»Ich hasse Slowdive mehr als Hitler«, soll einst Richey Edwards von den Manic Street Preachers gesagt haben. Was selbst für die britische Musikszene Anfang der 90er eine steile These war. In diesen wenigen Worten drückt sich die Verachtung für eine Band aus, die kurz zuvor noch als Liebling der Presse galt: Slowdive gründeten sich Ende der Achtzigerjahre, Rachel Goswell und Neil Halstead hatten da gerade die Schule abgeschlossen. Gemeinsam mit Schlagzeuger Adrian Sell, bald durch Simon Scott ersetzt, und den Gitarristen Nick Chaplin und Christian Savill waren sie das angesagte Ding, eine der Bands der Stunde, was zwei EPs belegten. Doch bereits mit ihrem Debütalbum änderte sich fast alles.
Souvlaki
Slowdive bekamen hier und da positive Reviews für »Just for a Day«, die Häme setzte allerdings auch ein. Eine gigantische Enttäuschung sie die Platte, hieß es unter britischen Musikjournalisten, die sich damals Grunge und Britpop zuwandten. Drummer Simon Scott sagte knapp zwanzig Jahre später in einem Interview mit Drowned in Sound: »Es hat uns betroffen gemacht, denn wir waren damals alle Teenager und konnten nicht verstehen, warum die Leute so empört über unseren Sound waren, dass sie dem NME oder wem auch immer sagen mussten, dass sie uns tot sehen wollten.« Dabei fühlte sich die Band selbst auf ein Podest gehoben, auf das sie gar nicht wollte, wie die Mitglieder in verschiedenen anderen Interviews sagten.
Die Band fühlte sich auf ein Podest gehoben, auf das sie gar nicht wollte
Während ihrer Tour durch Europa 1992 begann die Band mit den Arbeiten an »Souvlaki« – am Ende standen vierzig Songs, die beim Labelchef von Creation Records nicht auf viel Gegenliebe stießen. Also, alles wieder auf Anfang. Die Band kontaktierte nach ihrer Rückkehr ins Vereinigte Königreich Brian Eno. Er solle die Produktion übernehmen, was Eno ablehnte. Stattdessen wollte er mit der Band gemeinsam aufnehmen. Eine der wirrsten Erfahrungen von Halstead, die zum Song »Sing« führte. Überhaupt flossen allerlei Einflüsse aus Ambient, Dream Pop und Dub in den Sound dieses Albums ein. Dass sich Halstead und Goswell während dieser Zeit trennten, tat ihr Übriges zu einer sehr aufreibenden Aufnahme. Am Ende entstand ein herausragendes Album, das am 01. Juni 1993 erschien.
Eine Welle, die niemals bricht
In den zehn Songs treiben Slowdive ihre Variante von Shoegaze in einen so einzigartigen Sound, dass sich die ganze Platte wie ein dichter Traum daherkommt. Wie ein gigantischer Sonnenaufgang legt sich »Souvlaki Space Station« über den Hörer, die Gitarren heulen und säuseln, ertränken fast den kompletten Rhythmus. Gleich mehrere Effekte unterstützen die Drums. Mit »When The Sun Hits« zieht all dies weiter den Horizont entlang, der Himmel öffnet sich. Dabei stets so komponiert, dass nichts aufdringlich daherkommt. »Souvlaki« fordert nicht ein. Dieses Album ist nur da, ein Sound, so endlos fern, so abstrakt und doch so nah, so voller Schmerz und Liebe. »Dagger« setzt den unaufgeregten Schlusspunkt zu Akustikgitarre auf diesem Album: » I thought I heard you whisper, it happens all the time.«
Heute gehört »Souvlaki« zu den Klassikern des Genres, trotz oder gerade wegen seiner vielen Einflüsse und verschiedenen Ansätze, die am Ende eben doch zu einer Welle an Sound wurden – jedoch nicht zu einem gewaltigen Sturm wie bei vielen anderen Bands, nicht zu einem brachialen Monstrum wie auf »Loveless« von My Bloody Valentine«, sondern zum Soundtrack eines überirdischen Moments voller Details und Emotionen.
Nach ihrem dritten Album »Pygmalion«, mit dem sich Slowdive noch mehr dem Ambient annäherten, ließ ihr Label sie fallen. Es folgte eine fast zwanzigjährige Pause, die Slowdive mit mehreren Festival-Auftritten, Konzerten und ihrer vierten, selbstbetitelten Platte Mitte der 10er beendeten. »Souvlaki« galt da bereits längst als der Klassiker. Ein Meisterwerk bis in alle Zeit.