Records Revisited: Aphex Twin – Digeridoo (1992)

06.06.2024
Aphex Twin hat große Alben veröffentlicht, Genres geprägt und verändert. Manchmal wird eine EP vom Anfang der 1990er Jahre vergessen. Dabei war sie wegweisend für das, was in den kommenden 15 Jahren folgen sollte.

Kein Künstler und keine Künstlerin hat in der elektronischen Musikwelt der 1990er Jahre für so viel Wirbel und Erstaunen gesorgt, so viel Beachtung und Respekt eingeheimst, soviel Mythos kreiert, wie Aphex Twin. Und das trotz der damals wirklich nicht rar gesäten wegweisenden und teilweise glitzernden Mitstreitenden in seinem Umfeld wie Future Sound of London, Orbital, The Prodigy, Autechre, Squarepusher, The Orb und den vielen anderen persönlichen Held:innen der explodierenden Elektronikwelt.

1991 begann der Aufstieg des Richard D. James als Aphex Twin, der sein Debüt auf Mighty Force (»Analogue Bubblebath«) und Rabbit City Records (»Analog Bubblebath 2«) gab, auf denen zwei der vier Titel der »Digeridoo EP« erschienen. Mit der »Digeridoo EP« auf dem belgischen Label R&S Records im Januar 1992 schaffte er den Sprung in die Sichtbarkeit und den Eintritt in die vor allem auf dem europäischen Festland wachsende Hardcore-Techno-Szene.

Zu spät und trotzdem Erster

Diese Szene war 1992 bereits gut zwei Jahre alt. Der erste, zumindest offiziell veröffentlichte Hardcore-Techno-Track »We Have Arrived« von Mescalinum United war schon 1990 erschienen (Aphex Twin widmete ihm für R&S Records 1992 gleich zwei Remixe). Zugegeben, wenn man die Legendenbildung um Aphex Twin unterstützen möchte, besteht sogar eine gute Chance, dass er seine Hardcore-Tracks noch vor Mescalinum United geschaffen hat. Schließlich hat er auch Ambient Techno, das um 1990 durch The Orb und Carl Craig offiziell definiert wurde, bereits knapp fünf Jahre vorher aus seinen manipulierten Geräten gehämmert (siehe Aphex Twins »Selected Ambient Works 85-92«, auf R&S’ Sublabel Apollo).

»Ich habe einfach eigene Filter und Oszillatoren und andere Sachen gebaut«.

Aphex Twin

Dass Aphex Twin trotz der zeitlichen Verzögerung seiner Veröffentlichung auf R&S massiven Impact generierte, lag vor allem daran, dass er auf seiner »Digeridoo EP« Hardcore-Techno einen völlig neuen Klang gab. Nicht nur schleuderte er auf dem Titeltrack »Digeridoo«, mit dem er seit mindestens 1990 illegale Raves implodieren ließ, die Höchstgrenze der Tanzgeschwindigkeit über die 150 bpm Marke. Die Sounds, die seinen Hardcore formten waren bis dato ungehört.

Aphex Twin hatte kein Interesse an den Presets und Begrenzungen der zu jenem Zeitpunkt gängigen Technomaschinen von Korg und Roland (u.a. TR-808, TR-909, TB-303). »Mich hat [der Roland 100 M Monosynth] irgendwann angenervt. Also habe ich die Keyboards manipuliert und später auch Komponenten ausgetauscht«, erläuterte Richard D. James 1993 in einem Interview mit dem Magazin Future Music. »Ich habe mir nie etwas aus Magazinen abgeschaut. Ich mag es, es selbst herauszufinden. Also habe ich einfach eigene Filter und Oszillatoren und andere Sachen gebaut«.

Ein Zeichen der Dinge, die da kommen

Es waren deshalb vor allem Aphex Twins Sounds, die einem auch noch 1992 neben der allgemeinen Härte des Genres einfach eine Höllenangst einjagen konnten, wenn die Ecstasy-Pille im Dunkeln schief lag. Insbesondere seine außerirdischen Flächen, die über die erste Hälfte der 1990er Jahre Aphex Twins Trademark wurden und selbst seinen rohesten, reduziertesten Tracks eine klaustrophobische Tiefe und unheimlich Wärme injizierten, gaben den Tracks Eigenständigkeit und Andersartigkeit. Auch das vermeintliche Didgeridoo auf dem Titeltrack seiner ersten EP für R&S entstand als rein elektronische Drone, die James über mehrere Tage zusammenschraubte.

»Die Drums klangen nicht nach Drums, die Synths nicht nach Synths«, erinnerte sich 2017 vielsagend der Musikjournalist Joe Muggs an seine ersten Aphex-Twin-Erlebnisse Anfang der 1990er Jahre . »Es fühlte sich nicht so an, als würde es aus dem Zimmer eines Teenagers kommen, sondern aus einer bodenlosen Grube, in der alte Götter und neue Cyborgwesen in flagranti erwischt wurden«.

Dieser Ansatz würde in den kommenden Jahren den Erfolg von und die vielen Huldigungen für Aphex Twin begründen. Immer wieder mischte der britische Musiker etablierte Genres auf, führte sie ad extremum, verfeinerte sie oder öffnete sie in andere Genres. Vom Jungle über Ambient und IDM bis zu Drum & Bass und Elektro-Pop. Und wenn man genau hinschaut, hat er auf seinem Opus Magnum »Drukqs« (2001, Warp) vielleicht sogar Neo Classic überhaupt erst ins Rollen gebracht. Der Mythos bebt.