Es ist ein stürmischer Januartag in Berlin, zu mild für die Jahreszeit, abgebrochene Äste und ein Allerlei aus Berliner Stadtdreck drehen Pirouetten auf den Gehwegen. Die Menschen rennen noch hektischer durch die Gegend als sowieso schon immer in dieser Stadt. Rosa Anschütz merkt man von all dieser Hektik nichts an, an diesem Nachmittag in einem Café im Berliner Bezirk Wedding. Obwohl sie allen Grund dazu hätte: Nach »Votive« und »Goldener Strom« erscheint bald ihr drittes Album. »Interior« heißt es und, so viel verrät der Titel auch schon, es gewährt Einblicke ins Innenleben der Künstlerin.
Mit dem Album löst sich Rosa Anschütz nicht nur einmal mehr aus der stilistischen Einbahnstraße, in die sie durch den pumpenden Kobosil-Remix geschoben wurde. Weg von BPitch ist »Interior« auf dem kleinen Label Klangbad erschienen, das der Künstlerin den, wie sie sagt, nötigen Raum zur Entfaltung bot. Nach den fast schon poppigen Tönen des Vorgängers »Goldener Strom« klingt »Interior« erwachsen, fragil, zeigt Schwächen – und ist gerade deshalb stärker und selbstbewusster als all ihre bisherigen Veröffentlichungen.
Mit uns hat die Künstlerin über ihre neuen Songs, die Kraft der Stimme, Weltschmerz und ihr transmediales Schaffen gesprochen.
Eigentlich sollte dein Album im November vergangenen Jahres erscheinen, dann wurde das Release auf Ende Februar verschoben. Sitzt du nicht auf glühenden Kohlen?
Rosa Anschütz: Ja, total. Die EP hatten wir schon 2022 fertig, die restlichen Stücke stehen seit vergangenem April. Und die Musik passt auch gut in den Winter. Aber der März kann sich ja noch ziehen. (lacht) Das Album an sich war bisher wunderschön von der Erfahrung, weil es nicht mit einem Label war, das mich unter Druck gesetzt hat, sondern mit einem, dass mir die Kontrolle überlassen hat. Und wir haben tolles Material produziert. Auch das Artwork ist nochmal viel feiner als bisher. Wir haben noch zwei Filme dazu gedreht, mit zwei ganz tollen Filmemacherinnen. Einen im Studio, behind the scenes. Und den anderen im Zeiss-Planetarium in Berlin, so ein bisschen Fiction-mäßig. Dort habe ich Ende November auch ein Konzert gespielt. Wir haben den Releasetermin von November auf Februar verschieben müssen, weil die Promo-Agentur noch mehr Puffer brauchte. Ich wäre schon viel früher bereit gewesen, das Album zu veröffentlichen.
Es geht um diese Unsicherheit, wo man sich lokalisiert und was es zum Leben braucht.
Rosa Anschütz
In welcher Zeit ist »Interior« entstanden?
Hauptsächlich im Jahr 2022. 2021 habe ich mein Diplom in transmedialer Kunst abgeschlossen und stand dann vor der Frage: Ok, was mache ich jetzt? Und dann bin ich auf diese Paillettenbilder gekommen, die sich im Artwork fürs Album wiederfinden. Die Arbeit an diesen Bildern ist total beruhigend. Für ein Bild braucht man circa zwei Wochen. Eigentlich hat mit diesen Bildern alles angefangen und die Stücke, die jetzt auf dem Album sind, kamen im Nachhinein dazu.
Und kannst du mehr von deinen neuen Songs erzählen? Was macht sie aus?
Es war immer schon ein Wunsch für mich, ganz viel Raum für Stimme zu haben und das nicht zu begrenzen. Und das haben wir auf »Interior« auch so gemacht und gesagt: An erster Stelle steht die Stimme, und erst dann kommen die Instrumente dazu. Das Album beschreibt Teile meines Inneren, wie ich zu Dingen stehe. Die Texte sind teilweise wie Manifestationen und etwas, worüber ich mir ganz klar bin. Auf der anderen Seite hinterfrage ich auch ganz viel. Es geht um diese Unsicherheit, wo man sich lokalisiert und was es zum Leben braucht. Und ich spiele mit unterschiedlichen Stimmlagen, um mich diesen Perspektiven zu nähern.
