Wie ist Global Bass zu verstehen? Als Musikstil, der die zeitliche, räumliche und soziale Entwurzelung zelebriert? Als Überwindung der Herkunft als der bestimmende Faktor im Leben? Als ein kommerzielles Für-den-Club-tauglich-machen, von dem was früher, in Prä-Cyber-Zeiten, in die schnöde klingende Kategorie »Weltmusik« fiel und den eurozentrischen Blick auf außereuropäische Musik widerspiegelte? Als ein vielfältiges Spektrum von Rhythmen und Sprachen, die zueinander gebracht werden, um ein interkulturelles Verständnis zu entwickeln? Oder als ein wildes Durchmischen unterschiedlichster Musikarten, aus dem Kontext und der Geschichte gerissen, bestehende Machtverhältnisse und Ungleichheiten zwischen den Ländern des Südens und Ländern des Nordens verwischend, nivellierend oder gar neu produzierend?
Diese Fragen schwirren mir durch den Kopf, als ich die neue EP von Schlachthofbronx, Nasty Bass, höre. Als ich Bene und Jakob, beide ursprünglich aus München stammend, vor vier Monaten im Rahmen der Labelnacht von Man Recordings in Wien begegne, sind die Fragen weitaus seichter und unkritischer. Der anschließende Gig ist schweißtreibend, die Tanzfläche gesteckt voll, über die Boxen donnern Fetzen von Cumbia, Baile Funk, Soca, Kuduro, bayrischer Blasmusik oder mehr Happen aus dem weltweiten Repertoire. Dazwischen Hupen, Trillerpfeifen, Vuvuzela-Alarm – Lärm, der noch stärker zum Abgehen antreiben soll. Eigentlich eine fette Party. Eigentlich erfreulich, wenn in den europäischen Clubs oder auf den großen Festivals »funktioniert«, was Schlachthofbronx musikalisch verwursten. Eigentlich. Solange außer dem Feiern und dem Funktionieren noch was übrig ist. Zum Beispiel eine Ahnung, was einem da um die Ohren gehauen wird. So führt die aktuelle EP von Schlachthofbronx über das Rhythmus-Muster der Cumbia nach Kolumbien, über die Vocals des MC Spoek Mathambo nach Südafrika, oder über die Stimme von Timberlee, einer jamaikanischen Sängerin in die Karibik, über ihre zwei Produzenten nach Europa und über das Label Mad Decent in die USA.
Wer darf sprechen?*»Wenn es bei dem Ganzen nur ums Geld geht, dann ist es auch kein Spaß mehr.«
Zirkulation um den halben Erdball, heutzutage virtuell in Sekundenschnelle möglich, theoretisch für jede und jeden, überall und jederzeit verfügbar – praktisch und real zeigen sich die europäischen und amerikanischen AkteurInnen aber wieder mal begünstigt, wirtschaftlich und in der strukturellen Verfasstheit, indem sie bestimmen, was aufgegriffen, gespielt und hervorgehoben wird – denn, wer sind die Macher? Wer führt die Labels? Wer spielt in den Clubs? Wer darf »sprechen« und wer wird gehört? So gesehen ist Global Bass- Musik nicht jenseits von Geschichte und ohne Rückschau auf koloniale Herrschaftsansprüche, die sich kulturell wie politisch und immer auch auf die Musik ausgewirkt haben, zu begreifen. Musikhistorisch müsste wahrscheinlich noch weiter zurückgegangen werden, bis zu den Ursprüngen von Musik – den einfachen Trommeln, Flöten und der Stimme als erstes Instrument. Im Grunde unterscheidet sich das, was von Schlachthofbronx verbraten wird, nicht viel von diesen archaischen Zutaten, die mit heutigen elektronischen Mitteln verarbeitet werden. Für Münchner Verhältnisse hält diese Verarbeitung eine mutige Portion Anarchie, durch die Missachtung vorhandener europäischer Clubmusik-Konventionen, bereit: »Viele Leute haben Angst davor, komplett neue Sachen auszuprobieren. In Europa hat sich so ein Durchschnitts-Clubtempo etabliert. Langsam geht es los, dass sich mehr Leute trauen, etwas total Schnelles oder etwas total Langsames zu spielen.« Sympathisch dieses »Gegen-die-Norm-sein« der beiden, ebenso wie die nicht bloß geldfixierte Ausrichtung: »Wenn es bei dem Ganzen nur ums Geld geht, dann ist es auch kein Spaß mehr.« Und wenn es bei dem Ganzen nur um Spaß geht, ist es wahrscheinlich zu hohl.