Records Revisited – Manfred Krug’s Ein Hauch von Frühling, 1972

24.04.2014
Eigentlich hätte es diese Platte gar nicht geben dürfen. Mit seiner Mischung aus Humor, Wortdreherei und Nonchalance hat Manfred Krug es 1972 geschafft, ausgerechnet in der DDR die beste deutsche Soul-Platte aller Zeiten aufzunehmen.

»Ich bin der Meinung, Genossen, mit der Monotonie des Yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen!«. So tönte 1965 Walter Ulbricht, das Staatsoberhaupt der DDR, auf dem berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED und leitete damit die wohl härteste Zäsur der DDR-Kulturpolitik ein. Die bis dato geduldete und teilweise sogar geförderte Musik des Jazz und Beat wurden zum »Versuch westimperialistischer Drahtzieher, die akustische Kriegsvorbereitung in die DDR zu tragen« umdekliniert. Die Künstler der DDR wurden so in ihre Grenzen gewiesen. Konformismus, Harmlosigkeit und Agitation waren die neuen Kernwerte.

Dennoch brillierte nur ein Jahr später Manfred Krug in Frank Beyers Kultfilm »Spur der Steine«. Darin spielte der gefeierte Schauspieler und Sänger einen aufmüpfigen Brigade-Leiter, der so gar nicht in den 5-Jahresplan passte. Zwar wurde der Film nach nur drei Tagen aus den Kinos genommen. Dass er überhaupt entstehen und in die Kinos kommen konnte, zeigte allerdings, dass man mit Kreativität, Witz und ein wenig Dickköpfigkeit auch in der restriktiven DDR einen – wenn auch kurzlebigen – Treffer landen konnte. Kunst war und ist stets eine Frage der Interpretation. Und wer als Künstler clever genug war, wusste dies für seine Zwecke zu nutzen. So erschienen gerade in diesen Jahren nach der Zäsur ein paar der eindrucksvollsten und spannendsten Musikveröffentlichungen der DDR-Geschichte, die sich fern vom Parteiprogramm leidenschaftlich auf Jazz, Funk, Soul und den »Philly-Sound« stürzten. Im Jahr 2000 zeigte die Compilation »Amiga A-Go-Go«, dass sogar Schlagersterne wie Chris Doerck, Veronika Fischer und Uschi Brüning oder auch der 2013 verstorbene Reinhard Lakomy (»Traumzauberbaum«) kurzzeitig funky und dreckig gewesen sind – bevor sie zur Räson gebracht und in die Untiefen des Schlagers und Soft-Rocks getrieben wurden.

Auf der Compilation findet sich auch der Titel »Komm und spiel mit mir« von Manfred Krug. Das Stück stammt von dessen Album »No. 2: Ein Hauch von Frühling«, welches er 1972 mit dem später erfolgreichen Filmkomponisten Günther Fischer aufgenommen und auf Amiga veröffentlicht hatte. Dass dieses Album je das Tageslicht gesehen hat und dazu noch fast unbeschadet über längere Zeit, gleicht eigentlich einem Wunder. Denn hier waren eine Reihe verpönter Langhaarzottel, die sieben Jahre nach der Zäsur verpönten Jazz und Soul machten und es mit der vorgegebenen Ernsthaftigkeit nicht so hatten.

