Records Revisited: Bob Dylan – Highway 61 Revisited (1965)

28.02.2025
»Highway 61 Revisited«, eines der bekanntesten Dylan-Alben; wegen DEM Dylan-Song schlechthin: »Like A Rolling Stone« ist die Dylan-Überhymne, eine Zeile daraus gibt auch dem gerade erschienen Dylan-Biopic seinen Namen. Wir haben uns das Mobbing-Album des begnadeten Miesepeters nochmal genauer angehört.

San Francisco, Dezember 1965: Der berüchtigste Songwriter Amerikas sitzt in einer Pressekonferenz, raucht Kette und wird mit Fragen bombardiert. Was es mit dem Albumcover seiner neuen Platte »Highway 61 Revisited« auf sich hat, möchte jemand wissen. Welche Bedeutung hat dieses Foto? Da muss doch eine gewisse Philosophie drinstecken! Es wundert nicht, dass Bob Dylan sofort lachen muss. »I haven’t really looked at it that much«, meint er schmunzelnd. »It was just taken one day when I was sitting on the steps, you know. I don’t even remember too much about it.« Ja, so ziemlich jeder hat diese Dylan-Sache ernster genommen als Dylan selbst. Ist er womöglich kein nachdenklicher Poet, der die Welt verbessern will, sondern vielmehr ein Witzbold? »The sun’s not yellow, it’s chicken«, singt er auf dem Album. Und den Titeltrack eröffnet er mit einer Spielzeugflöte, die so klingt, als würde ein Bekiffter auf Polizist machen.

Komiker ist er also, nicht Prophet, und dazu auch kein besonders netter. Mit meinem Vater spiel ich gerne mal das Spiel, mit welchen unserer Held*innen wir gerne einen Abend verbringen würden; Bob Dylan sortieren wir meist direkt aus. Vor allem jener Dylan, der Mitte der Sechziger auf Journalisten losging, wirkt eher anstrengend als sympathisch, womit wir wieder beim Albumcover wären – und dort nun ähnlich Übertriebenes reininterpretieren wollen, wie unser Freund aus der Pressekonferenz: Für mich sieht Dylan hier wie jemand aus, den man nicht zum Feind haben will.

Bob Dylan kann, oder zumindest konnte, dich verbal auseinandernehmen; eine Fähigkeit, für die er ausnahmsweise mal zu wenig Anerkennung bekommt. Sein Talent als Diss-Maschine tauchte auch später in Songs wie »Idiot Wind« (1975) auf – »You’re an idiot, babe, it’s a wonder that you still know how to breathe« –, erreichte auf »Highway 61 Revisited« aber seinen Höhepunkt. Im entfesselten »Tombstone Blues«, der ebenso wild wie alles von The Velvet Underground klingt, bezeichnet er das Wissen seines Gegenüber als »useless and pointless«, während es in »Ballad of a Thin Man« heißt: Es sollte ein Gesetzt geben, das dir verbietet, vorbeizukommen! Du solltest gezwungen werden, für immer Kopfhörer zu tragen! In »Ballad of a Thin Man« geht es um mutwillige Verwirrung, die dem Protagonisten »Mr. Jones« widerfährt. Und die Dylan auch seinem Publikum um die Ohren gehauen hat. »You try so hard but you don’t understand«, singt er… und lacht dabei. Du schaffst das eh nicht, für dich ist diese Musik/Welt eine Nummer zu hoch! Auf »Highway 61 Revisited« zeigt Dylan sich arrogant und geradezu hasserfüllt.

Auf »Highway 61 Revisited« zeigt Dylan sich arrogant und geradezu hasserfüllt.

Dylans Form von Mobbing ist im legendären Albumopener »Like a Rolling Stone« am offensichtlichsten. Darin ist er besonders böse und schlägt ›nach unten‹ – auf eine ehemals wohlhabende Frau, die nun alles verloren hat und es in Dylans Augen auch verdient, nach ihrer nächsten Mahlzeit betteln (oder sich gar prostituieren) zu müssen. Selbstverständlich schwingt da Gesellschaftskritik mit: Wenn wir als westliche, verhältnismäßig verwöhnte Zivilisation nun alles verlieren würden, wäre das nur fair; unsere Zeit ist vorüber, wir hätten die Armut verdient. Nachdem ich »Like a Rolling Stone« im einem Leben gefühlt dreitausendmal gehört habe, ist es diese Lesart, die für mich überwiegt.