Die Frage, was es zum Leben braucht, stellst du ja auch ganz konkret im Song »How much do you want of life«.
Das ist schon die Frage, um die sich das Album dreht und die auch sehr nach außen gerichtet ist. In dem Text richtet sich die Frage an eine Person, aber es geht auch um Dinge, die mich generell sehr beschäftigen und mich beschäftigt haben, als das Album entstanden ist. Wenn man durch schwierigere Zeiten im Leben geht und man sich in Umfeldern befindet, in denen Sucht existiert, wie geht man damit dann um? Und wie lebt man sein Leben? Dieses Thema ist ein großer Teil meiner Geschichte überhaupt. Auch das Thema Körper spielt bei mir eine Rolle, weil es eines ist, mit dem ich sehr große Probleme habe, schon sehr lange. Aber auch die Frage: Was braucht es zum Leben? Ich denke nicht, dass ich diese Frage mit dem Album beantworte. Aber auf »Interior «sind so viele Dinge versammelt, von Sucht bis hin zu Liebe, zu Tod. Ich glaube ich habe mich da bisher noch nie so ran getraut, wie ich es auf »Interior« tue. Vielleicht liegt es auch am Alter, jetzt werde ich ja 27. Schon alt. (lacht)
Erzählst du viel von dir selbst auf dem Album?
Ich glaube nicht, dass ich die Stücke so schreibe, dass man hört, dass es um mich geht. Es kann um mich gehen, aber ein Stück soll auch zugänglich bleiben für andere. Ich spreche bestimmte Themen an, aber das ist eher ein Gefühl, das ich vermitteln will.
Ich höre aus deinen Songs einerseits einen generellen Weltschmerz heraus, aber auch ganz konkrete Themen wie Liebeskummer.
Ja, total. Es sind auch sehr explizit Dinge passiert, die ich verarbeite. Ich hatte tatsächlich Liebeskummer, aber da waren auch einschneidende Erlebnisse wie Krankheit. Erlebnisse, die so viel Raum einnehmen, dass es schwierig ist, bei sich zu bleiben. Ich betrachte die Dinge eher mit etwas Abstand und versuche dann zu verstehen. Das kann sowas wie Weltschmerz sein, aber es ist nie nur ein Aspekt.
Wenn du deine Entwicklung betrachtest, wie würdest du dein neues Album »Interior« neben »Votive «und Goldener Strom einordnen?
Es ist auf jeden Fall näher an »Votive«. Und »Votive« wiederum war so quasi auch eine Antwort auf meine erste EP mit Rigid-Remix von Kobosil: Es war explizit ruhiger, ich konnte damit erstmal wieder zu mir kommen. Ich frage mich manchmal generell, welchen Einfluss es auf mein Schaffen gehabt hätte, wäre der Rigid Remix nicht so erfolgreich gewesen. Der Track war auf meiner allerersten EP. Hätte es diesen Remix nicht gegeben, wären viele Dinge anders verlaufen. Und ich weiß manchmal nicht, ob ich dadurch freier gewesen wäre oder Möglichkeiten nicht bekommen hätte. Ich wäre wahrscheinlich nicht mit BPitch als Label zusammen gekommen. Aber mittlerweile spüre ich auch eine Ambivalenz zum »Goldenen Strom«. Ich mag das Album natürlich gerne, aber ich fand es auch schwierig und irgendwie starr. Ich möchte mich einfach nicht in Genres bewegen oder Stereotype erfüllen. Viele Musikrichtungen haben eine so festgefahrene Ästhetik. Und das letzte Mal, dass ich in einer so festgefahrenen Ästhetik festhing, da war ich ein Teenager und stand auf Post Punk und Industrial. Aber ich finde es langweilig, wenn sich die Sachen immer wiederholen, wenn alles gleich aussieht und sich alles gleich anhören muss. Musikalisch ist »Interior« also etwas, das ich schon sehr lange ausdrücken wollte. Für meine Vision einzustehen hat für mich bedeutet, vielen Widerständen entgegenzutreten und mittlerweile auch den Mut zu haben, mich aus diesen zu lösen und einfach zu gehen.
