Stephan Bodzin – 10 All Time Favs

05.06.2015
Foto:©Tailored Communication
Wir fragen Musiker nach 10 Schallplatten, durch die sie geformt, gebessert und gebildet wurden und bitten sie diese Auswahl zu kommentieren. Diesmal nimmt sich der Produzent Stephan Bodzin der Aufgabe an.

Stephan Bodzin hat vergangene Woche sein neues Album »Powers Of Ten« auf dem eigenen Label Herzblut veröffentlicht. Vorab erschien auf Life And Death-Imprint eine Vorab-Single mit dem Track »Singularity«, die neben dem Originalstück zwei Edits durch Monoloc versammelt. Der Begriff ›Singularität‹ bezeichnet in der Systemtheorie einen Punkt, in dem auf eine kleine Ursache eine große Wirkung in der weiteren Entwicklung eines Systems folgt. Da ist es nur sinnig, Stephan Bodzin auf seine zehn musikalischen Singularitäten abzuklopfen, also auf Alben und Tracks, die seine musikalische Laufbahn geformt haben.

Bei der von Vangelis über Jazz und Heavy Metal bis hin zu Minimal Techno reichenden Auswahl Stephan Bodzins wird schnell klar, dass dessen Laufbahn nicht ganz so geradlinig verlief wie die Kickdrum seiner Tracks das vorgibt. Da war der Musikervater, dem Stephan Bodzin nicht nur ein paar wertvolle Tipps, sondern auch Gründe zur Revolte zu verdanken hat. Da war Marc Romboy, der ihm einen Schlüsseltrack vorspielte. Da war sein ehemaliger Mentor, der ihm die Musik zeigte, die Bodzin gerne auf seiner Beerdigung hören würde. Vor der Entdeckung der geraden Kick ging also einiges.

1 – »Harmonium« by John Adams, ECM New Series 1984
Ich halte »Harmonium« für das beste Stück zeitgenössischer Musik. Ihm vorgestellt wurde ich von meinem ehemaligen Mentor, dem Film- und Theater-Komponisten Uli Harmssen, der mein Verständnis von Harmonie entschieden beeinflusst hat. Im Grunde ist »Harmonium« ein zehnminütiges Crescendo, das vom Philadelphia Orchestra mitsamt dessen gigantischem Chor aufgeführt wurde. Das Arrangement folgt einer simplen, starken und komplexen Struktur. Wunderschön. In Hinsicht auf die Dynamik der Dramaturgie ist »Harmonium« ein absolutes Meisterwerk. Für gewöhnlich höre ich es mir nur einmal pro Jahr an, sodass meine Erfahrung so ist, als würde ich es zum allerersten Mal hören. Ich bin mir ziemlich dass, wenn ich sterbe, »Harmonium« auf meiner Beerdigung gespielt wird.

2 – »Die Roboter« by Kraftwerk
taken from the 7” »Die Roboter«, Kling Klang 1978
Als ich ein junges Kind von ungefähr neun Jahren war, begann ich damit, mir die Platten meines Vaters durchzuhören. Er war ein großer Jazzmusiker und leitete ein Studio, das zu großen Teilen mit demselben Equipment bestückt war, welches Kraftwerk benutzten. Während meiner Jugend versuchte mir mein Vater seine Leidenschaft für energetische und innovative Musik näherzubringen. Natürlich waren Kraftwerk mit von der Partie und ich erinnere mich, wie ich damals dieses Stück in seinem Studio über sein massives (und immer noch sehr seltenes) Moog-Soundsystem rauf und runter gehört habe. Noch heute erinnere ich mich an jedes Detail von »Die Roboter«. Der warme Analogklang kombiniert mit ihrem kühlen Sound wurde zu einem wichtigen Bestandteil meines musikalischen Lebens. Kraftwerks ultrasimples und effektives Songwriting geht mir hier und dort noch durch den Kopf, wenn ich an eigenem Material arbeite. Helden!

3 – »Moon Safari« by Air, Source 1998
Mein Sohn Luka war gerade zwei Jahre alt geworden, als Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel eines der einflussreichsten Dub-Projekte starteten… Ich zumindest nenne das Dub. Was warme, elektronische Produktion in Kombination mit atemberaubendem, simplem Songwriting anbelangt, so ist dieses Album das wohl kohärenteste, das ich kenne. Es befindet sich immer auf meinem iPad und ich höre es mir gelegentlich an, wenn ich auf Reisen bin. Bis heute ist diese Platte wohl diejenige, die ich in meinem Leben am häufigsten gehört habe.

4 – »Lifelike« by Klaus Doldinger + Passport, Atlantic 1980
Mein Vater brachte mir Klaus Doldinger näher. Für mich ist er einer der großartigsten Komponisten aller Zeiten. Obwohl er wohl den meisten als Komponist des Soundtracks zu »Das Boot« bekannt ist, scheint mir das superchaotische und geniale Jazz/Rock-Album »Lifelike« viel beeindruckender. Es entspricht zwar nicht jedermanns Geschmack, aber ich wuchs damit auf, jeden einzelnen Ton und jedes Detail in mich aufzusaugen. Seitdem ich elf Jahre alt bin, hat es sich tief in mein Bewusstsein eingegraben und wird dort für immer bleiben. Dieter Petereits Soli haben mich dazu inspiriert, mit dem Bassspielen anzufangen, was ich neun Jahr lang tat. Klaus Doldingers Talent war es, auf den sehr straighten jazzigen Harmonien Melodien zu schreiben und das hat mich dazu inspiriert, an meinem eigenen Material zu arbeiten. Wenn sie in meiner Gegend waren, habe ich selten eine Show der Beiden verpasst.

