The Notwist sind das Aushängeschild der deutschen Indieszene und wollen es überhaupt nicht sein. Aus der Hardcore-Szene der bayrischen Pampa heraus haben sie sich der steten Weiterentwicklung verschrieben, bis ihnen 2002 mit dem minimalistischen »Neon Golden« der internationale Durchbruch gelang. Seitdem wurden die Abstände zwischen ihren regulären Albumveröffentlichungen immer länger. Die Zeit nutzten die Bandmitglieder für ihre unzähligen weiteren musikalischen Projekte, vom Blasmusik-Ensemble Die Hochzeitskapelle über das Polit-Musikprojekt Fehler Kuti hin zu internationalen Supergroups wie zuletzt Spirit Fest Dazu kam mit dem Alien Disko Festival in den letzten Jahren ein eigenes Indoor-Festival in München. Bei The Notwist ersetzt inzwischen mit Cico Beck ein ausgebildeter Schlagwerker den Elektronik-Fachmann Martin Gretschmann. Der hat sich 2014 nach dem letzten Album »Close To The Glass« endgültig Richtung Berlin verabschiedet, um sich ganz seinem Projekt Acid Pauli zu widmen. Dass das neue Album »Vertigo Days« den Notwist-Sound in eine dynamischere und organischere Richtung schiebt, hat sicher viel mit Beck zu tun, der jetzt mit den Brüdern Markus und Micha Acher den Kern der Band bildet. Es hat aber auch mit Gastmusiker*innen wie Juana Molina, Saya Ueno und Ben LaMar Gay zu tun, die das Album so universal und meilenweit entfernt von deutschem Indie klingen lassen wie keine Notwist-Platte zuvor.
Eure internationalen Kollaborationen haben sich bisher auf viele Nebenprojekte verteilt. Warum kam es dazu jetzt auf einem Notwist-Album?
Markus Acher: Wir wollten auch mal bei The Notwist hörbar machen, dass sich unsere Musik aus ganz vielen verschiedenen Inspirationen und Einflüssen zusammensetzt. Mit dem Alien Disko Festival hat es sich ergeben, dass wir Bands, die wir toll finden, nach München einladen konnten. Das war noch ein Schritt weiter auf dem Weg zur konkreten Zusammenarbeit. Wir mögen es eh nicht so gerne, verortbar und als deutsche Band erkennbar zu sein. Wir finden es eigentlich ganz schön, wenn sich alles auflöst. Und nach über dreißig Jahren scheinen bestimmte Sachen unumstößlich zu sein in so einer Band. Dann macht es Spaß, das alles so ein bisschen auseinanderzureißen und zu hinterfragen: Warum muss immer ich singen? Warum muss es auf Englisch sein? So ähnlich haben wir teilweise davor schon gearbeitet, aber jetzt war das ganz bewusst.
Wäre es in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit gewesen, auf Deutsch zu singen?
Markus Acher: Nein, das fände ich im Moment zumindest nicht passend. Julian Warner von Fehler Kuti zum Beispiel hat eine sehr tolle Art, mit deutschem Text umzugehen. Ich dagegen brauche eine Übersetzung. Es ist auch eine Frage des Klangs: Ich kann es mir irgendwie nicht auf Deutsch vorstellen.
Ihr sagt, ihr wolltet mit »Vertigo Days« die Idee der nationalen Identität verwischen. Ähnliche politische Ansprüche finden sich ja auch im schon angesprochenen Projekt Fehler Kuti. Seit wann spielt das Politische bei euch eine Rolle?
Markus Acher: Das war auf eine Art schon immer da. Als wir zu Hardcore-Zeiten angefangen haben war das so dermaßen präsent, da hieß es bei den ganzen Bands immer: Dieses Lied ist gegen die Polizei und das nächste gegen jenes. Da war es fast schon politischer zu sagen: Wir machen Liebeslieder. Bei uns war das Politische nie explizit, aber unsere Art zu arbeiten und mit unserer Umgebung umzugehen kommt natürlich aus dieser Zeit. Julian von Fehler Kuti macht das nochmal auf eine sehr viel bewusstere und reflektiertere Art. Aber uns treiben diese Themen auch um. Es geht ja immer quasi um Love and Politics. Das eine steckt im andern und bestimmt mehr oder weniger alles.
»Wir mögen es eh nicht so gerne, verortbar und als deutsche Band erkennbar zu sein. Wir finden es eigentlich ganz schön, wenn sich alles auflöst.«
Markus Acher
Obwohl ihr euch nicht verorten lassen wollt, seid ihr doch gleichzeitig stark in Bayern und speziell in Weilheim verwurzelt und engagiert. Inwiefern kultiviert ihr dann vielleicht doch eine Art von regionaler Identität?
