Records Revisited – Run-DMC – Run-DMC, 1984

12.05.2015
Es gibt wenige Alben, die echte Game Changer gewesen sind. Run-DMCs selbstbetiteltes Debütalbum aus dem Jahre 1984 war so eines. Es brach mit Traditionen und brachte Rap zurück zu sich selbst.

1983 war noch alles entspannt im Hip Hop Land.

Zwar versuchten sich Jazzlegende Herbie Hancock und Sex Pistols‘ Manager Malcom McLaren als erste Musikmagnaten an Rap. Alles in allem wurde Rap jedoch immer noch als niedliche Nische betrachtet. Musikalisch beherrschte der durch Afrika Bambaataa etablierte Electro-Sound das Feld. Der Party-Appeal stand an vorderster Stelle. Das Klangspektrum war minimalistisch seicht – mit verhaltenen Disco-Erinnerungen hier und dort. Humoristisches Popping und Locking war der Move der Stunde.

Dementsprechend sahen die MCs und DJs aus wie eine Mischung zwischen Parliament-Karneval, Glam-Rock-Trash und Miami Vice-Schick. Enge Lederhosen, Nieten, bunte Hüte, bauchfreie Tops oder in die Hose gestecktes Hemd gehörten zum klassischen Fashion-Statement. Scheinbar versuchte noch immer jeder, bei »Soultrain« unterzukommen.

Auf der Flucht und zurück
Hip Hop rutschte in diesem Zeitraum in seine erste Identitätskrise. Wollte man weiterhin diesen Karneval weiterfeiern, der zwischen Eskapismus und Trash ein kleiner Gimmick im Poptheater war? Eine Randnotiz im Chart-Sumpf, verniedlicht und bunt verpackt? Weit weg von der eigenen Situation und Identität?

Das Leben vieler B-Boys und B-Girls sah zumindest anders aus als die bunten Klamotten und gediegenen Synth-Electro-Tracks. Die Bronx war im wahrsten Sinne ausgebrannt. Kokain beherrschte die Szene. Trotz sinkender Kriminalitätsraten in den Jahren 1983 und 1984 herrschte in der 18 Millionen-Stadt New York City alles andere als Sorgenfreiheit. 161.000 Gewalttaten, knapp 2.000 Morde und 5.300 (gemeldete) Vergewaltigungen waren 1983 nur die Ouvertüre zu den noch kommenden Crack-Jahren. Trotz allem klebte Rap noch immer in der Disco-Ära fest.

Als 1984 »Run-DMC« erschien, war der Electro-Sound zwar seit einem Jahr Standard, jedoch weiterhin im weichgespülten Disco mit netten Synth-Melodien verhaftet. Russell Simmons setzte dagegen auf den kalten, brutalen Groove der Drummaschine – und erschuf so den Soundtrack der Straße.

Zu viel Musik*
Joseph Simmons, Darryl McDaniels und Jason Mizell hätten beinahe selbst in diese Kerbe geschlagen. Eigentlich wollten Simmons und Daniels ganz traditionell als The Dynamic Two oder Treacherous Two die Welt erobern. Joseph Simmons Bruder Russell – gerade mit dem Aufbau von Def Jam Records beschäftigt – sah sowohl das Potential als auch die Unbedarftheit der Drei. Für ihn hatte die aktuelle Rap-Musik zu viel Musik und war zu wenig B-Boy. So verschaffte er seinem Bruder zwar einen Plattendeal mit Profile Records, behielt hinter den Kulissen jedoch die Zügel in der Hand.

Nicht nur setzte er für das Trio den Bandnamen Run-DMC Zusammen mit dem Co-Producer Larry Smith und dessen Band Orange Krush entledigte er die Musik auch aller überflüssigen Elemente. Das Herzstück des selbstbetiteltes Debütalbums wurde die Roland TR-808. Als 1984 »Run-DMC« erschien, war der Electro-Sound zwar seit einem Jahr Standard, jedoch weiterhin im weichgespülten Disco mit netten Synth-Melodien verhaftet. Russell Simmons setzte dagegen auf den kalten, brutalen Groove der Drummaschine – und erschuf so den Soundtrack der Straße. Neben diesem auditiven Insichkehren zur Realität der B-Boys und B-Girls dachte Simmons zugleich weiter und öffnet den Rap nach außen – einer neuen, weißen Zielgruppe: Rock und MTV.

Think global, act global
So steht der extrem unterkühlte, knochentrockene Drum-und Percussion-Sound des Albums »Run-DMC« dem headbangenden Rock-Rhythmus viel näher als dem Klatsch-Schunkelrhythmus des Oldschool-Raps, der mit Run-DMC zugleich auch sein Ende fand. Die beiden MCs Run und DMC verlängerten diesen Sound an den Mikrofonen. Ihre Stimmen standen nicht nur kurz vor dem Schreien. In ihren Texten spiegelten sie zudem entweder dystopische Realitätsbilder oder verteilten verbale Tiefschläge an andere MCs. Sie drehten die bekannte Selbstverherrlichung der MCs nach außen und feuerten in Wellen Breitband-Disse gegen andere MCs.

Für Russell Simmons war das nicht genug. Er dachte größer. Er dachte an Image, an Fashion und Credibility. In Jam Master Jay fand er seinen Blueprint: Ein DJ mit Street Credibility, stets in schlichtem, schwarzen Leder gekleidet, mit schwarzem Fedora-Hut und von ihren Schnürsenkeln befreiten Sneakers. Letzteres war ein besonders klares Fashion-Statement in Richtung Gefängnis-Kultur. Dort waren wegen der Selbstmordgefahr Schnürsenkel verboten. »Als wir begannen, trugen wir keine Kostüme«, erklärte DMC 1986 in einem Interview. »Denn Run-DMC haben mit Gimmicks nichts am Hut. Wir tragen auf der Bühne einfach das, was die Jugend trägt.« Run-DMC machte das zur erfolgreichsten Rap-Band aller Zeiten. Kein Wunder, dass seitdem alle Rapmusiker dermaßen ihre Authentizität betonen.