Eigentlich sollte der Wu-Tang Clan im vergangenen Frühling auf UK-Tour gehen. »Liquid Swords«, das erste Solo-Album von Gary »GZA« Grice als Teil der Hip-Hop-Gruppe aus Staten Island, droppte vor 25 Jahren – kurz nachdem Clan-Spezi Method Man »Tical« veröffentlichte und Ol’ Dirty Bastard und Raekwon ihre Takes auf Albumformat kickten. Während die Pandemie alle Pläne für Live-Konzerte durchkreuzte, wurde GZAs Platte am 7. November leise ein Vierteljahrhundert alt – und bleibt das beste Album, das ein Mitglied des Wu-Tang Clans unter eigenem Namen veröffentlichte.
Zur Zeit der Veröffentlichung, Ende 1995, waren New York und Los Angeles Brutkästen für MCs und Hip-Hop-Artists. Gleichzeitig entwickelte sich die Szene weiter – in andere Städte wie Atlanta oder Philadelphia und in neue musikalische Richtungen. Digable Planets, The Pharcyde und A Tribe Called Quest waren Gruppen, die Jazz-Rap als Subgenre etablierten, auch wenn man heute mit East-Coast-Hip-Hop der 90er vor allem den Hardcore des Wu-Tang Clans assoziiert. »Enter the Wu-Tang (36 Chambers)« ist für viele Heads immer noch die beste Platte aller Zeiten, die mit zehn Roundhouse-Kicks auf die ewigen Rolling-Stone-Charts eindrischt, um Nirvana oder die Beatles durch die Bronx zu jagen oder Beach Boy Brian Wilson am Empire State Building aufzuhängen.
Gleichzeitig lauert »Liquid Swords« wie ein Ninja als inoffizieller Nachfolger auf – mit filmischem Sampling von RZA und Features, bei denen fast alle Wu-Tang-Mitglieder zum Mic greifen, stößt die Platte in eine Richtung, in der Samurai-Schwerter schwingen, während Shaolin-Krieger ihre Kung Fu-Moves auspacken. Nur dass sich GZA auf »Liquid Swords« den Schwarzen Gürtel selbst um die Hüften knotet.
Die Kampfkunst-Ästhetik zieht sich durch »Liquid Swords« wie 16 Bars durch ein Freestyle-Battle. RZA, Wu-Tang-Mastermind und Cousin von GZA, sampelt, wie schon auf »36 Chambers« alte Soul-Schinken, verzerrte Boom-Bap-Beats und Martial-Arts-Filme aus den 80ern. Vor allem mit »Shogun Assasin«, einem Film über einen alten, senilen und paranoiden Samurai, baut RZA immer wieder Intros und Übergänge zwischen den Stücken.
Die Verwendung dieser Samples ist so offensichtlich, dass die Platte eine filmische Qualität bekommt, aus der die Hörerinnen kreative Erzählungen spinnen können, die es gar nicht gibt. Es geht weniger um die eigene Erfahrung, um eine echte Geschichte oder realistisches Storytelling, sondern um einen Film, der als fiktive Dystopie vor den Augen der Hörerinnen abläuft. Außerdem bedient sich GZA für den Albumtitel bei einem weiteren Samurai-Streifen namens »Legend of the Liquid Sword«. Der Film dreht sich um ein Schwert, das so scharf ist, dass sich damit Leute enthaupten lassen, ohne den Kopf vom Körper zu trennen. Legenden, die GZA gefallen haben. Dass er auf »Liquid Swords« die Zunge als symbolisches Schwert betrachtet, bestätigt er schließlich in einem weirden Interview aus den 90ern.
Dass er auf der Liste der Rapper mit dem größten Vokabular auf den vierten Platz crasht – vor MF Doom und hinter Jedi Mind Tricks – passt ins Bild. Auf »Shadowboxin«, einem der besten Cuts auf der Platte, prügelt er Vers nach Vers auf einen unsichtbaren Gegner ein. Jemand, den er in den schwachen Rappern, mit denen er aufwuchs, nie sah, rundet er einfach aufs nächste Drittel ab. So derb hat das Köpferollen seitdem niemand artikuliert. Die Anspielung auf die Kampfkünste passieren sowohl auf lyrischer als auch auf musikalischer Seite. Drei, vier Takte von »Liquid Swords«, »4th Chamber« oder »Gold« genügen, um zu checken, wie GZA mit dieser Mischung arbeitet und Lines baut, die der Genialität von RZAs Produktionen nicht nur gerecht werden, sondern sie in den verrücktesten Film des Wu-Tang Clans verwandeln.
Die Musik von GZA findest du im [Webshop von HHV Records](https://www.hhv.de/shop/en/gza-genius-vinyl-cd-tape/i:A706D2N4S6U9.)