Bei David Bowie gibt es unter seinen Verehrern abweichende Ansichten darüber, welches Album sein bestes ist. »Hunky Dory«? »Low«? Oder doch »The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars«? Schwer zu entscheiden, haben sie doch alle ihre Qualitäten – und sind gleichzeitig alle sehr unterschiedlich, die Bandbreite reicht von Glam-Rock bis Proto-Ambient-Pop.
Let's Dance
Auch unter den 26 Studioalben Bowies finden sich neben einer Reihe halbwegs guter bis weniger gelungener Platten weitere Anwärter auf die vorderen Plätze. Ausgerechnet eine Platte, die seine erfolgreichste überhaupt wurde, rangiert in der Wertschätzung bestenfalls im Mittelfeld: »Let’s Dance« von 1983.
Einige seiner besten Songs
Für David Bowie war es damals fast eine Rückkehr. Drei Jahre waren seit seinem Album »Scary Monsters« vergangen und er hatte seine Plattenfirma RCA zugunsten der EMI verlassen. Musikalisch hatte er schon einiges ausprobiert, zuletzt einen New-Wave-Sound, der beim zahlenden Publikum durchaus gut ankam. Nun stand die nächste Häutung an. Für »Let’s Dance« war das Programm im Titel klar benannt, aufgepumpte Disco- und Soulnummern im Stil der Achtziger bildeten die Grundlage für Hits wie »Modern Love«, »China Girl« und den Titelsong.
Für Bowie, der die unablässige Neuerfindung zu seinem Markenkern auserkoren hatte, war es nicht das erste Mal, dass er sich der R&B-Tradition bediente. Auf »Young Americans« von 1975 hatte er ähnliche Ansätze erprobt, mit »Station to Station« wagte er im Jahr darauf eine noch freiere Aneignung. Hatte die Wahl des musikalischen Vokabulars für Bowie in den Siebzigern noch einen unmittelbaren biografischen Anlass – er war damals nach New York gezogen – so fehlte bei »Let’s Dance« ein entsprechender Ortsbezug. Seit 1978 lebt er in der Schweiz.
Um keine falschen Erwartungen zu wecken: »Let’s Dance« soll hier nicht zu Bowies verkanntem Meisterwerk erklärt werden. Dazu ist es zumindest in Teilen zu unauffällig. […] Vielmehr sind es die bekannten Heuler, allen voran »China Girl«, mit denen Bowie einige seiner besten Songs gelingen.
Um keine falschen Erwartungen zu wecken: »Let’s Dance« soll hier nicht zu Bowies verkanntem Meisterwerk erklärt werden. Dazu ist es zumindest in Teilen zu unauffällig. Die gesamte zweite Seite der Platte ist eher solider, Groove-basierter Pop, wenngleich mit viel Charme. »Ricochet« etwa hat grimmig-kantigen Funk und rätselhafte, weil schwer verständliche Sprachsamples als Vorzüge, »Cat People« einen eingängigen Refrain mit herrlich schwülstigen Drums.
Aber das ist es nicht, was die Platte so bemerkenswert macht. Vielmehr sind es die bekannten Heuler, allen voran »China Girl«, mit denen Bowie einige seiner besten Songs gelingen. Das Kuriose an letzterem ist, dass es nicht Bowies eigenes Material ist, sondern von seinem Freund Iggy Pop geschrieben wurde, als sie in den Siebzigern, nach der New Yorker Phase, gemeinsam in Berlin im selben Haus in Schöneberg wohnten. Iggy Pop hatte den Song in einer deutlich raueren Version auf seinem wiederum von Bowie produzierten Solo-Debütalbum »The Idiot« (1977) veröffentlicht, es gab damals auch eine Single davon, aber keine nennenswerte Bewegung in den Charts.
Das gelang mit der polierten Bowie-Neuauflage inklusive chinesisch anmutender Quartparallelen von Gitarre und Keyboard und nicht zuletzt dank des wunderbar dosierten Blues-Solos des damals noch nicht zum Star avancierten Gitarristen Stevie Ray Vaughan, der 1990 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam.
Niles Rodgers sorgt für Knackigkeit
Überhaupt kann man dem Einsatz von Bowies Co-Produzenten Nile Rodgers einen großen Anteil am Erfolg von »Let’s Dance« zuschreiben. Der Disco-Held hat für die Aufnahmen eine Reihe von Musikern zusammengetrommelt, die für die gebotene Knackigkeit sorgten. Neben Rodgers an der Gitarre sind dies Schlagzeuger Omar Hakim und Bassist Carmine Rojas.
Etwas schade ist allenfalls, dass David Bowie selbst später nicht allzu gut auf das Ganze zu sprechen war. In Brett Morgens letztjährigem Dokumentarfilm »Moonage Daydream« gibt es zum Beispiel Interviewausschnitte mit Bowie, in denen er davon spricht, dass er bei »Let’s Dance« nur das gemacht habe, was seine Fans wollten. Passt das alles zu Bowies Selbststilisierung als bedingungsloser Künstler, der sein Leben kompromisslos seinem Werk unterordnet? Dass er früher über »Young Americans« ähnlich geurteilt hatte, geschenkt. Streng genommen musste Bowie im Sinne der Markenpflege so etwas über seine wirtschaftlich besonders einträglichen Aktivitäten verbreiten. Ausverkauf und so. Man muss sich als Fan nicht gleich beleidigt fühlen.