Die Diskrepanz zwischen gesprochenem und gerapptem Wort ist erstaunlich. Roots Manuva spricht langsam, überlegt, braucht eine Weile, um seine Gedanken auszuformulieren. Die volle Aufmerksamkeit von Rodney Smith, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, zu erlangen, ist nicht leicht. Je länger das Gespräch dauert, desto mehr werden auch die Gegensätze in seinem Leben deutlich. So steht seine christliche Erziehung in einem Widerspruch zu seinem gewählten Lebensstil. Dieser scheint dabei vor allem die Quelle seiner musikalischen Inspiration zu sein. Rebellierte er mit seinem letzten Album Awfully Deep gegen die ihm zugeschriebene Tiefe, so manifestiert er mit seiner neuen Veröffentlichung Slime and Reason erneut diesen Bruch; Quelle seiner emotionalen Verwirrung und vermeintlichen Tiefe. Wenn Schlagzeug und Bass sprechen, wird Rodney Smith zum Sprachrohr. Im Gegensatz zur Vernunft, ist der Schlamm, die wabernde Vermengung von Musik, eine Kraft, die dort anfängt, wo der Verstand aufhört. Und so weiß das musikalische Projekt Roots Manuva, oft mehr zu offenbaren als er selbst. Nicht deshalb, sondern trotzdem macht er seine Musik. Ein befremdliches, interessantes Gespräch.
Welche Rolle spielt Bass in deiner Musik?
Roots Manuva: Bass war schon immer ein elementarer Bestandteil meiner Musik. Schon als Kind, in der Kirche, hat mich der Bass fasziniert. Dieser Gospel-Bass mit seiner Resonanz hatte mich in seinen Bann gezogen. Ich kann mich noch genau an das Hungergefühl in der Kirche erinnern und dass der Bass den Hunger gemildert hat. Natürlich hatte das auch mit der knisternden Spannung kirchlicher Atmosphäre zu tun. Menschen die singen, Menschen die glauben, die positiv denken. In einem Club habe ich das niemals so intensiv erlebt wie in der Kirche. Und das obwohl ich überhaupt kein Freund dieser Kirchenbesuche war. In meiner Musik versuche ich das aufzugreifen. Sie ist nicht besonders bass-fokussiert, dennoch referiert sie auf eine Zeit, wo Resonanz auch ein Mittel der Kommunikation war, wie etwa bei den afrikanischen Trommeln. Bass stand jedenfalls von Anfang an im Mittelpunkt meiner Musik. Als ich als Teenager in einem Studio aushalf, nervte ich ständig Techniker und Produzenten damit: »Wie bekommt man diesen tiefen Bass? Können wir mehr von diesem Bass haben?«
Was willst du mit dem Titel deines neuen Album Slime and Reason damit zum Ausdruck bringen?
Roots Manuva: Das ist eine Korruption von »Rhyme and Reason«, was für mich anspruchsvoll aber kompliziert klingt, sehr durchdacht und verkopft eben. Slime and Reason ist dagegen nicht durchdacht. Es strahlt deshalb diese Freude des naiven, nicht hoch entwickelten aus. Mehr eine Anstrengung etwas schönes zu erreichen, das jenseits der herkömmlichen Entwürfe von Schönheit liegt. Eine unbewusstere und doch sehr eigene Auffassung von Schönheit. Heutzutage ist die Musik so überproduziert, alles klingt perfekt. Der Schlamm steht für alles Nicht-Perfekte. So wie die alten Studio One-Platten, mit ihren Fehlern und Verzerrungen. Ich liebe es auch zu philosophieren und zu grübeln. »Slime« stünde dabei für eine freche und undogmatische Art das ganze anzugehen.
Dein neues Album hat auch wieder einen Hang zu Dunkelheit. Woher kommt das Dunkle in deiner Musik überhaupt?
Roots Manuva: Ich sehe es nicht als Dunkelheit, sondern als Reichtum. Mit diesen Resonanzen kann man nur spielen, wenn man auch einen Sinn für Humor hat. Lachen während man seine Wunden leckt, das kann ich. Es geht nicht um Verzweiflung, sondern um Drama und Inszenierung. Wenn ich Wunden berühre, dann für das Drama. Und ich mache mit Vorliebe weniger eingängige Musik, mit der man seine Nachbarn und Freundinnen verstören kann. Komischerweise zieht es mich immer zu Frauen die einen eher geselligen und poppigen Geschmack haben. Die kann ich dann damit ärgern. Mein Musikgeschmack war schon immer von Industrialsounds beeinflusst.
