Wohnzimmer Familie Öz. Irgendwo in Berlin-Mitte im Winter 2008/2009: Marcin Öz, Basser und De-Facto-Manager von The Whitest Boy Alive hat Keyboarder Daniel Nentwig und Drummer Maschat gerade zum Alexanderplatz geschickt, um Passfotos zu machen. Die braucht man, weil es in wenigen Tagen nach Indonesien und Australien gehen soll, wo man ein paar Gigs spielen, gerne aber auch ein bisschen Surfen möchte. Marcin, als DJ Highfish früher auch Resident im Berliner WMF, nimmt als weitere Rolle ferner die des Label-Managers von Bubbles Records ein – einer kleinen Firma, die er gemeinsam mit Sänger Erlend Oye gründete und deren Tagesgeschäft er weitgehend alleine abwickelt. Im Vertrieb von Groove Attack erschien hier Ende Februar das neue Whitest Boy Alive-Album »Rules« auf Vinyl und CD. Eine Mischung aus Indie-Pop, Disco und House. Live gespielt von einer vier-köpfigen Band aus Berlin und dem norwegischen Bergen.
Wie ist »Rules« entstanden?
Marcin Öz: Die meisten Sachen haben wir in Jams während unserer Touren in Nord- und Zentraleuropa entwickelt, die wir nach dem Release unseres Debüts »Dreams« hatten. Aufgenommen haben wir dann in Mexiko in einem Studio am Strand, das wir mitgebaut haben. Anschließend haben wir uns in Berlin, im alten Funkhaus der DDR in Köpenick eingemietet, wo ein paar berühmte Studios, z.B. das Planet Rock, sitzen. Dort haben wir auf unserem Equipment alles noch mal eingespielt. Auf dem Album sind nun aber zu 90 Prozent Aufnahmen aus Mexiko zu hören. Ich weiß gar nicht, ob sie wirklich besser sind. Sie scheinen aber mehr Persönlichkeit, mehr Vibe zu haben. In Berlin haben wir versucht, etwas zu wiederholen.
Ihr habt ein Studio in Mexiko »mitgebaut«?
Ja – ein Freund aus Amerika hatte die Idee, in der Garage des Hauses seiner Mutter in Mexiko, ein Studio zu bauen. Dabei haben wir ihn unterstützt. Der Deal war, dass er die Baumaßnahmen durchführt und wir das Studio mit Equipment ausstatten. Sein Vater ist ein professioneller Studiobauer – er hat seinem Vater schon als Kind beim Studiobau in Kalifornien geholfen. Die Idee war, irgendwo weit weg von allen Ablenkungen zu sein – a remote place! Gutes Wetter, konstant zweieinhalb Monate. Wir sollten dort alle entwurzelt sein. Niemand sollte irgendwelche anderen Dinge zu erledigen haben. Da die Handygespräche fünf Euro pro Minute gekostet haben, war auch das keine Gefahr.
Wie sah euer Beitrag konkret aus?
Wir haben einen Computer mitgebracht und ein Interface. Vor Ort haben wir eine analoge Konsole und die komplette Mikrophonierung und Verkabelung besorgt. Außerdem haben wir ein Schlagzeug und ein neues Rhodes-Piano aus den USA importiert. Wir hatten dort dann Ein-zu-Eins dasselbe Drumset stehen, das wir schon auf dem ersten Album benutzt haben. Nun, zuerst stand es ein paar Wochen lang beim Zoll. – Jetzt ist das Studio einsatzbereit. Unser Freund vermietet es und nun machen da andere Leute Musik.
Wie verlief der Tag in Mexiko?
Nach dem gemeinsamen Frühstück gab es meistens Sport, also Schwimmen und Surfen. Wenn es dann richtig heiß wurde, sind wir ins Studio und haben aufgenommen. Dann Mittagessen, anschließend wieder ins Studio bis zum Sonnenuntergang. Dann noch mal Surfen, dann Abendessen und schließlich Musik bis spät in die Nacht. Die ersten sechs Wochen haben wir allerdings nur gebaut und ein bisschen geprobt.
Ist es nicht irgendwie seltsam, Songs, die ihr hier geschrieben habt, in Mexiko aufzunehmen?