Oder eben die folgende: Möglicherweise würde Bob Dylan es gar nicht so schlecht finden, nähme man ihm alles weg. »When you got nothing, you got nothing to lose«, heißt es schließlich in »Like a Rolling Stone«. Wäre Dylan vielleicht gerne wieder ein »complete unknown«? Auch in »Just Like Tom Thumb’s Blues« heißt es ja »I do believe I’ve had enough«; sein Rückzug aus der Öffentlichkeit im darauffolgenden Jahr würde diese These ebenfalls unterstützen. Naja – das ist das Tolle beim Schreiben über Dylan. Man kann seine Worte immer wieder in einen anderen Kontext setzten, eine andere Geschichte daran erzählen. Jede davon ist wahr.

Den richtigen Charakter haben, oder rearrangiert werden

Den eröffnenden Snare-Schlag von »Like a Rolling Stone« beschrieb Bruce Springsteen mal so, als würde jemand die Tür zu deinem Bewusstsein auftreten; darüber hinaus wird meistens das einprägsame Orgelriff von Al Kooper hervorgehoben. Doch bei meinen letzten Hördurchgängen war es vielmehr das Honky-Tonk-Piano von Paul Griffin, das mich in den ersten Sekunden von »Like a Rolling Stone« elektrisiert hat. Solche Momente fühlen sich so an, als hätte sich etwas angestaut – und nun hat man endlich einen weg gefunden, diese Energie freizulassen.

»I wish I could write you a melody so plain/That could hold you, dear lady, from going insane/That could ease you, and cool you, and cease the pain«, singt Dylan einmal, ganz selbstreflektiert. Ja, das Schreiben klar definierter Melodien war nie seine Stärke, dafür konnte er andere Sachen. Oft basieren die Songs auf »Highway 61 Revisited« lediglich auf einem simplen Blues-Schema, womit ich normalerweise nicht so viel anfangen kann. Aber bei Dylan ist es wie mit The Rolling Stones: Jede Sekunde wird mit so viel Coolness gespielt und gesungen, dass die Musik niemals langweilig wird; auch durch die klitzekleinen Fehler, die bewusst drin gelassen wurden. Im letzten Refrain von »Like a Rolling Stone« setzt das weltbekannte »How Does It Feel« etwas zu früh ein; in »Queen Jane Approximately« ist die E-Gitarre leicht verstimmt. Dadurch haben die Tracks extrem viel Charakter, sind so außerordentlich farbvoll und lebendig.

Jede Sekunde wird mit so viel Coolness gespielt und gesungen, dass die Musik niemals langweilig wird; auch durch die klitzekleinen Fehler, die bewusst drin gelassen wurden.

Am Ende ist es ein akustischer Folksong, der das Album auf großartige Weise abschließt. Die verspielte, sich austobende Leadgitarre, die der großartige Charlie McCoy zu »Desolation Row« beisteuert, steht auf perfekte Weise für das, was dieser Song und eigentlich die ganze Platte darstellt: Um uns herum ist Chaos, immens viele Dinge gehen ab, und mittendrin sind wir, repräsentiert durch Dylans Stimme, an der man sich reiben und kratzen kann; sie kitzelt ein bisschen und tut minimal weh. Bei der Menge an Lyrics verliert man schnell den Überblick: Einstein, der sich als Robin Hood verkleidet und früher dafür bekannt war, eine elektrische Violine zu spielen. Cinderella, das Phantom der Oper und der Glöckner von Notre Dame, sie alle tauchen auf in »Desolation Row«. Doch Bob Dylan interessiert sich nicht für sie, er findet all diese Figuren langweilig. »I had to rearrange their faces and give them all another name«, singt er in der letzten Strophe. Anstrengender Typ – und der allerbeste.