Die 1980er Jahre begannen nicht mit einem Knall, sondern vertrackt. Kein gerader, harter Beat, dafür Polyrhythmen und viel Funk. Bei den Talking Heads jedenfalls. Der Klang der Band, die mit Songs wie »Psycho Killer« bekannt geworden war, hatte sich 1980 gegenüber ihren Anfängen in Post-Punk und New Wave merklich gewandelt. Und nicht nur der Klang, auch die Struktur ihrer Songs war anders geworden. Statt konventionell gebauter, klar unterschiedener Strophe-Refrain-Konstruktionen gab es jetzt vorwiegend Loops, mit einem stoisch reduzierten Schlagzeug, einem Bass, der oft kaum mehr als eine Zählzeit pro Takt in Erscheinung tat und einem Geflecht aus Percussion, Gitarren und Keyboards darüber als Grundzutaten.
Die für heutige Popbegriffe einigermaßen handelsübliche Form der Songs war Ergebnis einer Krise der Band gewesen. David Byrne hatte in der Vergangenheit das Material weitgehend im Alleingang geschrieben, die übrigen drei Musiker fühlten sich weniger als Bandmitglieder denn als ausführende Interpreten. Man nahm daher den von minimalistischem Afrobeat geprägten Song »I Zimbra« ihres Albums »Fear of Music« (Vinyl LP) als Arbeitsmodell für die nächste Platte. Eine Strategie, die nicht nur unter bandintern partizipativen Gesichtspunkten eine sinnvolle Entscheidung war.
Mit Produzent Brian Eno einigte man sich dann auf eine Herangehensweise, die ihre wesentliche Inspiration aus Fela Kutis Afrobeat-Klassiker »Afrodisiac« (Vinyl LP) von 1973 schöpfte. Eno hatte seit einiger Zeit die Vorzüge des Schaffens Kutis und seines Schlagzeuger Tony Allen gepriesen, war unter westlichen Kollegen damit aber nur auf mäßige Gegenliebe gestoßen. David Byrne hingegen hatte seine Offenheit für Enos Interessen schon auf ihrem gemeinsamen Album »My Life in the Bush of Ghosts« in größerem Maßstab unter Beweis gestellt. Auf »Remain in Light« (Vinyl LP) sollten dann die Sample-Schleifen des Duos in Bandformat überführt und eine Verbindung zur bisherigen musikalischen Entwicklung der Band hergestellt werden.
Wenn man die Platte in den 1980er Jahren zum ersten Mal hörte, ohne Kenntnis der Entstehungsgeschichte und ihrer Inspiration, wirkte die Musik ein bisschen wie aus dem Nichts auf die Erde geplumpst. Man hörte einen maximal repetitiven New Wave von stark Funk-lastiger Ausprägung, dazu reichlich in die Track-artigen Gebilde hineingewirkte Zugaben, die man früher in Ermangelung eines schöneren Worts unter »Weltmusik« führte.
Allein die Percussion wurde von sieben Instrumentalisten bedient, darunter die komplette Besetzung der Talking Heads, ebenso Eno und als Gastmusiker Jose Rossy und Robert Palmer (ja, der von »Johnny and Mary«). Am beeindruckendsten kam diese kollektivierte Trommelarbeit in der monolithischen Ekstase-Hymne »The Great Curve« zum Tragen, die nicht nur dank der verschachtelten Polyrhythmik und einer mit sechseinhalb Minuten für Pop-Songs beachtlichen Länge, sondern auch durch die ineinandergreifenden Call-and-Response-Gesängen wohl den Verfahren Fela Kutis am nächsten kam.Wenn man die Platte in den 1980er Jahren zum ersten Mal hörte, ohne Kenntnis der Entstehungsgeschichte und ihrer Inspiration, wirkte die Musik ein bisschen wie aus dem Nichts auf die Erde geplumpst.
Aus heutiger Sicht bildet »Remain in Light« die Blaupause schlechthin für jüngere Ansätze, Afrobeat oder überhaupt andere kulturelle Einflüsse in den angelsächsischen Pop-Kosmos zu integrieren. Man könnte genealogische Verbindungslinien selbst bis zum globalisierten R&B der Gegenwart ziehen. Die Talking Heads arbeiteten lediglich auf dem Stand ihrer Zeit, mit den Stilen, die ihnen zur Verfügung standen.
Mit seinen Texten gibt Byrne auch heute noch einige Rätsel auf, von der ersten Nummer »Born Under Punches« an. »Take a look at these hands«, lautet die Aufforderung am Anfang des Songs, »the hands of a government man«. Analytisch kommt man da vermutlich nur begrenzt weit. Im zweiten Titel »Crosseyed and Painless« schließlich gibt es diesen wunderbaren Rap, der vielleicht weniger seines Flows als seiner Botschaft wegen aufmerken lässt:
»Facts are simple and facts are straight / Facts are lazy and facts are late / Facts all come with points of view / Facts don’t do what I want them to / Facts just twist the truth around / Facts are living turned inside out / Facts are getting the best of them / Facts are nothing on the face of things«.
Irgendwie reibt man sich bei diesen Zeilen ungläubig die Augen – oder besser die Ohren: War das gerade ein sehr früher Kommentar zu den postfaktischen Verlautbarungen Donald Trumps und seiner Kohorten? Wobei Byrne, genau genommen, den Fakten nach wie vor ihre Realität zugesteht und die Zuflucht zu »alternativen Fakten« bei ihm als Option noch keine Rolle spielt. Er gibt bloß assoziativ zu bedenken, dass Fakten immer in bestimmten Zusammenhängen auftauchen und, wenn man sie aus diesen herauslöst, an Aussagekraft verlieren oder prima zu Manipulationszwecken missbraucht werden können. Man sehnt sich leicht wehmütig zurück zu dieser guten alten Welt der harten Fakten.
Finanziell war die Platte kein großer Erfolg, trotz großen Lobs der Kritik. Rückblickend muss man zudem sagen, dass sie der letzte wirklich große Moment der Talking Heads blieb.
Dieser Moment hält dafür bis heute an.