CITI:»Die Frage, ob denn die leise Tendenz zur Wehmut auf dem Album beabsichtigt sei, kontert Krug dementsprechend mit einem ›Lieber eine kräftige Traurigkeit, als einen schlappen Optimismus.‹ Mehr Politik ging eigentlich nicht auf einem Amiga-Cover.«:### Dass es dennoch geklappt hat, ist sowohl Krug als auch Fischer zu verdanken. Ihr Winkelzug war eine von der Partei bevorzugte Musikreferenz: der Schlager. Nicht dass »Ein Hauch von Frühling« jemals in diese Schublade fallen würde. Manfred Krug legt der Veröffentlichung und am Ende auch den Kulturverantwortlichen aber einfach die richtige Interpretation in den Mund und tarnt das ganze auch noch als objektive Beweisführung. Dazu ließ er sich auf der Rückseite des Plattencovers von der Journalistin »Isa Karfunkelstein« interviewen, die verwundert fragt, warum denn die Musik gegenüber der Stimme so laut ist. Krugs Antwort: »Es ist Schlagermusik, Tanzmusik, die Platte wird auf Partys laufen. Deshalb sollten Chor und Sänger möglichst in Musik und Rhythmus eingebettet bleiben.« Klingt logisch. Das Uminterpretieren zu Schlager, der Fakt dass sich Manfred Krug an dieser Stelle selbst interviewte und auch der Textschreiber Clemens Kerber nur ein weitere Zunge des gewitzten Sängers war, beweist nicht nur Krugs ungemeinen Humor, es zeigt auch, dass er dieses ganze Politik-Trara einfach nicht ernst nehmen wollte. Isa Karfunkelsteins Frage, ob denn die leise Tendenz zur Wehmut auf dem Album beabsichtigt sei, kontert Krug dementsprechend mit einem »Lieber eine kräftige Traurigkeit, als einen schlappen Optimismus.« Mehr Politik ging eigentlich nicht auf einem Amiga-Cover.

Natürlich ist »Ein Hauch von Frühling« keineswegs ein per se politisches Werk. Es wird im Kontext der Verhältnisse dazu. In der Essenz sind die neun Titel grandios komponierter Soul und Jazz, dem Manfred Krug mit seiner lustvollen Performance ein regelrecht überschwängliches Leben einhaucht. Die Texte kreisen in der Mehrzahl um Liebe und Liebeskummer, Finden und Verlieren. »Komm und spiel mit mir« fragt in einfacher Form, was eigentlich nach dem ersten Hormonschub kommt. Und »Schau nicht hin« ist bei weitem das herzzerreißendste und ehrlichste Lied über das Verlassenwerden, das die deutsche Musikwelt je hervorgebracht hat. Krug leidet durch all diese Emotionen mit hoher Kopfstimme, die eher an Marvin Gaye und Curtis Mayfield als an seine tiefe Sprecherstimme als »Liebling Kreuzberg« erinnern. Er croont zusammen mit dem Reinhard Lakomy Chor, nimmt sich selbst ins Duett und vor allem nie zu ernst. Man kann stets das Lächeln heraushören, das schon fast in ein schelmisches Grinsen übergeht, weil hier etwas möglich wird, das in dieser Ungezwungenheit eigentlich verboten gehört. Der Abschlusstitel »Baden gehn« ist dermaßen dadaistisch, dass hinter dem Nonsense-Text über das Wadensehen eigentlich eine politiksatirische Finte stecken MUSS. Günther Fischer untermalt diese Performance mit komplexen Kompositionen, die stark inspiriert waren vom Streicher-Soul eines Isaac Hayes, aber v.a. auch von der freigeistigen, westlich geprägten Experimentierfreude der Polish Jazz Serie. Durch ständige Rhythmus- und Tempowechsel und dem hochdynamischen Spiel eines Wolfgang »Zicke« Schneider an den Drums bleibt die Komplexität dennoch immer leicht und verspielt und somit doch genau die Partymusik, die Manfred Krug versprochen hat. Das Wolf-im-Schafspelz-Spiel konnte natürlich nicht ewig gut gehen. Manfred Krug reiste 1977 aus der DDR aus. Für Günther Fischer dauerte es noch etwas länger. Er wurde erst nach der Wende als IM der Stasi bekannt und soll Manfred Krug jahrelang bespitzelt haben.

Bisher in dieser Reihe erschienen:
Dr Dre’s The Chronic, 1992
Paul Simon’s Graceland, 1986
Ice T’s Rhyme Pays, 1987
Gil Scott-Heron’s Small Talk At 125th And Lenox, 1970
Bob Dylan’s Blonde On Blonde, 1966
Ornette Coleman’s The Shape Of Jazz To Come, 1959