Drake kommt aus Kanada. The Weeknd auch. Von Tory Lanez hat man vielleicht schon gehört, dass er nördlich der USA aufwuchs. Ein MC und DJ aus Toronto bastelte allerdings schon an Beats, als die drei noch in der Kindergartengruppe am Klebstoff schnüffelten. Der Mann heißt Lyndon Dash und gilt, fragt man in den richtigen Szenezirkeln Kanadas, als OG. Seit Ende der Neunziger rappt er unter dem Namen Mathematik zu Boom-Bap, rappt über Samples die zwischen Jazzfrühstück und Kraftwerkkonzert scratchen. Davor war Dash Teil der Hip-Hop-Combo Down To Erf und verlegte 16er über Piano-Samples, dass einem vor lauter Ehrfurcht noch immer die Baggy um die Beine schlackert. Und doch: Sucht man seinen Namen bei YouTube, stößt man zuerst auf Arte-Dokus oder den Haftbefehl-Ausrutscher mit Till Lindemann. Es wird Zeit, das zu ändern.
Die Sprache der Mathematik ist universell
Denn wer was für Kopfnicker-Beats mit Birnenfutter übrighat, muss Mathematik kennen. 1999 veröffentlichte Dash »Ecology« – ein Album, das für viele immer noch als eines der besten kanadischen Hip-Hop-Alben aller Zeiten durchgeht. »Das war kurz nachdem ich solo zu rappen begann. Ich wollte meinen Ansatz neu erfinden und hab immer davon geträumt, dass Leute auf der ganzen Welt meine Musik hören, egal welche Sprache sie sprechen«, so Dash im Interview. Mathematik sei als Wissenschaft so nahbar und universell, man spreche sie überall. Um diese Universalität zu verkörpern, wurde Lyndon zum Mathematiker und richtete seinen Stil »an die Welt«, wie er sagt.
Dass er den Namen bewusst in der deutschen Schreibweise hielt, geht auf einen Trend in den Neunzigern zurück. Damals spielten kanadische Crews und Künstler*innen im Hip-Hop gerade mit Namen und Songtiteln herum. Es herrschte Aufbruchstimmung. »Ich erinnere mich, dass ich jeden Morgen Songs geschrieben habe, bevor ich ins Studio gegangen bin. Egal, mit wem ich zusammenarbeitete, es war so viel Hoffnung da. Wir wollten das ganze Ding wirklich durchziehen – zumindest war das der Vibe!«
»Es hätte mich nie gereizt, Kompromisse in meiner Kunst zuzulassen. Ich will ein solides musikalisches Erbe hinterlassen. Das ist alles für mich.«
Mathematik
Dash lacht. »Da siehst du’s, so alt bin ich!« Über 23 Jahre später sagt er das ohne Häme, auch wenn der kommerzielle Durchbruch für ihn nie eingetreten ist. Dafür wäre Mathematik ohnehin nicht zu haben gewesen. »Es hätte mich nie gereizt, Kompromisse in meiner Kunst zuzulassen. Ich will ein solides musikalisches Erbe hinterlassen. Das ist alles für mich.« Deshalb misst Mathematik seine Musik nicht Streaming-Zahlen oder Albumverkäufen.
»Ecology« hat auf YouTube gerade mal 85.000 Aufrufe. »No Division«, der Nachfolger von 2005, dreht sich nur auf den Tellern von High Heads. Auch »ReAL/iS-HiM«, das Mathematik nach einer längeren Pause 2019 veröffentlichte, war kein Seller. Alles egal, die Leute, die ihn kennen, feiern ihn bedingungslos. Und die Prioritäten haben sich mit dem Älterwerden sowieso verschoben. »Erfolg bedeutet für mich, jeden Tag tun zu können, was man liebt – umgeben von Menschen, die einen wirklich lieben«, sagt Dash. Man nickt wie zu seinem Boom Bap aus der Bluetooth-Box.
Die Gelassenheit des Alters
Mittlerweile ist der Rapper verheiratet und Vater zweier Kinder. Die Notizbücher quillen trotzdem über. Im letzten Jahr ist »Ecology« bei 90’s Tapes wiederveröffentlicht worden, in diesem Jahr folgte die 7-inch »Formation / Everyday Movement« auf HHV Boombap 45s. Der Nachfolger zu »No Division« erscheint auch dieses Jahr. »Ich erlaube mir damit, verschiedene Produktionsstile zu kombinieren, ohne einem einzigen Thema zu folgen. Es geht darum, den freien Ausdruck innerhalb einer breiten Palette von Vibes zu finden«, so Dash.
Er arbeitet dafür mit lokalen Producern wie Reazhun oder Wizdome Bunitall zusammen. »Das ist für mich eine höchst kreative Erfahrung, ich lerne viel von diesen Leuten«, und: »Wer weiß, vielleicht greife ich diese Reihe zukünftig öfter auf.« Stress macht sich Mathematik keinen mehr – auch weil die Musik schon länger nicht mehr das Wichtigste in seinem Leben sei, der Zugang zu ihr bleibe trotzdem lebendig. »Die Hip-Hop-Kultur ist größer als je zuvor und ich liebe sie. Ich darf mich gesegnet fühlen, immer noch ein Teil von ihr zu sein!«