Records Revisited: Drexciya – Neptune’s Lair (1999)

01.09.2024
Funk unter Wasser: Das erste Album des Detroiter Duos Drexciya vertieft ihren afrofuturistisch aquatischen Mythos. Ihre Techno-Vision inszenieren sie wie einen Soundtrack.

Der Drexciyan Warrior hat Hände mit Schwimmhäuten. Er trägt einen Taucheranzug, der an Armen und Beinen mit Flossen ausgestattet ist. Sein Helm hat Rillen ähnlich denen einer Muschelschale.

Die Darstellung dieser Unterwasserkrieger ziert das Cover von Drexciyas Album »Neptune’s Lair« aus dem Jahr 1999, das erste ›richtige‹ Album des Duos nach der Compilation ihrer frühen EPs »The Quest« (1997). Mit den Drexciyan Warriors spinnen Drexciya ihren Mythos fort, laut dem Drexciya ein Unterwasserland im Atlantik ist. Deren Bewohner entstanden aus ungeborenen Babys von schwangeren Frauen, die von Sklavenschiffen über Bord geworfen wurden. In einem Evolutionssprung gewöhnten sich die angehenden Drexciyaner noch in der Gebärmutter das Atmen unter Wasser an. Und sie lernten, wehrhaft zu sein.

Mit diesem maritimen afrofuturistischen Entwurf und der Strategie, anonym zu bleiben, schufen Dreciya ein Mysterium um sich herum. Bis zum Tod von James Stinson, der einen Hälfte der Band, im Jahr 2002 blieb es bei dieser Rätselhaftigkeit. Doch auch wenn sowohl die Identität von Stinson als auch die seines früheren Mitstreiters Gerald Donald seit mehr als 20 Jahren bekannt sind, hat das der Musik von Drexciya überhaupt nicht geschadet.

Was ihren »Sound« so unverändert unglaublich macht, ist einerseits die fast primitive Maschinenhärte ihrer Geräte, die wenig sophisticated vor sich hin zu rattern scheinen, dabei jedoch einen präzisen Funk haben, den so bisher nur Drexciya hinbekommen haben. Andererseits sind die Harmonien und Melodien, die sie sich trauen, so direkt, und manchmal mit so viel Soul, dass sie ganz knapp am Kitsch vorbeigehen. Der Titel »Andreaen Sand Dunes« hat sogar eine richtiggehend wehmütige Weise, doch beschränken sich Drexciya auf wenige Töne, womit die Nummer bei allem lockeren Arrangement eine Konzentriertheit bekommt, die für die gut sechs Minuten Dauer trägt. Es ist immerhin Techno.

Zitterrochen-Groove

Am anderen Ende des Spektrums sind Tracks wie »Lost Vessel« mit einem hart geradlinigen Beat, verstärkt von einem Zwei-Töne-Bass, der im steten Wechsel eine Oktave herunter- und wieder heraufspringt. Genial krude. Selbst hier geben Drexciya noch eine Melodie obendrauf, wieder sehr knapp, dafür umso energischer. Typ Zitterrochen-Groove.

Vor 25 Jahren war so etwas alles andere als selbstverständlich. Es war die Hochphase von Minimal Techno oder Glitch (die »Clicks & Cuts«-Reihe von Mille Plateaux sollte wenig später Anfang 2000 starten), zwei Genres, die den Funk auf allerknappste Gesten reduzierten, wenn sie ihn nicht gleich ganz strichen. Drexciya hatten da eher etwas von einer Rückbesinnung auf die Rohheit von Funk, den sie gleichwohl nicht eins zu eins in Maschinenform übersetzten, allerdings deutlich erkennbar als Vorbild in ihre Stücke einarbeiteten.

Was den Drexciya-»Sound« so unverändert unglaublich macht, ist einerseits die fast primitive Maschinenhärte ihrer Geräte, die wenig sophisticated vor sich hin zu rattern scheinen, dabei jedoch einen präzisen Funk haben, den so bisher nur Drexciya hinbekommen haben.

Drexciya folgen im Übrigen nicht stur derselben Formel von Track zu Track. Die Platte hat 21 Titel, einige davon dienen als kurze Interludien oder als drumcomputerfreies Vorspiel wie »Quantum Hydrodynamics«, das mit seinen dräuenden Synthesizer-Motiven und im Hintergrund blubbernden Effekten einen perfekten Auftakt für »Lost Vessel« setzt. An Stellen wie diesen hat die Choreografie der Platte etwas von einem Soundtrack zur Drexciya-Meereserzählung. Überhaupt lassen viele Klänge an Wasser in Bewegung denken. Was im Übrigen von der Geschichte rund um diese Musik begünstigt sein mag. Thomas Meinecke etwa stellt die Frage nach dem Verhältnis von Musik und Begleittexten in seinem Roman »Hellblau«, um zu erklären, warum ihm Drexciyas Musik »als radikal dissidentes politisches Medium erscheint«.

Drexciyas traditionsbewusst futuristischer, zugleich von einer völlig eigenen Vision getragener Techno sollte noch für eine Reihe weiterer Alben des Duos reichen, unter diversen Namen. Die Ergebnisse, die dieses »Scientific Research Development Lab« hervorgebracht hat, haben bis heute ihre Gültigkeit behalten. Mehr noch, sie setzen einen nach wie vor unerreichten Standard. Wie sagt die Stimme im Intro doch gleich? »Las putas conoce nada de techno«.