Records Revisited: LFO – Frequencies (1991)

22.07.2021
Die niederfrequenten Schwingungserzeuger LFO aus Leeds schufen mit »Frequencies« eines der ersten Techno-Alben. Ihre hohen Bleeps und tiefen Clonks haben Technogeschichte geschrieben. Bis heute kann, äh, muss man dazu tanzen.

»House? What is house? KLF, Technotronic, or something you just live in?« Selbstverständigung über das eigene Treiben zum Auftakt eines Albums, das ist für eine Platte mit Clubmusik eine ganz schöne Menge an Diskurs. War aber zu Beginn der 1990er Jahre vielleicht nötig, ebenso wie der trotz elektronisch verzerrter Stimme durch diese Fragen hindurchschimmernde Humor. Der Wumms, der als Techno tiefenbetont von einer neuen Zeit gekündet hatte, war immerhin noch recht frisch. Auch führten die Leute damals gern erhitzte Debatten darüber, ob man diese »programmierten« Klänge, für die weder Schlagzeuger noch Bassisten bezahlt werden mussten, überhaupt als Musik bezeichnen könne.

Als hätte es das nicht alles in den Achtzigern schon gegeben. Um Frankie Goes to Hollywood gab es ja mal ähnliche Aufregung. Doch während deren Produzent Trevor Horn mit seiner vollelektronischen Ausstattung immerhin Songs fabrizierte, über denen sogar »echte« Menschen sangen, bekam man bei LFO auf ihrem Debütalbum »Frequencies« den maschinellen Charakter ihrer Hervorbringungen in aller Direktheit um die Ohren gehauen. Kein Gesang, höchstens bearbeitete Samples und Computerstimmen. Ansonsten waren da nur harter Beat, hohe Bleeps und tiefe Clonks, fremdartige Klänge, für die es trotz Kraftwerk oder Depeche Mode anscheinend unzureichend Eingewöhnung gegeben hatte.

Dieser scheinbare Gegensatz bei LFO, das körperlich Durchdringende ihrer Bässe und die zerebralen Ansätze in den höheren Frequenzen, machen den Reiz von »Frequencies« aus, der 30 Jahre später nichts von seiner Wirkung verloren hat.

Die Offenheit für Unbekanntes war seinerzeit gleichwohl so groß, dass »Frequencies« in den britischen Albumcharts des Jahres 1991 auf Platz 42 landete. Die Platte war eines der ersten Techno-Alben und zugleich eines, das für Aufmerksamkeit auch jenseits von Tanzflächen sorgte. Schon die 1990 erschienene Single »LFO« hatte es in die britischen Charts geschafft. Sie ist zudem der einzige Titel, der vom Duo aus Leeds nicht im Alleingang gefertigt wurde. Beteiligt war ebenfalls der Warehouse Resident Martin Williams alias DJ Martin. Dem Kollegen hat das Duo überhaupt erst zu verdanken, dass sie bei Warp landeten, denn Williams hatte das Demo von »LFO« im Warehouse aufgelegt und so das Interesse des Labels aus Sheffield geweckt.

Hohe Tüftelei, aber der Boden bebt

LFO, benannt nach dem in Synthesizern bei der Klangsynthese verwendeten Low Frequency Oscillator, waren Mark Bell und Gez Varley, die sich Mitte der 1980er Jahre bei einem Breakdance-Wettbewerb in Leeds kennengelernt hatten. Schon als Teenager hatten sie mit Drumcomputern herumgespielt, wie man jemanden damit zum Tanzen bringt, war für sie zunächst zweitrangig. Vielleicht war dieser Ansatz des unbekümmerten Ausprobierens mit dafür verantwortlich, dass ihr Stil so erfolgreich war.

Ende der Achtziger gab es in Nordengland eine »Bleep«-Gemeinde von Musikern, die mit Computerspielsounds und spartanisch produzierten Tracks einen sehr eigenständigen Entwurf von Clubmusik erprobten. Auch die mit LFO befreundeten Nightmares On Wax gehörten dazu. LFO sponnen die Ansätze von Bleep weiter, schufen mit Singles wie »LFO« und »We Are Back« fabrikhallenerschütternde Subbassmonster, mit denen sie dem Sound zum Durchbruch verhalfen. Oder sie gingen in »Nurture« etwa in die entgegengesetzte Richtung und gaben ihren Melodien mit spielerischen Glissando-Effekten etwas Flirrend-Ungreifbares. Womit sie eine der Blaupausen für die Soundverfeinerungen von IDM lieferten.

Dieser scheinbare Gegensatz bei LFO, das körperlich Durchdringende ihrer Bässe und die zerebralen Ansätze in den höheren Frequenzen, machen den Reiz von »Frequencies« aus, der 30 Jahre später nichts von seiner Wirkung verloren hat. Ihre Musik wirkt im Idealfall auf beiden Ebenen zugleich – beziehungsweise sorgt sie bei ihren Hörern wahlweise auf physischem oder mentalem Weg für rhythmische Bewegungen. Zu den Stärken von LFO gehört auch das aus heutiger Sicht altmodisch Klappernde der Drumcomputer, die allerdings selten stur durchrattern, sondern in harten Synkopen eine Prägung Bells und Varleys durch Hip-Hop erkennen lassen.

Obwohl durchaus Techno-Stars, hatten LFO anders als ihre paradiesvogeligeren Labelkollegen Aphex Twin oder Autechre nie so richtigen Popstarstatus, womöglich auch, weil sie neben ihrem vergleichsweise bodenständigen Techno-IDM-Hybrid mit ihren Veröffentlichungen deutlich zurückhaltender waren. »Advance« war 1996 das zweite und letzte Album als Duo. Danach machte Bell vor allem als Produzent unter anderem von Björk von sich reden, während Varley – etwas unter dem Radar – eine Reihe von Techno-Soloalben veröffentlichte. Mark Bell brachte 2003 mit »Sheath« eine letzte LFO-Platte heraus. Sein früher Tod 2014 beendete das Projekt. Was bleibt, ist ein tönendes Zukunftsversprechen, das voll eingelöst wurde.