Markus Acher: Am Anfang will man eigentlich nur raus. Es ist alles beengt und limitierend. So war das bei The Notwist: Man träumt sich weg, bricht mit der Musik aus. Und irgendwann hatten wir es auch geschafft, woanders zu touren und mit anderen Leuten zu tun zu haben. Dann ging es darum, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Dieses nationale Denken im Musikbusiness finde ich total schrecklich: Als »wichtige deutsche Band« im Kontext der deutschen Musikgeschichte zu gelten und so was. Deshalb war es gut, sich in sowas wie eine internationale Underground-Indie-Szene einzuordnen. Wo man sich überall bedient und seine eigenen Sachen daraus zusammenflickt. Gleichzeitig war es auch ganz toll, im Kontext des Alien Disko Festivals mit Leuten wie Ben LaMar Gay durch München zu gehen und sich Konzerte von unseren Freunden von den Labels Gut Feeling oder Echokammer anzuschauen. Die sagen dann: »Wahnsinn, was für eine tolle Szene in München!« Das hat uns nochmal bewusst gemacht, was es hier gibt. Das Rausgehen ist also ein total wichtiger Prozess um wieder anders auf das hier zu sehen. Dass COVID-19 uns jetzt zwingt immer nur hier zu sitzen, finde ich mit das schlimmste. Man kann es hier gut aushalten, wenn man weiß, dass man weg kann.
Wie kam es zu dieser Japan-Connection und zur Zusammenarbeit mit Saya Ueno von Tenniscoats?
Markus Acher: Ich habe Tenniscoats und die ganze Szene drumherum entdeckt, als wir mit Lali Puna mal in Japan waren. Beim nächsten Besuch habe ich sie dann persönlich kennengelernt. Sie haben sofort gefragt, ob wir was zusammen machen. Beim Alien Disko Festival wollte ich die Chance nutzen und sie einladen. Wir hatten es so arrangiert, dass sie zwei Wochen vorher kommen und mit uns zusammen im Studio aufnehmen. Obwohl wir uns kaum kannten, hat das super funktioniert. Sie haben sich dann unsere Blasmusik-Band Die Hochzeitskapelle angeschaut und noch ein paar andere Blaskapellen, die aus ehemaligen Indie- und Punk-Bands hervorgingen. Dann haben sie in Tokio auch eine Blaskapelle gegründet und wir haben uns gegenseitig besucht. Obwohl es sprachlich schwierig ist, ist da eine musikalische Verbindung entstanden, die auf eine Art viel enger ist als mit vielen Anderen.
Cico, du kamst für Martin Gretschmann in die Band, der den Sound von The Notwist lange Zeit maßgeblich geprägt hat. Hast du da einen gewissen Druck verspürt?
Cico Beck: Am Anfang sollte ich Martin bei einer Tour ersetzen, daraus wurde dann ein fließender Übergang. Am Anfang habe ich schon Druck verspürt. Aber das ist ja jetzt schon sechs Jahre her und inzwischen sind wir schon zusammengewachsen.
Bedeutet der Generationenunterschied, der damit in der Band besteht, für euch etwas?
Cico Beck: Ich glaube, wir sind uns in sehr vielen Dingen einig, musikalisch und inhaltlich. Es gibt überhaupt keine großen Differenzen. Für mich persönlich ist es eine große Bereicherung, mit den beiden Musik zu machen, weil sie natürlich eine viel längere musikalische Vergangenheit haben. Die Band gab es ja schon, da war ich noch im Kindergarten, das ist ja eine ganz andere…
Micha Acher: Echt?
Cico Beck: Ja.
Micha Acher: Das wusste ich ja gar nicht. Wie alt bist du denn?
Cico Beck: Ich bin ’85 geboren. Und ihr habt ’89 angefangen, oder? Da war ich halt wirklich noch im Kindergarten.
Markus Acher: Tatsächlich fällt einem das gar nicht mehr auf, das war mir jedenfalls überhaupt nicht bewusst.
The Notwist ist in Weilheim verwurzelt und international vernetzt, ein Kern von zwei Brüdern und eine riesige Connection von Musikern. Was ist für euch das Beständige an der Band?
Markus Acher: Es ist immer ein Zurückkommen, wenn man The Notwist macht. Einerseits gibt es viele eingefahrene Routinen. Andererseits gibt es die Möglichkeit, bestimmte Sachen in Songs einzubringen, die man bei anderen Bands eher instrumental oder viel experimenteller ausprobiert. Bei The Notwist geht es im Kern um Songs. Aus sehr experimentellen Elementen und komplexen Aufnahmeprozessen kommt am Ende ein Song dabei heraus. Das war immer da und bleibt, egal wie es dann klingt.