Die Queen ist nicht tot, The Smiths jedoch schon. Während Elizabeth II bereits ihren Ehemann überlebt, konnten es die Band aus Manchester nur ein paar Jahre miteinander aushalten. Doch mehr braucht es nicht – in fünf Jahren und vier Alben schafften sie es, sich in die Musikgeschichte einzubrennen. Eines der womöglich prägendsten Releases ist ihr 1986 erschienenes drittes Studioalbum »The Queen is Dead«. Damals wie auch heute steht der Bandname fast synonym für den Frontmann Morrissey. Vor kurzem empört über eine Satire seiner selbst in einer Episode von »The Simpsons« oder mit äußerst fragwürdigen Einstellungen gegenüber Großbritanniens Migrationspolitik sorgt der Brite immer wieder für Schlagzeilen. Das ist nichts Neues. Auch vor Veröffentlichung von »The Queen is Dead« prangerte er öffentlich die Musikindustrie und sogar das eigene Label Rough Trade an, sie würden sich nicht genug um die Band kümmern. Nicht zuletzt hieß das vorherige Album »Meat Is Murder«, ein eindeutig provozierend gewählter Titel. Und damals wie auch heute weiß Morrissey ganz genau: Seine spitze Zunge ist seine beste Waffe.
The Queen Is Dead
The Smiths sezieren die englische Gesellschaft aus Sicht des durchschnittlichen Mannes, der sich in Liebesbeziehungen verliert und Wut gegenüber der politischen Führung und Traditionalismus hegt. Morrisseys lyrische Extravaganz verwandelt diese Perspektive in Szenarien, in denen er wie im Titeltrack die Queen als »Lowness« (im Gegensatz zum formalen »Your Royal Highness«) bezeichnet sowie gegen das Königshaus pöbelt. Die Band lässt ihren Frust gegenüber der eingestaubten englischen Gesellschaft und dem neoliberalen Regierungsstil Margaret Thatchers in den 1980er Jahren aus. Und je pikanter die Themenwahl ist, desto mehr zwinkert uns Morrissey in seinem Songwriting bitterbösen Sarkasmus zu. So zeichnet er im selben Track, sich wohl vollkommen dessen humoristischer Wirkung bewusst, das Bild von Prinz Charles im Hochzeitsschleier seiner Mutter. Der schwarze Humor der Band kommt nicht zuletzt auf Songs wie »Vicar In A Tutu« oder »Some Girls Are Bigger Than Others« zutage. Vor Ironie triefend besingt Morrissey die gesellschaftlich verzerrte Vorstellung weiblicher Körper zu einer unschuldig süßen Jangle-Pop Melodie.
Politisch wie auch emotional provozierend, so sehr, dass einem gerne ein Schmunzeln entfährt, gibt sich Morrissey als der ewig missverstandene Sad-Boy des Indierock.
Und auch, wenn sich The Smiths in die Welt der Gefühle begeben, gibt es keine kleinlauten Worte, kein vermeintlich neutrales Dazwischen-Stehen – egal welches Thema, The Smiths sind all in. Es wird mit Provokationen um sich geworfen, im Herzschmerz gesuhlt oder sich vollkommen der Liebe hingegeben. Politisch wie auch emotional provozierend, so sehr, dass einem gerne ein Schmunzeln entfährt, gibt sich Morrissey als der ewig missverstandene Sad-Boy des Indierock. Mit offenbar chronisch gebrochenem Herz und klagendem Unterton widmet er »I Know It’s Over« einer gescheiterten Liebesbeziehung, die so sehr schmerzt, als würde man lebendig begraben werden. Morrisseys belegte Stimme, mit der er die Vokale besonders langzieht, gepaart mit einem sich wiegenden Bass und schalem Schlagzeug versprühen eine derartig intensive Dramatik, dass Ironie gleich mitschwingt. The Smiths‘ Liebeslieder haben etwas Verklärtes, Liebe ist hoch romantisiert und die rosarote Brille ruft eine Theatralik hervor, die auch in »There Is A Light That Never Goes Out« zum Vorschein kommt. Heutzutage wäre der Track sicherlich als toxische Beziehung verschrien, in dem sich Morrisseys Vernarrtheit und gleichzeitige soziale Isolation so ausdrückt, dass selbst der Gedanke, mit seiner Geliebten in einem Unfall zu sterben, ihm Freude bereitet. Morrissey suhlt sich im Herzschmerz, geht so sehr darin auf, dass man das Gefühl hat, es gäbe ihm (und ebenso den Hörer*innen) eine masochistische Freude.
Die lyrischen Provokationen Morrisseys gehen in der musikalischen Untermalung, besonders im Gitarrenspiel Johnny Marrs, auf. Dieser spielt jede Melodie so fluffig leicht, seine hallenden Akkorde fliegen nur so umher und die Arpeggios tänzeln elegant. Auch Bassist Andy Rourke und Schlagzeuger Mike Joyce verwandeln fast jeden Song in einen potenziellen Radiohit. Bestes Beispiel ist wieder der Titeltrack. Dort rollen die Drums im Kreis und die Wah-Effekte von Johnny Marrs Gitarre erzeugen eine sich überschlagende und dadurch umso treibende Melodie. Das verträumte Spiel mit Elementen aus Post-Punk, Alternative Rock und Jangle-Pop verwandelt »The Queen Is Dead« trotz lyrischer Stichelleien in einen dichten und überraschend harmonischen Klangschwall. Und was davon nach 35 Jahren übriggeblieben ist? Die Queen lebt noch, die Trennung hat man trotz über dem Kopf zusammenbrechender Welt überlebt, doch das Opus Magnum der Smiths klingt auch nach so langer Zeit noch erfrischend eigenwillig.