Da saß ich mit meinen Pailletten da und habe eine komplette Fahrt über nur daran gearbeitet, und dabei ganz viel Olive oder St. Etienne gehört.
Rosa Anschütz
Auf »Interior« klingt jeder Song anders.
Es ist in ganz unterschiedlichen Momenten und Situationen entstanden und das spiegelt auch in der Musik wider, durch einen unterschiedlichen Ausdruck oder eine unterschiedliche Performance. Und da sind wir wieder bei der Ästhetik. Manchmal frage ich mich, wie es aufgenommen wird, dass etwas Lieblich-zartes neben etwas ganz Hartem stehen kann, welche Körpersprache ich verwende versus welche man jetzt gerne von mir sehen würde.
Wie bist du zu deinem neuen Label Klangbad gekommen?
Klangbad als Label und das Faust-Studio, in dem ich auch mein Album aufgenommen habe, gehören ganz eng zusammen. Und die Connection kam über Jan Wagner, mit dem ich das Album ko-produziert habe, zustande. Er kennt das Studio von klein auf und hat von Hans-Joachim Irmler, der das Studio betreibt, alles gelernt. Das ist mitten auf dem Land in Baden-Württemberg. Jan lebt dort mit seiner Familie mittlerweile wieder.
Mit Jan Wagner arbeitest du schon seit deinem ersten Album zusammen.
Ja, wir kennen uns sogar über Max Kobosil. Die haben zusammen studiert. Max Kobosil hat meine frühen Sachen noch auf Soundcloud gefunden und mich darüber kontaktiert und mich dann später mit Jan verbunden.
Du hast in Wien transmediale Kunst studiert und lebst jetzt wieder in Berlin. Inwiefern spiegelt sich dein Studium in deiner Arbeit wider?
Insofern, als dass meinem Schaffen keine Grenzen gesetzt werden. Wenn mir eine Idee aufkommt, dann nehme ich mir den Freiraum, sie möglich zu machen. Bei »Votive« zum Beispiel gab es kleine Votivfiguren, die für jeden Track entstanden sind. Bei »Goldener Strom« haben wir sehr aufwändige Musikvideos gedreht. Und jetzt beim Album sind es die Paillettenbilder. Das Albumcover verbindet die Landschaften der einzelnen Bilder. Und das Album nach »Interior«, an dem ich jetzt schon arbeite, wird »Sabbatical« heißen, dafür wollte ich eigentlich mal wieder einen Comic machen. Vor meinem Studium war ich mir eigentlich sehr sicher, dass ich Comiczeichnerin sein möchte.
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Abgesehen vom neuen Album: Worauf freust du dich 2024 noch?
Es haben sich Zusammenarbeiten und Zusammenschlüsse ergeben, dazu gehören meine Band Spoil, Tracks mit Vanity Productions, Eros, Teplota und Julia Shortreed. Ich arbeite an Musik für einen Kinofilm, fürs Theater und noch einen weiteren Film. Ich denke, das sollte alles über das Jahr 2024 verteilt herauskommen.
Klingt, als hättest du noch einen Haufen Arbeit vor dir, in diesem Jahr.
Ja, aber ich will auch, dass die Dinge im Fluss bleiben. Sonst denkt man nicht so gut. Ich bin auch gerne unterwegs, fahre gerne Bus. Ganz viele dieser Paillettenbilder für »Interior« habe ich im Flixbus gemacht. Da saß ich mit meinen Pailletten da und habe eine komplette Fahrt über nur daran gearbeitet, und dabei ganz viel Olive oder St. Etienne gehört.