Musik, die »Julia,16« gefällt, die gefällt mir nicht. So denkt jener Musik-Liebhaber, der neue Bands in den abgelegensten Blogs findet. Was der Teenie von Nebenan hört, ist meistens Pop-Musik: So richtig deutlicher Pop wie der von Rihanna, aber auch populär gewordene Nischenmusik wie die von The xx. Pop hat keinen guten Ruf im Mittzwanziger-Indie-Publikum; außer es findet einen Weg ihn zu ironisieren.
Immer wieder aber schaffen es Pop-Musiker mit ihrer Musik Hörer ehrlich zu erreichen, die Pop sonst nur feiern, wenn sie ein »Trash-« vorne anschieben können. Rhye sind so ein rares Beispiel. Das Duo besteht aus Mike Milosh (männlich mit sehr weiblicher Stimme) und Robin Hannibal (von der dänischen Gruppe Quadron) – zusammen machen die beiden Pop; richtig mit Gesang und eingängigen Melodien. Werden aber ernstgenommen. Warum? Weil sie den Eindruck vermitteln, dass die Sinnlichkeit in ihrer Musik aufrichtig ist. Der Hörer fühlt sich, als würde er intimen Momenten beiwohnen – Momente, die nicht klischeehaft sind, deren Darstellung reif ist. Rhye wollen mit ihrer Musik keine Emotionen im Stile von Schweighöfer-Komödien vermitteln, die auf den flachen Humor von deutschen Klischee-Romantikern abzielen; die Musik entsteht aus Gefühlen. »[Unsere] Gefühle und Emotionen diktieren die Songs – wir lassen sie sich einfach entfalten«, sagte Milosh dem Interview Magazin.
Die visuelle Seite der Musik ist ein wichtiges Transportmittel dieser Gefühle. »Letztendlich sagt das, was die Band veröffentlicht, etwas über dich als Künstler und deine Werte aus«, erklärt Milosh die Intention hinter den Videos. »The Fall« ist ihr bisher bekanntestes: Ein Mann am Ende seiner 30 verspürt das Verlangen wieder mit Anzug und Alkohol in die Badewanne zu steigen. Midlife-Crisis. Das Revolutionäre daran ist nicht das Thema an sich, sondern wie sensibel es dargestellt wird. Rhye fahren nicht auf, sondern halten im richtigen Moment den Ball flach. So verhindern sie, dass alltägliche Emotionen zum Klischee verkommen. Das Video zu »Open« ist ein weiteres Beispiel: Hier wird Liebe gemacht. Das passiert andauernd auf der Welt. Doch wird öffentlich dargestellter Sex oft zur Kunstform überhöht, oder dreht sich um männliche Potenz und weibliche Reize. Nur in »Open« wird nicht gefickt – dargestellt wird Zweisamkeit; nah und zerbrechlich. Ein Betrachter ist eigentlich überflüssig. Und hierin heben sich Rhye von anderen Pop-Künstlern ab: Durch Ehrlichkeit und Intimität.»Wir wollen die Balance halten und unsere Musik zwar veröffentlichen, aber geschmackvoll bleiben. Die Spitze der Charts ist nicht Ziel des Spiels; die Ohren der Leute sind es.«
Es gibt eine Version des Videos, in der Milsoh seiner Frau den Song vorsingt. Man beobachtet eine tatsächliche, private Liebesbekundung. So hält der Soul Einzug in Rhyes Pop-Musik. »Ich glaube, der Schlüssel dazu, ›soulful pop-music‹ zu machen, ist dem zu folgen, was du instinktiv willst, wenn du an einem Song arbeitest«, erklärt Milosh. Nun singt die Band ihre Songs nicht nur ihren eigenen Frauen vor. Das alles findet öffentlich statt; Videos werden gedreht, Platten gepresst. Ihr Debütalbum »Woman« ist auch eine Ode an das weibliche Geschlecht im Allgemeinen. Kann Intimität überleben, wenn sie mit einem Publikum geteilt wird? Milosh spricht von einer Balance: »Das ist etwas, was uns beschäftigt. Wir wollen die Balance halten und unsere Musik zwar veröffentlichen, aber geschmackvoll bleiben. Die Spitze der Charts ist nicht Ziel des Spiels; die Ohren der Leute sind es.«
Was, wenn es irgendwann doch die Ohren des Nachbarskind von Nebenan sind? Letztendlich sollte es egal sein, ob man das gleiche hört wie »Julia,16«. Man sollte eine Band nicht darüber charakterisieren, wer sie sonst noch hört – denn kalkulierter Konsum ist genauso fehl am Platze, wie kalkulierter Output.