In deinem aktuellen Album gibt es allerdings auch viele alberne Momente. Früher ging es dir oft um die Fusion verschiedener Stile. Worum geht es diesmal?
Roots Manuva: Diese Albernheit, das ist der rote Faden des ganzen Roots-Manuva-Projekts. Ich war sehr inspiriert von dem Dancehall der späten 1990er Jahre und seiner Verspieltheit, seinen Faxen. Es geht nicht darum, der beste zu sein oder die besten Sounds zu besitzen. Es geht schlicht darum, anders zu sein. Ich nehme jedes alberne Geräusch in meine Musik auf. Wenn mich etwas zum Lachen bringt und sich gut anfühlt, dann ist es auch gut.
Hat dein musikalischer Erfolg deine Lebensumstände oder deine Persönlichkeit verändert?
Roots Manuva: Ja natürlich. Meine ganze Jugend habe ich in einem kleinen Zimmer in Brixton verbracht. Zwischen meinem 16. und 19. Lebensjahr hatte ich keine Freundin oder das womit man sich sonst beschäftigt. Das Studio war mein Leben! Ich war besessen davon Texte zu schreiben, Musik zu machen und viel Gras zu rauchen. Ich war dort jeden Tag, nicht weil ich dachte man könnte damit etwas im Leben erreichen, sondern weil ich nicht anders konnte. Meine Eltern haben das nie als Musik oder Poesie anerkannt. Sie fragten nur immer, warum ich Selbstgespräche führe. Sie sind sehr altmodisch und denken einfach ich wäre eine sehr seltsame Person. Da ich diese Dinge schon so lange mache, mussten sie diese Entscheidung einfach akzeptieren. Nachdem mein Vater eines meiner Konzerte in Brixton besuchte, bei dem 5.000 Leuten waren, denen es offensichtlich gefiel was sie sahen, denkt er, dass alles in Ordnung sei. Er musste zwar akzeptieren, dass ich solche Musik mache, erwartet nun allerdings von mir, dass ich eine Millionen Platten verkaufen müsse.
Wie sieht so ein typisches Treffen mit deinen Eltern aus?
Roots Manuva: Ich sehe sie leider nicht sehr oft. Im Produktionsprozess isoliere ich mich und sehe eigentlich fast niemanden. Wenn wir uns treffen, geht es fast immer um alte Kindergeschichten von mir, darum wie seltsam ich schon als Baby war. Dann essen wir zusammen und es wird viel Gerede darum gemacht, was ich tue, anhabe und vor allem um meine aktuelle Frisur. Und Warnungen natürlich, über Drogen und Alkohol. Vor einem Jahr traf ich mich mit meinem Vater und bevor er mich begrüßte, zitierte er als erstes eine Stelle aus der Bibel. Ich solle nicht so tun, als hätte ich keinen Gott. Ich erwiderte, dass ich Gott aber anders interpretiere als er und das ja nicht erst seit gestern. Im Gegensatz zu mir ist er sehr Bibel-gläubig.
Wie gläubig oder spirituell bist du denn heute noch?
Roots Manuva: Natürlich habe ich durch meine Vergangenheit einen spirituellen Einschlag, nur bin ich nicht so ein Ausschließer. Ich bin offen für viele Arten des Glaubens. Ich bete Mantras, aber viel zu selten und nicht immer für die richtigen Sachen. Diesbezüglich hat mein Vater Recht, ich bin manchmal zu verwickelt in mich selbst. Musik kann definitiv ein Gebet sein, ein Sonnet an das Universum.
Könnten Tracks von deinem neuen Album wie »Let The Spirit« or »Its Me Oh Lord« solche musikalischen Gebete sein?
Roots Manuva: Ja, davon gibt es einige, allerdings in einer sonderbaren, verdrehten Art und Weise. Sogar musikalisch sind einige Tracks verzerrte Echos von Gospel-Songs. It’s Me Oh Lord ist musikalisch die Korruption eines evangelischen Kirchenlieds, aber von innen nach außen verdreht. Nicht so »happy & clappy« wie das Original, viel verzweifelter, dramatischer. Akustisch versuchte ich diese Sehnsucht nach einer höheren Macht oder Kraft zu auszudrücken, das einzufangen. Ich mag Depeche Mode. Ich liebe ihre leidenschaftliche Verzweiflung und Hingabe. Für mich ist das nicht dark, sondern schlicht bewegend. Mit diesen Sounds und Emotionen habe ich gespielt, das ist dann am Ende wie ein Reinigungsprozess. Weinen, ohne zu weinen! Let The Spirit ist auch eine Variation des Themas, eine Darstellung dieses Gefühls, dass mir Gospelsongs vermittelten.
