Records Revisited: Der Tobi und das Bo – Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander (1994)

01.05.2024
Der Verdienst des Debüts »»Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander« ist nicht zu unterschätzen. Sollte man meinen. Die Deutschrap-Geschichtschreibung unterschlägt das Debüt von Der Tobi und das Bo regelmäßig. Eine ernste Sache.

Vertraut man der offiziellen Geschichtsschreibung zum deutschen Hip-Hop, hat es Der Tobi und Das Bo nie gegeben. Die 2021 produzierte Dokureihe »We Wear The Crown – 40 Jahre Rap aus Deutschland« etwa quält sich selbstverliebt sechs Episoden durch die 1980er und 1990er – und frühstückt die Jahre 2001 bis 2020 mal eben in einer einzigen Episode ab –, ohne Der Tobi und Das Bo (DTUDB) auch nur einmal zu nennen. DTUDB laufen kurz im Hintergrund, wenn alle Interviewpartner den Song »Nordisch by Nature« zerpflücken dürfen. Die beiden MCs waren bei dem 1995 Oldschool-Tribute und Überhit als zwei von elf Rappern am Start. Namentlich vorgestellt werden Tobias Schmidt und Mirco Bogojevic in der Doku nicht.

Das gleiche Schicksal ereilt die beiden Hamburger MCs in der 2024er Doku-Serie »Hiphop – Made in Germany«. Die zweite Episode widmet sich explizit der Hamburger Szene der 1990er. Wer fehlt? Der Tobi und Das Bo. Selbst ihre Reinkarnation als 5 Sterne Deluxe wird nicht erwähnt.

Ich red‘ über die, die meinen, meinen Fluss dissen zu müssen /
anstatt sich zu freuen /
Ja, die dafür sind, werden′s nicht /
die dagegen sind, werden’s bereuen /
Nein, nein, ich werd′ nicht physisch /
bemüh‘ dich nicht, ich bin nur provokabel /
vokabelistisch listig /
so verlier′ ich selten /
gegen Existenzen aus monophysischen Welten.
(»Es ist Zeit sich zu wundern«)

Deutscher Hip Hop sucks

Die deutsche Hip Hop-Szene hatte … damals … einen massiven Stock im Hinterleib. Ernst genommen wurde nur, wer hart, bierernst und relativ erfolglos (underground) blieb. Ein Lächeln war in Deutschland nicht erlaubt. Schließlich hatte man sich als sozial gut abgesicherter Deutscher seine Street Credibility hart erarbeitet. Interessant wird es in »We Wear The Crown…« deshalb auch, wenn Fettes Brot als artverwandte Zeitgenossen von DTUDB sowie Moses P.s Popausflug mit Sabrina Setlur irgendwie schöngeredet und mit Ach und Krach das Realness-Label angeheftet werden.

Ernst genommen wurde im Deutschrap nur, wer hart, bierernst und relativ erfolglos blieb.

Als Der Tobi und Das Bo 1994 mit ihrem Debütalbum »Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander« landeten, war die deutschen Hip Hop-Szene noch immer stinksauer auf die Fantastischen Vier (was sich auch in den aktuellen Dokus noch nicht geändert hat). Die Stuttgarter Jungs waren 1992 so dreist gewesen, mit dem Song »Die Da« als erste Deutsch-Rapper erfolgreich zu sein. Und das ganz ohne Segnung der vermeintlichen Qualitätssicherungs-Autoritäten Torch und Moses P. So wurde alles, das nicht nach Krupp-Stahl roch, schief angesehen.

HipHop ist kein Geschäft /
In dem man irgendetwas irgendjemand nachäfft /
Und wenn man das tut /
Dann is das nicht gut /
Doch uns total egal
(»Is mir egal«)

Hip-Hop mit Humor. Darf das?

Dabei waren DTUDB so echt, wie sie nur sein konnten, nämlich entspannte und ausgelassene Hamburger Jungs, die Digital Underground vermutlich näherstanden, als Wu Tang Clan. Dass sie damit nicht in die bestehende Hip-Hop-Szene passten, war ihnen stets bewusst. Ihr Einzelgängertum und die fehlende Härte thematisierten sie in einer Vielzahl ihrer Songs als satirische Randnotiz. Sie brachen dabei auch mit der unabdingbaren Tradition im Rap, sich selbst bis aufs Blut ernst zu nehmen. Das Album »Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander« eröffneten sie einfach mit einem Karnevals-Skit.

Ja, Leben und sein Leben lassen
Das ’n einfaches Prinzip
Also gib mir dein Bein, wir spielen Körperteilepoker
Ich hab fünf Asse
Krasse Launen der beeinflussten Natur
Doch heute drück ich noch mal meine drei Augen zu
(»Morgen geht die Bombe hoch
«)

DTUDB haben den Humor in den deutschen Rap gebracht. Dabei konnten DTUDB aber nicht einfach als Klassenclowns gedisst werden. Sie waren Klassenclowns mit Einser-Durchschnitt. Ihre Freude am Wortspiel und das fast schon dadaistische Verweigern von offensichtlicher Ernsthaftigkeit fabulierten DTUDB mit ungemeiner Lyrizität, Wortgewandtheit und einem für damalige Verhältnisse geradezu mühelosen und vielseitigen Flow. Auf ihrem Debütalbum lachen sich DTUDB ganz selbstverständlich durch Boom Bap, Bossa Nova, Oldschool und Jazz Hop, der auch noch gut produziert war.

Nicht nur damit verwiesen (und verweisen) die beiden Hamburger einen Großteil der hiesigen Akteure mit ihren gepressten und gebrüllten Rap-Stilen in die Ecke. Wer einmal bei einem Konzert von DTUDB war, erinnert sich womöglich an die Open-Mic Freestyle-Sessions, auf denen DTUDB ihre Herausvorderer aus dem Publikum mit einem Lächeln und offenen Armen in Grund und Boden rappten.

Der Tobi und Das Bo haben letztlich nur ein Album und eine EP (»Wir sind die Besten«, 1995) veröffentlicht, bevor sie sich 1998 in erweiterter Konstellation als Fünf Sterne Deluxe neu erfanden.

»Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander« bleibt dennoch eines der abwechslungsreichsten, leichtfüßigsten und humorvollsten Alben des deutschen Hip Hop. Und das hat die Szene und die Geschichte des Deutschrap bitter nötig.