro zusehen. Musik darf kein Bürojob von 9 bis 5 Uhr sein. Musik soll inspirierend sein und etwas Neues hervorbringen. Solange ich das Gefühl habe, dass ich das schaffe, bleibe ich dabei.