Es wirkt wie ein Chaos, die Sounds und Rhythmen klingen fremd, alles ist wie gegen wie bekannten Muster gebürstet, dazu haben die Tracks sonderbare Titel: Das Duo Autechre hat sich in der elektronischen Musik eine Spitzenposition im Einigeln in die eigene Klangwelt erarbeitet. Mit diesem Status der avancierten Waldschrate assoziiert man sie gemeinhin bis heute. Allerdings waren sie nicht immer schon so.
In ihrer frühen Phase konnte man etwa noch ihr Aufwachsen mit HipHop heraushören, es gab Breakbeats, die nicht tausendfach in sich gebrochen waren, Harmonien und sogar klitzekleine Melodien. Auf ihrem zweiten Album, »Amber« aus dem Jahr 1994, sind diese vertrauten Dinge alle vorhanden, und doch hört man etwas, das sich von diesem Vertrauten zu lösen beginnt. Autechre umgab dabei von Anfang an eine Aura des Andersseins, die sie auch selbst kultivierten. Im Grunde gingen sie vor wie Gärtner, die ihre wunderlichen Gewächse mit Geduld heranzüchten.
Amber
»Amber« erschien in der Hochphase der Intelligent Dance Music (IDM), in der die Clubmusik sich vor allem dadurch auszeichnete, dass sie den Tanzaspekt zugunsten von Klangforschung hintanstellte. Während Autechres Debütalbum »Incunabula« von 1993 eine Compilation früherer Tracks war, bestand »Amber« aus neuer Musik. Autechre nannten es daher auch ihr erstes ›richtiges‹ Album bei dem Label Warp. Darauf verwendeten sie in erster Linie Synthesizer und Drumcomputer, nur ganz vereinzelt kommen Stimmensamples vor.
Die Faszination von »Amber« erinnert an die Begegnung mit einer auf verschlossene Weise anziehenden Person, deren Monolog man gebannt lauscht, weil man hinter ihren kryptischen Bemerkungen ein Geheimnis wittert.
Was »Amber« im umfangreichen Katalog von Autechre so besonders macht, ist der entschieden ambivalente Charakter der Musik. Sie ist gelassen und beunruhigend zugleich, harmonisch und dennoch mit kleinen Störelementen versehen, mögen es irritierende Beats sein oder brütende Bässe. Das Gebilde hält hervorragend zusammen, doch scheint die Stabilität des Ganzen keinesfalls selbstverständlich. Eine bedrohte fremdartige Schönheit, wenn man so möchte.
Das Fremdartige geht bei Autechre mit einem leicht abweisenden Gestus einher. Obwohl die Klänge durchaus zugänglich wirken und viele der Stücke, sofern keine Ambient-Nummern, auf einem dezent schroffen Breakbeat als Groove-Grundlage errichtet sind, haben ihre Mini-Melodien etwas trotzig Verlorenes. Die Faszination von »Amber« erinnert an die Begegnung mit einer auf verschlossene Weise anziehenden Person, deren Monolog man gebannt lauscht, weil man hinter ihren kryptischen Bemerkungen ein Geheimnis wittert.
Immer weiter abfahren
Im Rückblick lässt sich kaum sinnvoll über die frühe Musik von Autechre sprechen, ohne zu berücksichtigen, wie die Geschichte bei ihnen weiterging. Immerhin entfernten sie sich mit jeder weiteren Veröffentlichung von dem, was sie an konventionellen Strukturen bis dahin beibehalten hatten. Auch wenn man die Ergebnisse nicht unbedingt für akademische elektronische Musik halten würde, ging der Dance-Aspekt bei ihnen seither oft gegen Null. Lediglich vier Jahre nach »Amber«, mit ihrem als »LP5« bezeichneten fünften Album, gab es keine ›warmen‹ Klänge mehr, dafür reichlich schroffe Rhythmusarbeit und metallisch-spröde Klangpanzer.
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Wenn man diese Entwicklung unter dem etwas fragwürdigen Gesichtspunkt des musikalischen Fortschritts betrachtet, ist »Amber« ganz klar weniger hoch entwickelt (oder hochgezüchtet) als alles, was danach kam. Autechre selbst zeigten sich sogar recht kritisch gegenüber ihrem Frühwerk. Anfang des Jahres 2008 bemerkte Rob Brown, die eine Hälfte von Autechre, dass »Amber« ziemlich kitschig sei im Vergleich zu dem, was sie inzwischen machten. Damals war gerade »Quaristice« von ihnen erschienen.
Wie Autechre über ihre Musik urteilen, bringt einen selbst glücklicherweise nicht unter Zugzwang. Niemand muss sich für die eine oder die andere Version von Autechre entscheiden. Fans haben in der Regel denn auch wenig Schwierigkeiten damit. Man kann sich freuen, wie abgefahren Autechre später wurden, genauso gut kann man sich darüber freuen, wie abgefahren sie schon auf »Amber« waren. Bloß mit weniger krassen Mitteln.