Roots Manuva will die Dinge bluten sehen, wenn auch nur ein bisschen

26.10.2015
Anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Albums »Bleeds« hat sich der 43-jährige Künstler mit uns zusammengesetzt, um über die Herausforderungen und musikalischen Wandlungen zu sprechen.

In der Ankündigung zu »Bleeds« beschreibst du, dass Roots Manuva für dich Wachstum bedeutet. Wie sieht dein Wachstum aus und wo liegen deine Wurzeln mittlerweile?
Roots Manuva: Es ist einige Zeit vergangen und ich begann darüber nachzudenken, ob die Blüte nicht noch immer ein Teil der Wurzel ist. Ich fühle mich so, als ob ich gerade erst damit beginne, unser Dasein als nichtlinear wahrzunehmen. In der Vergangenheit haben mich einige sehr egozentrischen Herangehensweisen aufgehalten, mit denen ich im Leben klarkommen wollte. Als ich damit begann Musik zu machen, hatte ich sehr viele Existenzängste und das ständige Verlangen, die Dinge zu zerstören um sie zu richten. Jetzt will ich die Dinge nicht mehr kaputt machen, ich will sie nur ein kleines bisschen bluten lassen. Es ist fast so, als wäre ich neu geboren worden.

Das ist auch mein Eindruck von »Bleeds«. Das Album klingt für mich ruhiger, erwachsener und weniger mit einem Augenzwinkern geschrieben als deine bisherigen Platten. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr?
Roots Manuva: Humor ist das Einzige, was mich hier hält. Es gibt darauf also immer noch Humor. Es ist aber nicht mehr so ein kindlicher Humor, sondern etwas erwachsener geworden. Es ist sozusagen die Suche nach einer selbstlosen Lebensfreude. Ich scherze natürlich wenn ich sage, dass ich versuche in den Geisteszustand von Jesus Christus oder Krishna zu klettern. Sie waren dazu bereit gefährliche Dinge zu tun, um ihre Lehren zu verbreiten. Ich meine dies aber nicht wortwörtlich, bitte bringt mich nicht für meine Kunst um! (beginnt zu lachen) Ich versuche meinen Texten eine metaphorische Bedeutung zu verleihen. Bei allem Respekt für Casting Shows wie The X Factor oder The Voice, in Zeiten von massentauglicher Unterhaltung und geistlosen Stars sind alle am reden. Jeder verkündet etwas über Twitter und Facebook. Aber worüber reden sie denn alle? Brauchen sie nicht mehr im Leben als Gucci und teure Autos?

Spiegelt der Eröffnungstack »Hard Bastards« diesen erwachsenen Humor wider?
Roots Manuva: Genau, das ist einer meiner persönlichen Witze, die mich zum lachen bringen. Ich habe anfangs nicht erwartet, diesen Text in kommerzieller Form veröffentlichen zu können. Es ist ein fünfminütiger Wortschwall, in dem ich eine Welt anprangere und beschimpfe, in der wir alle ein Haufen Drecksäue sind. Zudem hat es diesen fast schon kitschigen Refrain. Wie bei der Steve Miller Band (beginnt eine Melodie zu summen): »time keeps on slipping into the future…« Es war niemals als kommerzielle Veröffentlichung gedacht. Das ist es auch, was mich zum Lachen bringt: Damit davon zu kommen, dass die Leute es als bedeutungsvolle Kunst ansehen.

»Spiritualität ist wie Samplen: Alles, was hier ist, war schon immer hier. Das einzig neue ist die Art, wie wir damit umgehen.«

Roots Manuva

Du hast mit einigen bedeutenden Produzenten wie Four Tet, Machine Drum oder Adrian Sherwood zusammen gearbeitet. Wie haben deren markante Stile dich beeinflusst?
Roots Manuva: Am Anfang war es relative schwierig die richtige Musik zu finden. Sehr häufig gefiel mir der Text an sich ohne Musik besser. Es hat ewig gedauert, bis wir eine akustische Grundlage gefunden haben, die genau so dramatisch wie der Text ist. Ich musste meine Leidenschaft für Bässe ein wenig in den Hintergrund rücken und mehr mit mittleren Frequenzen arbeiten.