Das war die große Frage – können wir dort Musik aufnehmen, die im kalten, grauen Europa auf der Straße entstanden ist? Ich denke aber, wir haben es geschafft. Man hört nicht wirklich, dass die Platte in Mexiko aufgenommen wurde. Außer vielleicht bei »Keep A Secret«. Das ist aber auch das einzige Stück, das überhaupt erst in Mexiko entstanden ist. Lustigerweise haben wir es vor Ort allerdings nicht geschafft, einen einzigen Take davon zu einzuspielen, mit dem wir hundertprozentig zufrieden waren. Der Take, der nun auf die Platte kommt, stammt aus der Nalepastraße in Berlin-Köpenick. Es ist abgefahren, dass wir die Stücke aus Europa mit nach Mexiko genommen und dort aufgenommen haben und das einzige Stück, das dort entstanden ist, nun in Berlin aufgenommen wurde. Die »Keep A Secret«-Version aus Mexiko wird übrigens exklusiv in Japan veröffentlicht.
Wie erklärst du dir den erstaunlichen Erfolg, den ihr mit »Dreams« hattet?
In erster Linie glaube ich, dass es gute Musik ist. Natürlich hatten wir aber auch Glück. Ein Hauptgrund dürfte gewesen sein, dass die Platte auf sympathische Art zum Selbstläufer wurde. Dadurch, dass wir kaum Promo und keine Marketingzüge unternommen haben, war das anfangs ja ein Insider-Tipp. Die Leute haben die Platte für sich selbst entdeckt und dadurch bekam sie einen ganz anderen Wert. Viele scheinen eine tiefe persönliche Beziehung zu der Musik aufgebaut zu haben und dann nahm die Mund-zu-Mund-Propaganda ihren Lauf.
Ihr wart ja auch außerhalb klassischer Tonträgerverkäufe erfolgreich, v.a. im sog. »Synch«-Bereich…
Wir waren davon auch überrascht. Insbesondere von den vielen Anfragen von Sportlern – Wakeboarder, Snowboarder, Surfer, Skater. Alle fahren offenbar gerne zu unserer Musik und viele von denen wollten sie für ihr Video benutzen. So haben wir ein paar Songs für Jereme Rogers‘ DVD »Neighbourhood« lizenziert. Auf das Geld warten wir bis heute. Wahrscheinlich hat die Finanzkrise bei der Produktion schon etwas früher eingesetzt… Es gab aber auch Leute die bezahlt haben, wie abc-Networks, die u.a. »Done With You« für »Grey‘s Anatomy« benutzten. Auf jeden Fall vereinnahmen die Leute unsere Musik gerne für sich. Es gibt ja auch mehrere Videos zu unseren Songs, die irgendwer einfach gemacht hat. Z.B. dieses großartige Video von diesem Typen, der sich bei »Burning« beim Tanzen gefilmt hat. Das hat ein paar Hunderttausend Views auf Youtube. Viele Leute denken, das sei das offizielle »Burning«-Video, obwohl wir damit überhaupt nichts zu tun haben.
Was hat es mit dem Titel des neuen Albums auf sich? Es findet sich darauf ja kein Song, der auch »Rules« heißt…
Das muss jeder für sich selbst rausfinden. Wir haben uns jedenfalls selbst einige Regeln gegeben. Eine davon war, dass alle Aufnahmen zu viert live entstehen müssen. Jede Aufnahme auf dem Album ist ein Live-Take. Es kommt auch nichts aufs Album, was wir nicht genauso auch live spielen können: keine zweite Gitarre, keine Effekte usw. Man hört das auch. Das Album ist eben nicht perfekt. Das Ganze schwimmt ein bisschen. Maschat hat noch nicht mal auf Klick gespielt, obwohl das ja normalerweise das Mindeste wäre. Wir waren zusammen aber viel tighter, wenn wir ohne Klick gespielt haben.
Das macht die Produktion aber doch sicher unheimlich aufwendig?
Na klar. Wir haben gesagt: Wir spielen so lange, bis es sitzt und wir nehmen so lange auf, bis wir zufrieden sind. Wir haben rund 300 Takes der Songs, die auf dem Album sind – das sind in etwa 400 Gigabyte an Musik. Wir hatten die Files dann doppelt. Erlend hatte sie mit in Norwegen, Daniel und ich hatten sie hier in Berlin. Wir haben dann Listening-Sessions gemacht und versucht, Dinge zu hören, die besonders sind. Dann haben wir mit Erlend gesprochen und rausgefunden, ob er das auch so sieht. Das hat natürlich ewig gedauert. Das ging ein Jahr hin und her.