Sóley musste einfach dahin, zum düsteren Kram

04.05.2015
Foto:Ingibjörg Birgisdóttir / © Morr Music
Zwischen Sóley und ihrer Musik gibt es einen Kontrast. Auf »Ask The Deep« singt sie über düstere Themen, ihre Tochter bekommt aber fröhliche Lieder zu hören. Die Gründe: Experimentierfreude, sprachliche Grenzen und ihre Lebensphilosophie.

»In Bezug auf eine Farbe allerdings muß ich mich an die Brust schlagen, es ist: Blau«, sagte 1951 Gottfried Benn in seinem Vortrag »Probleme der Lyrik« an der Universität Marburg. Alle anderen Farben aber? »Reine Wortklischees«, meinte der Lyriker. Wenn Sóley Stefánsdóttir an die Musik ihres zweiten Albums denkt, dann schwebt ihr ebenfalls ein bläulicher Farbton vor, sagt sie. Auf dem Cover wurde dieser erneut von ihrer Freundin Ingibjörg Birgisdóttir eingefangen, mit der Sóley in ihrer früheren Band Seabear zusammengespielt hat und die seitdem für die Gestaltung von Sóleys Platten verantwortlich ist. Vor einem dunkelblauen Hintergrund ist eine ernst dreinblickende Sóley zu sehen, deren Gesicht zerläuft. Es sieht aus, als würde ihr jemand von oben herab die Farbe und damit die Lebensenergie aussaugen.

Raus ins Studio

Die Sóley, die vor einem Bücherschrank sitzend auf den Monitor ihres Computers guckt, sieht anders aus. Sie wird von der kräftigen isländischen Abendsonne beschienen und auch ihr Gesichtsausdruck ist keinesfalls so düster wie auf dem Cover von »Ask The Deep«. Wenn sie sich nicht gerade die gigantische Brille zurechtrückt, lacht sie oder schaut nachdenklich drein. Selbst als ihre Tochter in einem anderen Zimmer zu schreien beginnt, zeigt sie sich nicht beunruhigt. Von der Arbeit an »Ask The Deep« hat sie sich davon ebenfalls nicht abhalten lassen. »Meine Tochter kam im März zur Welt und ich habe zwei oder drei Monate danach angefangen, nachdem ich während der Schwangerschaft schon mit dem Schreiben begonnen hatte. Mutter zu werden ist verrückt. Da musste ich einfach rauskommen, ins Studio gehen.« Sie hätte noch ein ganzes Jahr an »Ask The Deep« werkeln können, meint Sóley, wollte aber die zehn Stücke lieber neu und frisch abliefern, anstatt zu viel daran zu arbeiten. Ein paar der Stücke wurden dann erst am Tag vor dem finalen Abmischen fertig.

Wie nebenbei veröffentlichte sie im Juli die Mini-LP »Krómantik« wieder. Die schrieb sie noch in Zeiten, als sie Komposition studierte und brachte sie 2011 auf eigene Faust in einer verschwindend kleinen Auflage heraus, der die Noten zur Musik beilagen. »Ich wollte sie unbedingt noch einmal veröffentlichen, um die Zeit zwischen den beiden Alben zu füllen. Also habe ich mein Plattenlabel einfach dazu gezwungen«, lacht sie. Der geisterhafte Sound von »Krómantik« unterscheidet sich maßgeblich von ihrem Debütalbum »We Sink«, das im selben Jahr erschien, als Sóley an den acht Stücken schrieb. »Ich habe mich damals eher mit klassischen Kompositionstechniken auseinandergesetzt«, erklärt sie. »Die Stücke sind Teile von größeren Werken, die zumeist aus fünf Teilen bestanden, von denen jeweils eines ein Pianostück war.« Aus eben diesen Kompositionen setzt sich die fast völlig ohne Gesang auskommende EP zusammen. »Ask The Deep« jedoch knüpft eher an den Vorgänger an: Es gibt mehr Rhythmen, mehr vertraute Strukturen und vor allem Sóleys Stimme zu hören.

Wider die Dunkelheit


Die Themen jedoch haben sich verändert. Sie sind auf ihre Art so blau wie die Hintergrundfarbe des Coverartworks von »Ask The Deep«: nicht leicht zu fassen, aber eindeutig von einer melancholischen Schwere durchwirkt. »Ich mag es, Pop mit etwas zu mischen, das dich ein bisschen mehr zum Nachdenken anregt«, sagt sie in Bezug auf ihre Musik. Die reinen Klischees genügen ihr eben nicht. Das gilt so auch für die Texte, die stark von der Lyrik beeinflusst sind, die Sóley liest. Neben international bekannten Autoren wie Edgar Allen Poe ist es vor allem der isländische Dichter Davíð Stefánsson, der im frühen 20. Jahrhundert die Schattenseiten seiner Heimat in Worte fasste. »Meine Musik ist insofern visuell, als das sie Farben, Gefühle und Orte widerspiegelt. Ich sehe immer dieselben Dinge, wenn ich die Songs singe. Es ist so, als würde ich träumen, einer Geschichte dabei zusehen, wie sie abläuft. Das funktioniert ähnlich, wie wenn du ein Gedicht liest«, erklärt Sóley. Ihre Farbpalette erstreckt sich aber meistens von marine- bis schwarzblau.

»Ich mag düsteren Kram… Vielleicht, weil ich Angst davor habe.«

Sóley

»Ich mag düsteren Kram«, sagt sie und schiebt nachdenklich hinterher: »Vielleicht, weil ich Angst davor habe. Dunkelheit macht mir Angst.« Ist die künstlerische Auseinandersetzung damit also eine Art Bewältigungsstrategie? »Vielleicht. Zumal mein neues Album sehr persönlich geworden ist, die letzten zwei, drei Jahre abdeckt. Für mich hat ein neues Leben begonnen und darüber zu meditieren, hat mir sehr gut getan. Ich singe aber nicht über meine Schwangerschaft oder wie es ist, ein Kind zu haben.« Sóleys Texte sind abstrakter, selbst wenn sie sich stellenweise auf wahre Begebenheiten beziehen wie etwa der Song »Ævintýr«, der sich auf die wahre Geschichte eines Brasilianers bezieht, der lebendig begraben wurde. Die Offenheit ihrer Texte führt Sóley auf die Begrenztheit ihres Wortschatzes zurück. »Englisch ist nicht meine Muttersprache, weshalb meine Texte ein bisschen kindisch sind. Ich kann mich nicht exakt ausdrücken.« So wie Lyrik es auch nicht immer tut. Verstanden, meint Sóley, wird sie dadurch aber umso besser.

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Der scheinbare Kontrast zwischen der Person Sóley Stefánsdóttir und ihrer Musik verwundert viele. Die quirlige Frau mit der überdimensionierten Brille und die finster dreinblickende, verwaschene Figur vor dem dunkelblauen Hintergrund auf dem Cover von »Ask The Deep« haben auf den ersten Blick wenig gemein. »Dabei wäre es doch furchtbar, wenn ich nur düster drauf wäre. Aber wie es eben so ist: Wir alle denken doch an tiefgründige, traurige und düstere Dinge. Wir müssen nur die Kraft haben, damit fertig zu werden«, sagt sie und schiebt lachend hinterher: »Meiner Tochter zumindest singe ich nur fröhliche Lieder vor.«