Wie ein kompletter Haufen Müll sahen ihre Instrumente aus. »Es sah aus, als ob sie nur noch Klebeband zusammenhält – und bei manchen war es so«, sagte Produzent Nick Sansano. Auf den Rücken der Gitarren befanden sich Notizen über die verschiedenen Tunings für die verschiedenen Songs. Aber sonst? Stand da vor Sansano im Büro der Greene Street Studios in Soho eine sehr normale Band. Und jene Band sollte in den nächsten Tagen und Wochen eines der wichtigsten Alben der Musikgeschichte aufnehmen.
Sonic Youth hatten sich bereits 1981 gegründet. Ihr Sound pendelte zwischen Noise und No Wave, war zudem tief in der New Yorker Subkultur verwurzelt. Erste Alben wie das selbstbetitelte Debüt oder »Confusion is Sex« lassen sich im 21. Jahrhundert kaum noch verstehen, damals gehörte dieser Krach in die Clubs, heute in die Kunsthallen. Doch bereits danach folgten mit »EVOL« und »Sister« zwei Platten, deren Songs es durchaus auf die Playlists der College-Radiosender schafften.
Allerdings war die Band stets unzufrieden mit ihrem Sound auf den bisherigen Alben. Besonders auf der Bühne entwickelten Sonic Youth eine einmalige Energie. Ihre schiefgestimmten Gitarren bearbeiteten Thurston Moore und Lee Ranaldo teilweise mit Gabeln oder Drumsticks, Kim Gordon hörte sich als Bassistin und Sängerin stets so an, als ob sie jedes Wort und jeden Ton mit Gewalt aus sich zwingen müsste, während im Hintergrund Steve Shelley einfach nur die konkreten Gerüste im Rhythmus verankerte, um diese Dynamik zu strukturieren. Erst mit ihrem fünften Album durften sie zufrieden sein.»Ich zieh mir den Pulli vor dem Spiegel aus, ›Teenage Riot‹ im Reihenhaus.«
Tocotronic in »Electric Guitar«
Denn auch durch die Arbeit von Nick Sansano fingen Sonic Youth endlich ihren markanten Sound auf einem Album komplett ein. Bereits mit »Teenage Riot« baut sich von den ersten Sekunden eine unheimliche Spannung auf, alles wirkt auf die ersten Momente unruhig, hektisch geradezu, hell und grell. Die Songs spielten Sonic Youth bereits zuvor immer wieder auf Konzerten, etwa im legendären CBGB. Es gab zwar noch keine Namen, teilweise nicht einmal die Texte zu den Stücken, aber die Band konnte sich so während der Aufnahmen viel besser auf die Essenz der Songs und ihre Dynamik fokussieren.
Allerdings war jegliche Form der Musik mit Gitarren zu dieser Zeit durch. Hip-Hop hatte sich als das nächste große Dinge herauskristallisiert. N.W.A. veröffentlichten im selben Jahr gerade ihr Debüt »Straight Outta Compton«, Public Enemy brachten mit »It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back« ebenfalls einen Meilenstein der Popkultur heraus.
Die Kompromisslosigkeit und das Anderssein von »Daydream Nation« brachte auf einmal diesen gitarrenlastigen Sound wieder in die Aufmerksamkeit, für Sonic Youth gab es lobende Besprechungen etwa in der New York Times und dem Rolling Stone. Die Ironie und das Politische dieses Albums kamen wie ein Schlag, die überlangen Songs entsprachen so überhaupt nicht der angesagten Ästhetik dieser Zeit. »Kissability« rasiert ganz in der Tradition der Riot Grrrls den schmierigen Sexismus zwischen Casting Couch und Blitzlicht, »Eric’s Trip« arbeitet mit einem Monolog aus dem Film »Chelsea Girls« von Andy Warhol. Und bei aller Nichtkonformität: Dieses Album war bereits am Erscheinungstag eher ein Kunstwerk, was die wenigen kritischen Reaktionen bis heute bemerken.
Und nach den über siebzig Minuten dieser Platte ist klar: Nur zerbrochene Gitarren konnten diesen Geist, diese Zeit, diese Atmosphäre einfangen. :»Daydream Nation« definierte jedoch den Sound von Sonic Youth wie kein anderes Album in ihrer langen Karriere. Nie gehörten sie so sehr zur Szene, zur populären Subkultur New Yorks wie hier. Danach ging es mehr und mehr in Richtung Alternative Rock für Angestrengte. Dieses Album markierte den Wendepunkt, nach ihrem Deal mit Enigma über »Daydream Nation« ging es danach zu Geffen Records für »Goo« und »Dirty«, die wieder deutlich konventionellere Strukturen im Songwriting aufwiesen. Wirkte »Daydream Nation« wie das Brodeln einer Zeit, wie eine Vielzahl von Stimmen, die sich zu einem Panorama fügen, blieben die folgenden Alben eben einfach nur Alben mit ein paar guten Songs, erst »Washing Machine« hob ihren Sound wieder in andere Sphären, in einen besseren Fluss.»Und nach den über siebzig Minuten dieser Platte ist klar: Nur zerbrochene Gitarren konnten diesen Geist, diese Zeit, diese Atmosphäre einfangen.«
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