Um welchen »Spirit« geht es da genau?
Roots Manuva: Es könnte der Geist in der Whiskeyflasche sein… Vielleicht auch die Fähigkeit einen größeren Bildausschnitt zu sehen. – Ich bin ja in der evangelischen Kirche groß geworden und da war es Teil der Dreifaltigkeit. Der heilige Geist, als der gute Geist des Ganzen: Der schaffte es, dass du aufspringst und †ºHalleluja†¹ schreist. In diesem Fall heißt es: Tu was du tun must. Schreien, Weinen, Singen. Sei du selbst! Es gibt keine harten oder schnellen Regeln für den guten Geist. Wenn die Inspiration kommt, dann folge ihr.
Hattest du jemals das Gefühl Freundschaften oder Affären standen deinem Künstler-Image im Weg?
Roots Manuva: Nicht direkt. Eher stand meine Obsession gegenüber der Musik den Beziehungen im Weg. Die wurde dann auch zu einer Entschuldigung und reichte, um mich in die Schublade des Durchgeknallten zu stecken, den man nicht verstehen oder erreichen kann. Das stand definitiv vielen Freundschaften und Beziehungen im weg.
Bist du eher ein Einzelgänger oder würdest du dich als Familien-Typ bezeichnen? Es muss doch als Musiker, mit dem ständigen Unterwegssein schwierig mit Beziehungen und Kindern sein? Wie schaffst du das?
Roots Manuva: Das gelingt mir nur sehr schwerfällig und unbeholfen. Ich regele das nicht, es regelt mich. Es ist sehr schwierig, doch Teil der großen Aufgabe. Es ist Teil meiner Karriere als Mensch und nicht bloß als professioneller Musiker. Heutzutage fühle ich mich häufiger als Kind als noch mit 19 Jahren. Ich mag es Menschen um mich zu haben, auch wenn ich trotzdem in meiner Blase lebe. Deshalb habe ich meistens ein offenes Haus. Zu meiner letzten Wohnung hatten diverse Menschen Schlüssel. Momentan lebe ich eher nomadisch.
Du hast auch einiges auf dem Album selbst produziert. Hast du da weitergehende Ambitionen?
Roots Manuva: Ich sehe mich nicht als Produzenten. Wir hatten ein drittes paar Ohren, was einiges zum Produktionsprozess beigetragen hat. Auch gab es Leute, die für mich weiteres Processing übernommen haben. Nach all den Jahren verstehe ich immer noch nicht das Geheimnis des richtigen Produzierens. Ich bin mehr auf der emotionalen, denn auf der technischen Seite. Ich bringe die Ideen und kann sie arrangieren. Doch das finale Produzieren ist eine Kunst für sich. Das muss jemand anderes machen.
Hast du das Gefühl, dass du dich mit den Jahren von deiner religiösen Kindheit und Vergangenheit emanzipieren konntest?
Roots Manuva: Ich bin immer noch mitten drin. Ich lerne loszulassen, zu vergeben und vergessen. Einfach nicht mehr wütend zu sein.
Hast du auch weibliche Eigenschaften oder würdest du dich als typischen Mann beschreiben? Worum geht es bei A Man’s Talk?
Roots Manuva: Ich dachte, ich wäre mehr in Kontakt mit meiner weiblichen Seite, als ich es wohl tatsächlich bin. Beziehungsschwierigkeiten und meine Vaterschaft haben mir das deutlich gemacht. Ich habe noch viel zu lernen. Ein typischer Mann bin ich dennoch nicht. Bei dem Song geht es ja auch nicht darum spezifisch männlich zu sein, sondern da geht es mehr darum, was sich hinter diesem Slang-Ausdruck verbirgt. Ich mache keine Witze, heißt das schon mal. Ich Strebe hier nach etwas, von dem ich noch nicht weiß, was es ist. Das alles mündet in etwas, auch wenn wir es niemals sehen werden. Vielleicht wird der Rückblick etwas offenbaren.