Oakland, Kalifornien, um die Jahrtausendwende: Das ansässige Team der Major League Baseball, die Oakland Athletics, heuern einen baseballvernarrten Datenanalysten aus Ohio an. Einen klassischen Nerd. Er soll mithilfe digitaler Anwendungen dabei helfen, mit geringem Budget eine schlagkräftige Truppe zu casten. Viele rümpften die Nase. Wer braucht schon Daten, um mit einem Holzschläger einen Ball wegzuschlagen? Die Antwort gab der Erfolg der Mannschaft – und schnurstracks wurde zu erst als abwegig abgetane Ansatz zum branchenüblichen Standard.
Clouddead
Eine ähnliche Entwicklung erlebten parallel auch Oaklands Rap-Kreise. Auch dorthin zog es Nerds aus Ohio, die fernab der Konventionen ihr eigenes Ding machten: Die Rapper und Producer Doseone, Why? und Odd Nosdam. 1998 gründeten sie die Band cLOUDDEAD. Ein Hip-Hop-Projekt, das sich gängigen Szenecodes entzog. Was das Trio anstellte, korrelierte so gar nicht mit gängigen Soundscapes. Es wartete mit Stimmungen und Songstrukturen auf, die eher an Postrock, Drone oder Ambient als an G-Funk oder klassischen Boom Bap Rap erinnerten.
Natürlich betraten Ende der Neunziger auch andere Acts musikalisches Neuland im Rap-Kontext, siehe Company Flow, Dr. Octagon, die Quannum MCs oder Freestyle Fellowship. cLOUDDEAD gingen allerdings noch zwei, drei Schritte weiter. »Jeder im Rap geht mit gesenktem Kopf und hochgezogenem Hoody ins Studio, um Stress zu machen«, erklärte Doseone einst dem Self-Titled Magazin, »wir aber wollten etwas ganz Anderes«. Etwas Eigenes, Originales – und dabei zu 100 Prozent sie selbst sein. Denn, so Doseone in einem anderen Gespräch mit dem Fact Magazine: »Es ist interessant und beeindruckend, einem Menschen beim Backen eines Apfelkuchens zuzusehen. (…) Aber einem Menschen dabei zuzusehen, wie er einen Apfel backt: Das ist es, was ich will. Ich will ‘das Ding’ erschaffen, bevor es einen Kontext dafür gibt.«
»Einen Apfel backen: Das ist es, was ich will.«
Doseone im Fact Mag
Das Ding von cLOUDDEAD sind hypnotisch-gespenstische Klanglandschaften, die wackeln und rauschen. Den verspulten, poetisch-surrealen Raps und Lautmalereien von Doseone und Why? stellen sie eine psychedelische Sound-Kulisse. Neben Chick Corea, Nat King Cole oder dem Rock-Schmachtfetzen »Nights in white Satin« werden dafür schon mal die Videospielkonsole oder die Bohrmaschine gesampelt. Aufgenommen wird im Schlafzimmer, mit einfachsten Mitteln: Einem Achtspurrekorder, einer Boss SP202 Dr. Sample Workstation und ein paar schäbigen Mikros. Einen Gattungsbegriff gibt es dafür bis heute nicht. Ist es Shoegaze Rap? Stoner Hip Hop?
Wohngemeinschaft Nirgendwo
In den Jahren 2000 und 2001 brachten cLOUDDEAD insgesamt sechs 10“ Vinyls heraus, die in den Plattenläden neben ihren obskuren, unerhörten Tracks auch optisch auffielen. 2001 kompilierte die Band die Songs dann zu ihrem Debütalbum, als Dreifach-LP. Das Album ist ein Prototyp, das nie in Serie ging, geschaffen von Prototypen, die sich gesucht und gefunden hatten – ohne großen Plan und voller Überzeugungen, mit Hang zur Dramatik und Bock auf Experimente.
Parallel zur Entstehung des Albums wuchs auch das Anticon-Kollektiv, das Doseone, Why? und Odd Nosdam nebst eigenem Label mitbegründeten. Sie scharten weitere Rapper und Musiker um sich: Hip-Hop-Nerds aus unterschiedlichen Nirgendwos der USA, die eine Zeit lang allesamt in der gleichen Dreizimmerwohnung hausten – irgendwann zu elft, wie Doseone in der Podcastreihe Milkcrates & Microphones erzählt.
Die Tore, die die Band für Hip Hop öffnete, hat bis dato niemand weiter aufgerissen.
Ein paar intensive Jahre lang brachte Anticon ein bemerkenswertes Release nach dem anderen heraus. Dass das nicht ewig geht, war indes abzusehen – nicht zuletzt auch aufgrund der Egos, die hier zusammenfanden. Es verwundert daher nicht, dass es mit »Ten« nur eine weitere cLOUDDEAD LP gibt. Sie klingt anders als das Debüt, erneut anders als alles andere. Und ebenfalls außerordentlich stark.
Bands und Musiker wie Death Grips, Billy Woods, Clipping oder Shabazz Palaces bis hin zum ganzen Cloud-Rap-Ding verdanken cLOUDDEAD eine Menge. Denn die Tore, die die Band für Hip Hop öffnete, hat bis dato niemand weiter aufgerissen. Ihren Geheimtippstatus haben cLOUDDEAD dennoch nie verlassen – trotz Fans und Kollaborateuren wie Mike Patton, John Herndon von Tortoise, Boards of Canada oder The Notwist.