Romare scheint mit seinem Debütalbum »Projections« ein bisschen aus dem Nichts zu kommen. Und tatsächlich ist seine bisherige Plattenliste noch recht übersichtlich. Zwei EPs für Black Acre und eine weitere auf Ninja Tune waren zuvor alles, was der in London lebende britische Produzent seit 2012 veröffentlicht hatte. Dafür empfiehlt sich sein Album aus dem Stand als Klassiker, der dem bewährten Konzept des Sampling im Hip Hop einen neuen Dreh verpasst. Als reiner Instrumental-Hip Hop lässt sich die Musik von Archie Fairhurst alias Romare dabei kaum bezeichnen, neben Elementen der afroamerikanischen Tradition von Gospel, Blues und Soul gibt es bei ihm genauso Ansätze von Disco, House oder Bassmusik. Romares Stücke geben sich bei aller Konstruiertheit äußerst entspannt, laden gleichermaßen zum Zuhören wie zum Tanzen ein und klingen keinesfalls nach akademisch inspirierter Musik. Doch ohne Archie Fairhursts Studium der Amerikanistik hätte es Romare in seiner jetzigen Gestalt vermutlich nie gegeben.
Deine Musik ist von den Collagen des Künstlers Romare Bearden inspiriert. Wie bist du auf ihn gestoßen?
Romare: Ich habe Amerikanistik studiert und im Abschlussjahr ein Modul zu afroamerikanischer bildender Kunst besucht. In einer Vorlesung ging es um Romare Bearden. Zur gleichen Zeit fing ich an, mich mit Samples zu beschäftigen. Ich hatte zuvor in Bands Schlagzeug und Gitarre gespielt. Mit meinem Computer bin ich dann in die Sample-Welt abgedriftet, als ich gemerkt habe, dass ich den Klang durch Samples erweitern kann. Ich nannte mich nach Romare Bearden, weil er mit Cut-outs und Malerei genau das gemacht hat, was ich mit Musik machen wollte: So wie er Ausschnitte aus Zeitschriften mit seiner Malerei kombiniert hat, wollte ich Schnipsel von alten Schallplatten nehmen und mit meinen eigenen Kompositionen vermischen.
Bei deinen Samples verwendest du selbst viel afroamerikanische Musik…
Romare: Mein Interesse kommt vermutlich daher, dass mein Vater sehr viel Blues und amerikanische Folk Musik zu Hause hatte. Ich bin also mit der Musik aufgewachsen, die er hörte. Später kamen für mich dann Jazz, Funk und Soul hinzu. Mir gefiel, dass sie zu Amerika gehören. Und es gab da eine Art Überlieferung. So fand ich heraus, wo Hip Hop, Funk und Soul ihre Wurzeln haben.
Du hast auch in Paris gelebt. Was hast du dort gemacht?
Romare: Nach meinem Abschluss bin ich nach Paris gezogen, wo ich ein Jahr gelebt habe. Dort begann ich, meine Plattensammlung zu erweitern und mich noch mehr mit Musik zu beschäftigen. Es gab da einige großartige Plattenläden in Paris. Ich habe angefangen, mich für Footwork und Juke zu interessieren, auch für die Sachen aus England oder House und Techno oder die Beat-Sachen aus Los Angeles von Brainfeeder, vor allem von Flying Lotus.
Paris war also eine weitere prägende Erfahrung?
Romare: Ich habe mir dort Monitorboxen gekauft und war schwer beeindruckt, wie genau im Detail man mit denen arbeiten kann. Darüber bin ich ans Produzieren gekommen und habe dann so richtig angefangen, mich auf meine eigenen Sachen zu konzentrieren. Ich hatte damals meinen Bass dabei, meine Gitarre und die Plattenspieler. Ich habe mir einfach ein paar Stückchen vom Plattenspieler geholt und sie dann mit Bass, Schlagzeug oder Claps vermischt und damit experimentiert.