Wie sieht dein kreativer Arbeitsprozess aus?
Roots Manuva: Ich schreibe ständig Texte, Gedichte und Essays. Ich schreibe sie nicht, weil es mein Beruf ist, sondern weil ich es machen muss. Ich schreibe, weil ich nicht anders kann. Es lenkt mich auf gewisse Weise ein wenig von der Verantwortung ab, die man als Erwachsener hat. Es mag sich seltsam anhören, aber es geht mir darum, ein Musikstück anzuhören, in die Gesangskabine zu gehen und eine Dreiviertelstunde lang irgendeinen Kauderwelsch hinein zu sprechen. Dann bin ich im Studio und jemand wie Four Tet oder Adrian Sherwood zerschnippelt es und verwandelt es in etwas, das mich anspricht. Das treibt mich an, Musik und Worte zu hören, oder auch Formen und Farben zu hören.

»Ich dachte ernsthaft die ganze Welt sei nur noch am streamen.«

Roots Manuva

Du bist mittlerweile ein fest etablierter Künstler. Macht das die Dinge einfacher oder entstehen daraus ganz neue Herausforderungen?
Roots Manuva: Es macht die Sache auf jeden Fall einfacher. Aber ich habe Angst davor, diese Erleichterung als selbstverständlich hinzunehmen. Es ist mir wichtig, mich nicht in meinem Elfenbeinturm einzuschließen oder meiner Blase zu verlieren. Ich möchte weiterhin mit den gegenwärtigen Stilen in Verbindung bleiben. Ich habe mich immer davor gescheut, einer dieser alten Künstler zu werden, die nichts Neues mehr leiden können. Mit dem Aufkommen des internationalen HipHop und den Errungenschaften der HipHop Kultur wie Mixtapes, kann ich immer wieder neues entdecken. Es ist zum Beispiel erstaunlich nach Berlin zu kommen und zu entdecken, dass die Leute immer noch auf Vinyl stehen. Ich denke mir dann: Oha, wirklich?! Leute kaufen hier Vinyl? Das ist großartig! Ich dachte ernsthaft die ganze Welt sei nur noch am streamen.

Deine Musik wird in den Medien manchmal sogar als Geniestreich bezeichnet. Empfindest du derartige Urteile als einschüchternd oder lächerlich? Oder kannst du solche Einschätzungen ausreichend wertschätzen?
Roots Manuva: Wenn du dir das Leben von Leuten wie Jackson Pollock oder Vincent van Gogh anschaust, die als Genies bezeichnet wurden, wirst du feststellen, dass diese Künstler sehr gestörte Persönlichkeiten hatten. Wenn man mich als Genie bezeichnet, muss ich schlucken und denke mir: Das ist sehr schön und es streichelt mein Ego und fühlt sich gut an. Aber sobald ich es gehört habe, versuche ich es gleich zu vergessen und in Bescheidenheit zu Leben.

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Du sprichts von spirituellen Themen und religiösen Symbolen. Würdest du dich als eine religiöse oder spirituelle Person bezeichnen?
Roots Manuva: Heutzutage bin ich vollkommen unreligiös. Ich wurde von meinen Eltern religiös erzogen und sie bestanden darauf, dass ich in die Kirche und in die Sonntagsschule ging. Aber als 43-jähriger bin ich mittlerweile vollkommen losgelöst von Verbindungen zu irgendeiner organisierten Glaubensgemeinschaft. Ich glaube an eine Spiritualität, aber diese ist sehr privat und etwas, worüber ich nicht allzu viel nachdenken möchte. Ich glaube ganz einfach daran, aber ich bin immer noch auf der Suche nach einer Definition, was genau das eigentlich ist. Ich kann es vielleicht ein wenig mit HipHop vergleichen, dem Samplen von diesem oder jenem, um etwas neues zu erschaffen. Alles, was hier ist, war schon immer hier, das einzig neue ist die Art, wie wir damit umgehen.

Welche Bedeutung hat die Sampladelia von HipHop für dich?
Roots Manuva: HipHop ist definitiv mehr als das, was du im Radio hörst. HipHop lebt überall um uns herum. HipHop ist nicht nur ein Sound, HipHop ist nicht nur Rap. Jedesmal wenn du einen Fader siehst, ist das HipHop. Grandmaster Caz hat diesen verdammten Fader erfunden und dafür niemals Geld bekommen. HipHop kann so etwas einfach machen. Wir müssen diese Seele in uns tragen. Schau dir Africa Bambaataa an, er war in den 70er Jahren ein berüchtigter Gangster. Eines Tages ist er aufgewacht und hat verkündet: Vergiss die ganzen sinnlosen Kämpfe, lass uns tanzen! Wir dürfen diese Bedeutung nicht vergessen. Das ist es, was uns füttert. Diese Frequenzen, welche HipHop hervorhebt und erkundet, das ist Nahrung, das ist unsere Kost. Mach keinen Blödsinn damit. Vinyl ist eine ernsthafte Angelegenheit, es ist gut für deine Ernährung.