5 – »Birdland« by Weather Report
taken from the album »Heavy Weather«, Columbia 1977
In Hinblick auf meine Geschichte mit meinem Vater verhält es sich mit Weather Report ähnlich wie mit Passport, obwohl erstere international bekannter sind. Damals vereinten beide Bands die besten Musiker ihrer Zeit. Weather Report war vor allem als Band von Miles Davis bekannt, der wiederum dafür bekannt war, seine Bands nach strengen Qualitätskriterien fluktuieren zu lassen. Der Bassist Jaco Pastorius war eine weitere große Inspiration für mich zu Jugendzeiten. Leider starb er viel zu jung. Ich halte ihn immer noch für den besten Bassisten aller Zeiten. An ihm faszinierte mich vor allem sein einzigartiger Stil und wie er den Bass richtiggehend zum Singen brachte. »Birdland« habe ich so oft gespielt, um zu verstehen und zu lernen, wie er es genau anstellte, gelungen ist mir das aber natürlich nie.

6 – »Ghost In The Machine« by The Police, A&M 1981
Meine erste Schallplatte und natürlich habe ich sie nicht mal selbst gekauft. Sie war ein Weihnachtsgeschenk, das nie aufgehört hat zu schenken. Ich halte Police für eine der innovativsten und stärksten Pop-Bands überhaupt. Die Energie ihrer frühen Werke war gewaltig! Ihre Live-Performances haben mich umgehauen. Intelligente Pop-Musik, die unvergesslich bleibt.

7 – »Number Of The Beast« by Iron Maiden, EMI 1982
find it at hhv.de on LP
Ich habe, bevor ich 16 Jahre alt wurde, mindestens zehn Iron Maiden-Konzerte besucht. »The Number Of The Beast« ist ihr stärkstes und meiner Meinung nach bestes Album. Ich war sehr jung und mein Vater hasste mich dafür, dass ich mir diese Scheiße anhörte, aber heute weiß ich, wie wichtig diese private Revolution für mich war. So fing ich an, mir meine ganz eigene musikalische Basis zu erschaffen. Große Musiker. Große Künstler. Selbst heute noch sind sie echte Helden für mich. Gute Besserung, Bruce Dickinson!

8 – »Blade Runner O.S.T.« by Vangelis, EastWest 1993
find it at hhv.de on LP
Falls du den Film noch nicht gesehen hast, hol das unbedingt nach. Dann schalt den Bildschirm aus und hör dir nur den Soundtrack an. Dann wirst du begreifen, dass die Atmosphäre des Films zu 95% aus den genialen Soundscapes von Vangelis besteht. Diese rein synthetischen, endlosen Blechblassounds sind symptomatisch dafür und erledigen ihren Job echt gut. Diese Gänsehautfanfaren schmeißen mich jedes Mal aus dem Sessel, wenn ich den Film schaue – was ich hin und wieder tue. Den Director’s Cut, bei voller Lautstärke! Für die Nerds unter euch: Der Klangerzeuger ist ein Yamaha CS80.

9 – »The Fat Of The Land« by The Prodigy, XL Recordings 1997
find it at hhv.de on LP
Ich bin kein großer Fan ihres Früh- oder Spätwerks, aber das verfickte »Fat Of The Fucking Land« bedeutete damals wohl die massivste Energieeruption seiner Zeiten! Superinnovativ und frisch, und obwohl es da auch die Chemical Brothers und Fatboy Slim gab, rockte nur diese Platte meine Welt und inspirierte mich zu den Beats, die ich in den späten neunziger Jahren bastelte. Eine verfickte Bombe, und zeitlos obendrein!

10 – »Decompression« by Mathew Jonson
taken from the 12” »Decompression«, M_nus 2004
Wie du vielleicht gemerkt hast, spricht mich die heutige Musik nicht mehr so an wie das damals der Fall war. Das mag daran liegen, dass ich mein ganzes Leben lang schon Musik mache, seitdem ich als vierjähriger Junge zum Klavierspielen genötigt wurde. Heutzutage genieße ich Stille ebenso sehr wie das Hörerlebnis, das dazu gehört. Der letzte Track, der unbedingt auf dieser Liste zu finden sein muss, ist »Decompression«. Nicht nur, weil es ein großartiger Track von einem ebenso großartigen Künstler ist, sondern weil er mich 2005 wachgerüttelt hat. Nach 15 Jahren voll merkwürdiger Musik in meiner Diskografie hörte ich damit auf, nach dem Sound zu suchen, der mich und wie ich klingen wollte reflektieren könnte. Im Frühjahr 2005 hing ich mit meinem Kumpel Marc Romboy bei ihm zuhause rum und er spielte mir diesen Track vor. Plötzlich ergab alles Sinn. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich ging nach Hause, nahm innerhalb von zwei Stunden einen Track auf und die erste Stephan Bodzin-EP war geboren. In musikalischer Hinsicht richtete sich mein Leben völlig neu aus und selbstverständlich ist »Decompression« einer meiner Lieblingstracks auf ewig geblieben.