Spielst du auch auf dem Album?»Ich nannte mich nach Romare Bearden, weil er mit Cut-outs und Malerei genau das gemacht hat, was ich mit Musik machen wollte: So wie er Ausschnitte aus Zeitschriften mit seiner Malerei kombiniert hat, wollte ich Schnipsel von alten Schallplatten nehmen und mit meinen eigenen Kompositionen vermischen.«
Romare
Romare: Ja, es sind ungefähr zu gleichen Teilen Samples und meine eigenen Aufnahmen. Ich habe Bass, Gitarre und Synthesizer gespielt, zudem habe ich ein Schlagzeug und Perkussion zu Hause. Ich nehme gern etwas auf und füge dann Samples hinzu, um zu sehen, wie das klappt. Manchmal spiele ich auch über die Samples.
Haben deine Stücke eine Botschaft?
Romare: Meine erste Platte schon. Auf »Meditations of Afrocentrism« wollte ich das Verhältnis von afrikanischer und afroamerikanischer Musik untersuchen. Dazu habe ich bestimmte Samples verwendet, mit bestimmten Texten und bestimmten Sounds, die allesamt von ganz bestimmten Orten stammten. Und ich habe eine Audio-Montage namens »Footnotes« gemacht, die ein wenig erläutert, was ich mit den Samples bezwecken wollte.
Das war dann ein eher direktes Ergebnis deines Studiums?
Romare: Ja. Meine Abschlussarbeit hat meine Herangehensweise an Musik ebenfalls beeinflusst, denn ich wollte die Samples wie Fußnoten benutzen. Ich wollte etwa sagen: »Der Blues entstand in Afrika.« Wie mache ich das? Indem ich sage, dass dieses eine Sample aus Ghana stammt und genauso klingt wie jenes Sample aus New York oder Mississippi. Das Album »Projections« hat aber keine richtige Aussage. Ich habe es lediglich nach Romare Beardens Ausstellung »Projections« aus dem Jahr 1964 benannt.
Wenn Leute dein Album hören und dazu tanzen, ohne sich der Herkunft der einzelnen Samples bewusst zu sein, wäre das für dich dann aber keine Zweckentfremdung, oder?
Romare: Nein, da sind ganz klar Stücke zum Tanzen drauf. Der Gebrauch von Samples ist in der Musikindustrie ja auch durch die ganzen Urheberrechtsfragen schwierig geworden. Daher bin ich davon abgekommen, allzu ausführlich anzugeben, woher die Sachen stammen, und male meine Themen stattdessen lieber etwas lockerer aus. In »Motherless Child« zum Bespiel geht es um das Spiritual »Sometimes I Feel Like a Motherless Child«, »Work Song« handelt von Arbeitsliedern, die in Gefängnissen entstanden. Die anderen Songs sind Hommagen an Künstler, die mich beeinflusst haben oder solche, die meiner Meinung nach größere Anerkennung verdient hätten, wie Snooks Eaglin und Jimmy Reed – aber auch Nina Simone, die mich sehr beeinflusst hat.
Da du Brainfeeder erwähnt hast: Im instrumentalen Hip Hop gibt es ja seit einiger Zeit eine Tendenz zum Exzentrischen. Bei dir hingegen geht es mehr um das akribische Verweben unterschiedlicher Traditionen zu einem entspannten Groove.
Romare: Ich bin vermutlich keine besonders exzentrische Person. In der Musik gibt es eine Art Magie, die man erreicht, wenn man bestimmte Sounds zusammentut. Wenn du Fröhliches und Trauriges vermischst, erzeugst du so eine Spannung, und dann hast du den Sweet Spot der Musik. Mit exzentrischer Musik erreichst du das nicht so leicht, denn exzentrische Musik neigt zu einseitigen Extremen. Meine Musik ist ganz sicher nicht extrem, ich versuche stets eine Balance zwischen fröhlichen und traurigen Klängen herzustellen. Flying Lotus ist für mich daher auch einer dieser Musiker, die man nicht so recht als Hip Hop oder unter ein anderes Genre einordnen kann, weil seine Stücke einfach alles abdecken. Das hat mich an seiner Musik unglaublich beeindruckt.