Was verbindet die grundverschiedenen Musiker*innen Sophie, PeterLicht, Lordi und Burial? Sie schafften es alle vergleichsweise lange anonym zu bleiben. Wer heute auf dem Tableau auftaucht, wird in Zeiten von Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter und Tik Tok erhebliche Schwierigkeiten mit der Wahrung der Anonymität haben.
Nun brachte das neue, schwedische Label Piano Piano dennoch letztes Jahr ein Album raus, das mehr Fragen als Antworten aufwarf: Wer ist Sven Wunder? Warum vermag dieser Sven Wunder scheinbar spielerisch Anatolian Rock und Funk mit (west-)europäischer Jazz-Tradition zu kombinieren als hätte es da nie Kontaktschwierigkeiten gegeben? Und warum hatten so viele Zyniker erwartet, dass der Hype um levantinische Musik schon lange vergangen sei?
Um dies vorweg zu schicken: Wir können hier keine dieser Fragen beantworten. Denn auch ein Jahr nachdem das Debüt »Doğu Çiçekleri« (türkisch: ›Östliche Blumen‹) durch die Decke ging, sich die erste Edition wie geschnitten Brot verkaufte und auf notorisch hype-lastigen Plattformen die Weiterverkaufserlöse schnell die 100 EUR-Marke durchbrachen, wissen wir wenig über… über wen eigentlich?
Bekannt ist der Name: Sven Wunder. Ob es sich dabei um eine Person oder eine Band handelt, ist hingegen weiter unklar. Selbst das Label übt sich in erratischer Nomenklatur. Hier schreibt man mal von »ihm«, dann explizit von einer Band. Darüber hinaus gibt es allein zwei Bilder eines Mannes mit rotem Haarkranz und fein getrimmten Bartwuchs gleicher Pigmentierung, die mit dem Namen Sven Wunder verschränkt sind. Interviews? Fehlanzeige! Auch auf unsere Anfrage nicht. Es klingt wie ein Klischee, doch hier möchte man anscheinend die Musik sprechen lassen.
Ob es sich dabei um eine Person oder eine Band handelt, ist unklar. Selbst das Label übt sich in erratischer Nomenklatur.
Doch auch hier ergibt sich gleich die nächste Problemstellung: Auf dem zweiten Album, das dieser Tage unter dem Namen »Wabi Sabi« erscheint, ergibt sich ein anderes Klangbild als noch beim Vorgänger. Während »Doğu Çiçekleri« eben durch gepflegtes Saz-Spiel und türkisch-anatolische Sounds überzeugte, findet man nun die weite Welt des japanischen Volkliedes, des des Min’yō, eröffnet. Jedoch gibt es bei aller Unterschiede auch Konstanten, hier in Form der »Nebendarsteller«: Moog-Synthesizer, Wurlitzer-Piano, E-Bass und »funky« Drums mit einer Vorliebe zum Break. Diese wackeren Begleiter des kulturtypischen Instrumentariums – besonders zu erwähnen wäre etwa die chinesische Zither Guzheng – erzeugen trotz aller Unterschiede einen vertrauten Sound. Dieser speist sich vor allen Dingen aus Soundtracks der Sechziger und Siebziger, turtelt heftig mit der angewandten Kunst der Library-Musik und verleiht sowohl »Doğu Çiçekleri« als auch »Wabi Sabi« einen wärmend-nostalgischen Touch.
Besonders interessant ist der Vergleich zur Funktionsmusik, die wir Library-Musik nennen, also zu jenen Stücken, die für Radio und TV gefertigt wurden, von häufig weithin unbekannten Komponistinnen und namenlosen Künstlerinnen. Sven Wunder, ob nun Einzelkünstler oder doch Kollektiv, reiht sich nahtlos ein in diese Tradition des meist thematischen Arbeitens.
Dementsprechend erscheint es fast logisch hinter dem Werk zu verschwinden. Im Vordergrund steht dann nämlich das Erarbeiten eines soundästhetischen Entwurfs, der sich liebevoll den Klangwelten der Türkei oder Japans nähert, ohne die eigene Handschrift zu vernachlässigen. Vergleicht man dies mit der Beliebtheit ebenso thematisch-konsistenter Compilations von Labels wie Soul Jazz Records, erscheint dieser Ansatz plötzlich als hochaktuell.
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Jene Projekthaftigkeit ist gar ein Kennzeichen des boomenden Lizenz-Plattenmarktes von Reissues und Zweitverwertungen. Passenderweise werden das Label Piano Piano und Sven Wunder weltweit von Mr Bongo und Light In The Attic vertrieben, also Firmen, die sich auf eben jenes Marktsegment der Wiederveröffentlichungen spezialisiert haben.
Ob nun solche Gedanken im Spiel waren, als man sich dazu entschied Sven Wunder zu anonymisieren, wissen wir dennoch nicht. Uns fehlen dafür die Interviews oder weitergehende Informationen. So bleibt uns wenig außer Spekulation und zwei überragende Alben, die sich auch ohne passendes Gesicht oder Bandgeschichte formidabel genießen lassen.