Ein »Sofa im Dunkeln« sei die beste Umgebung, ein »Moment der Ruhe nach einem traumatischen Erlebnis« die beste Zeit, um seine Musik einsinken zu lassen. Lauscht man den wie durch Milchglas schimmernden Tracks auf SSIEGEs Debüt »Fading Summer«, scheint dieses Setting nahezu obligatorisch für den Genuss eines Stils, den der aus dem umbrischen Spoleto stammende Produzent schon auf ersten Veröffentlichungen für YOUTH und UN.T.O. eloquent auszuformulieren verstand – und dennoch lassen die sonnendurchfluteten Weiten seines ersten Albums viel Raum für eigene Gefühlslagen.
Ob Tracks wie das in tiefster Verliebtheit badende »Regina« oder »Boxe« nun eher melancholisch und entrückend, oder euphorisch und verzückend wahrgenommen werden – das bleibt zum größten Teil der inneren Disposition des Hörers überlassen. »Es mag trivial klingen, aber ich bin auf der Suche nach einem Loop den ich über Stunden hören kann, ohne dass er langweilig wird. Oft höre ich mir nur die gleichen vier Chords nonstop an. Ich mag Musik, die mich auf Reisen schickt und über der die Vorstellungskraft regiert – so als hätte ich etwas ungelöst gelassen, damit der Hörer die Möglichkeit bekommt, etwas eigenes hinzuzufügen«, erläutert SSIEGE im Interview.
Verschiedene Jahreszeiten
Für Jahre lebte er in England, kehrte dann 2020 pandemiebedingt nach Italien zurück und übersetzte die Erlebnisse am Rande der Londoner DIY-Szene in die eigene Produktionssignatur. Zeitgleich kultivierte er aber auch eine gewisse Genügsamkeit in Sachen Equipment und in der Ausgestaltung seiner Produktionen, für die er sich von den scheinbaren Nebensächlichkeiten des Alltags inspirieren lässt. Irgendwo zwischen Ambient Trance und Downtempo, italienischen Prog-Electronics Ende Achtziger und N64-Videospiel-Scores säuseln sie dahin und brechen oft mitten drin einfach ab. Ein langsames Rein- und Rausfaden würde der Skizzenhaftigkeit dieser Musik ohnehin nur Faszinationskraft entziehen – stattdessen wirkt sie eher wie ein Kaleidoskop ferner Erinnerungen, denen unterm Kopfhörer in jeder Einzelheit, in jeder Falte nachgetastet wird.
»Es mag trivial klingen, aber ich bin auf der Suche nach einem Loop den ich über Stunden hören kann, ohne dass er langweilig wird. «
SSIEGE
Nur mit Laptop, einem Roland SH101 und einer 606-Drummachine beschwört SSIEGE dann Momentaufnahmen, die vielleicht gar nicht die eigenen sind oder aber schon viel zu lange vergessen waren. Es ist ein träumerischer Sound, der selbst zur Erinnerung geraten kann. »Ich glaube, ich wurde durch das Aufwachsen auf dem Lande geprägt, da wo die Farben vor allem zwischen den Jahreszeiten besonders lockend hervortreten – im Frühling und Herbst wirkt es jedes Mal, als lebte man an zwei unterschiedlichen Orten«. Dass er mit der Debüt-EP »Turbe in Sviluppo« (2016) und seinem Nebenprojekt Giesse (Anagramm von Ssiege) eher träumerischen Outsider House verfolgte, spiegelt dieses Bild unterschiedlicher Orte ebenso wider.
Meteora
Das aufgefächerte Soundspektrum
Nachdem »Fading Summer« zumindest unter Plattensammlern und Tape-Enthusiasten schnell Semikultstatus erreichte, wurde auch der für seinen sensiblen Riecher bekannte Mark Knekelhuis auf SSIEGE aufmerksam. »Mark schrieb mir ein paar Monate nach der Veröffentlichung auf Youth – ich war bereits Fan von Knekelhuis und habe mich natürlich sehr über die Mail gefreut«. Kurz darauf war der Deal für »Meteora« eingetütet, die dann auch im April via Knekelhuis erschien. Nicht ganz so lo-fi wie vorige Veröffentlichungen, unterstreichen Tracks vom Kaliber »Nebbia Spugna« oder »Il Peso«, dass SSIEGE sein Soundspektrum aufzufächern gedenkt, gleichzeitig aber weiter mit den Düften des Sommers spielen will – subtile Reminiszenzen an Boards Of Canada, Dalhous oder die frühen Arbeiten Daniel Lopatins inklusive.
Den Schlafzimmercharme seiner Musik auch auf die Bühne zu transportieren, das wäre das nächste Level: »Ich arbeite derzeit an mehreren Projekten und versuche so viel zu kollaborieren wie nur irgendwie möglich. In absehbarer Zukunft würde ich die Musik gerne live mit Band performen. Ich weiß nur noch nicht, ob ich mit dieser naturalistischen Ästhetik weitermachen werde – das war eher eine spontane Sache«. Weitere Kollaborationen, vor allem im Studio, sind ebenfalls geplant. Über die ist bisher zwar so gut wie nichts bekannt, außer, dass neben anderen Künstlern auch neuartige Produktionsmöglichkeiten involviert sind – doch die Suche nach dem Endlosloop geht in jedem Fall weiter.