Records Revisited: Beastie Boys – Ill Communication (1994)

31.05.2024
Geplante Störung! Für ihr viertes Album traf sich die Band zum Jammen im Studio, entstanden ist ein üppiges Werk – das mancherorts dennoch als unterkomplex empfunden wurde.

»Listen all y’all, it´s a sabotage!«, 1994 waren die Beastie Boys mit einem Riesenknall zurück auf der Bildfläche des Pop. Das war damals noch die Mattscheibe des Fernsehers war, und auf der lief MTV. Logisch, dass das von Spike Jonze inszenierte Musikvideo zum Song mindestens mitverantwortlich für das Aufsehen war, dass die Beasties erzeugten – obgleich es keinen MTV Video Music Award gewann: Das Rennen machte Aerosmith mit »Cryin’«. Zum Heulen!

Egal: Das vierte Album der Beastie Boys, »Ill Communication«, ist ohnehin viel mehr als »Sabotage«. Es ist eine Wundertüte, ein Kaleidoskop der Ideen, Referenzen, Möglichkeiten und musikalischen Facetten – und das erste, auf dem sich die New Yorker, die immerhin schon seit den frühen Achtzigern gemeinsam musizierten, nicht neu erfanden. Es knüpft in seiner Produktionsweise ziemlich nahtlos an seinem Vorgänger »Check your Head« an. Wie dieses entstand es vorwiegend in ihrem G-Son-Studio im kalifornischen Atwater – als Bandgefüge, mit Mike D an den Drums, AdRock an der Gitarre und MCA am Bass, ergänzt durch Co-Producer Mario Caldato Jr., DJ Hurricane und Keyboarder Mark Nishita sowie dem Perkussionisten Eric »Bobo« Correa.

Das Werk eines sehr talentierten Jazzmusikers wird zu einem eintaktigen Muster zusammengefasst und auf eine Weise wiederholt, die alles untergräbt, was dieser Musiker erreicht hat.

Syncopation Magazine

Obgleich die Beastie Boys auf »Ill Communication« in vielen Geres gleichzeitig wildern, lassen sich die fertigen Songs nun eindeutiger als noch zu »Check your Head«-Zeiten kategorisieren. Klassisch gestrickte Rap-Songs mit ausgefeiltem Sampling und fein akzentuiertem, old-schooligem Turntablism treffen auf reduziert-krawalligen Hardcore-Punk, Lo-Fi-Funk und instrumentale Tracks, die einen spüren lassen, dass die Beasties während der Aufnahmen immer wieder gewisse Jazzrock-Alben von Miles Davis goutierten, wie es Simon Reynolds in »Bring The Noise: 20 Years of Writing about Hip Rock an Hip Hop« festhält. »Bobo on the Corner« dient als offensichtlichste Referenz, nachdem er das Miles-Davis-Album »On the Corner« schon im Titel zitiert.

Die Suppe als Wissenschaft

Apropos Jazz: Über den Opener »Sure Shot« hieß es 1994 in einer denkwürdigen Review, die im Magazin Syncopation erschien: »Sicherlich haben Sie ähnliche Lieder schon oft gehört. Das Werk eines sehr talentierten Jazzmusikers wird zu einem eintaktigen Muster zusammengefasst und auf eine Weise wiederholt, die alles untergräbt, was dieser Musiker erreicht hat. Dann schichten Sie drei Sänger übereinander, die Wörter schreien, die sich auf ein Schlagzeugmuster reimen, und Sie haben den aktuellen Trend in der populären Musik: Rap-Musik.« Dass er »Ill Communication« kacke findet, äußert der Rezensent auch dadurch, dass er mehr von seiner Suppe erzählt, die er während der Listening Session kocht, als von der LP selbst. Schräg – aber dennoch irgendwie passend, angesichts der eigenwilligen Suppe, die auch die Beasties mit »Ill Communication« gebraut haben.

Im »Beastie Boys Book«, in dem die Review übrigens wiederveröffentlicht wurde, erinnert sich Mike D an die Zeit ihrer Aufnahmesessions: »Wir wussten, dass wir damit beginnen würden, unsere Instrumente zu spielen, zu improvisieren und mit Ideen herumzutüfteln. Mario nahm uns währenddessen auf, mischte ein wenig, fügte Effekte oder Live-Dubbing-Elemente hinzu und notierte, was ein ›Keeper‹ sein könnte. Wir suchten nach bleibenden Ideen, mit denen wir weiter bastelten und anhand derer wir Songs zusammenstellten. Manchmal behielten wir die Originalaufnahmen bei, manchmal spielten wir Abschnitte oder einen ganzen Song neu ein. Dann fügten wir Texte hinzu und verwandelten die Stücke in Songs. Kurz gesagt, wir hatten nicht das Bedürfnis, alle Regeln, die wir aufstellten, komplett zu brechen. Wir waren froh, sie ein wenig erweitern zu können.«

Die Tracks »Sure Shot«, »Sabotage«, »Root Down« und »Get it together« mit seinem sagenhaften Q-Tip-Feature stechen klar als Stand-Alone-Tracks heraus. Um sie herum wuchern die 16 anderen Songs, skizzenhaft und fragmentarisch, obgleich teilweise fast überbordend, aufgrund des überstrapazierten »Bullshit Mic, made out of plastic«. Doch auch, wenn man sie anfangs übergeht: Gerade sie stecken voller starker, unerwarteter Sound-Momente. Siehe beispielsweise »The Update«, »Flute Loop«, »Do it«, »Sabrosa« oder »Allright hear this«. Die Beastie Boys sind Scientists of Sound. »Ill Coummunication« war 1994 nicht der erste und nicht der letzte Beweis dafür.