Quentin Tarantinos filmisches Werk ist referenzgespickt und von großer Zitierfreude durchzogen. Als fester Bestandteil der Popkultur zelebriert es Pop, referiert und diskutiert über ihn – in erster Linie natürlich das Medium Film, in hohem Maße aber auch Musik. Gleich in seinem Spielfilmdebüt »Reservoir Dogs« verhandeln die Protagonisten – Gangster, die sich treffen, um einen Coup auszuhecken – über den Text von Madonnas »Like A Virgin«, so als fachsimpelten sie über das Kaliber ihrer Knarren. Später bekundet einer der Herren, Mr. Blonde, »Stuck In The Middle With You« von Stealers Wheel sei sein Lieblingssong, als dieser im Radio anklingt. Der eingängige Track untermalt die berüchtigte Folterszene, in der Mr. Blonde ins Tänzeln gerät, bevor er seinem Opfer ein Ohr abschneidet. Die Dissonanz zwischen den beschwingten Klängen und dem Erzählinhalt der Szene markiert einen krassen Zwiespalt, der in besonderem Maße verstört.
Der zuckersüße Sound der Siebziger
»Stuck In The Middle With You« war ein Hit in den frühen 1970er Jahren. Bekannt als ein Regisseur, der größten Wert auf eine handverlesene Musikauswahl legt, erklärte Quentin Tarantino schon oft, dass es eben die Siebziger waren, in denen er seine Jugend verbrachte, weswegen es nicht verwundert, wenn er beim Zusammenstellen seiner Soundtracks meist aus jener Ära schöpft. Auf »Reservoir Dogs« angesprochen, äußerte sich Tarantino einmal wie folgt: »When it came to choosing the seventies music, I didn’t want to go for Black Sabbath, (…) or Kiss or Elton John or any of those big touchstones (…). I wanted to go for the super sugary bubblegum sound of the early seventies«.
Beim Einsatz der Soundtracks innerhalb seiner Leinwandwerke geht es Quentin Tarantino in der Regel nicht gerade um das Kreieren von historisch-authentischen Filmmomenten. Vielmehr sollen sie bei ihm wahrhaftig sein, und zwar ganz im Sinne – oder besser: im Zuge, da die verwandten Songs Filmeindrücke mitkreieren – einer überhöhten Stilisierung, filmischen Ästhetik und filmhistorischen Verankerung. Je nach Film gelingt ihm das auf verschiedene Weise. Zum Beispiel, indem er sich für »Jacky Brown« eine musikalische Blaxploitation-Kulisse zusammenklaubt, die Foxy Brown aus der Zeit fallen lässt und innerhalb der auch Johnny Cash funktioniert.
Ennio Morricone mit Sonderstatus
Immer wieder schafft Quentin Tarantino dabei ikonische Filmmomente, bei denen er die jeweiligen Songs in einem popkulturellen Kontext fast komplett für sich vereinnahmt. »Bang Bang« oder »Misirlou« scheinen heute untrennbar an »Kill Bill« und »Pulp Fiction« gebunden. Wer war noch gleich Nancy Sinatra oder Dick Tale & The Deltones? Das Intro von Quincy Jones´ »Ironside« verkommt unter Tarantinos Regie bei »Kill Bill« gar zum Soundeffekt. Einzig bei Luis Bacalov und Ennio Morricone kann er nie den Staub der zugrunde liegenden Italowestern abkratzen, wenn er sich mal wieder aus deren Archiven bedient – wobei es ihm in diesen Fällen gerade ums Staubaufwedeln geht.
Immer wieder schafft Tarantino dabei ikonische Filmmomente, bei denen er die jeweiligen Songs in einem popkulturellen Kontext fast komplett für sich vereinnahmt.
Dass Morricone einen Sonderstatus – nicht nur – für Tarantino einnimmt, erkennt man schließlich daran, dass beide füreinander Ausnahmen machten: Für »The Hateful Eight« schuf Morricone einen Original-Score, der auf Kompositionen basiert, die bei ihm schon seit 33 Jahren auf Halde lagen – obwohl er schon lange zuvor bekundete, dass er keinen Bock mehr aufs Orchestrieren von Western Scores habe. Und Tarantino schob seinen inneren Kontrollfreak zur Seite, um seinem Lieblingskomponisten Platz einzuräumen. Wobei er Morricone schon seit »Inglorious Basterds« hinterherhechelte.
Die Lieder als Kulisse
Tarantinos neuester Film »Once Upon A Time in Hollywood«, der anno 1969 spielt, hebt sich ebenfalls von seinem bewährten Songauswahl-Schema ab. Der Soundtrack featured ausschließlich zeitgenössische Songs, die die Ära der ausklingenden 1960er Jahre eben auch musikalisch abbilden. Man bekommt es mit Joe Cocker, den Buchanan Brothers, Deep Purple, Vanilla Fudge, Paul Revere & The Raiders oder Neil Diamond zu tun. Das märchenhafte Element des Films, das bereits in seinem Titel mitschwing, wird hier vom historischen Anspruch eines authentischen Zeitdokuments getragen. Das klingt verwegen, funktioniert aber – unter anderem wohl, indem die eingesetzten Musikstücke hier in Schranken verwiesen werden. Tarantino bindet die Tracks diesmal nicht an seine Bilder. Vielmehr lässt er sie, ganz pragmatisch, im Radio laufen, zur Untermalung, als Bestandteil der Kulisse. Dann etwa, wenn Brad Pitt als Cliff Booth die Straßen heruntercruiset.
OST Quentin Tarantino's Once Upon A Time In Hollywood
Einmal tönt dabei »Mrs. Robinson« von Simon & Garfunkel aus den Lautsprechern seines Wagens. Dann nämlich, als er auf dem Nachhauseweg einige Mitglieder der Manson Family erspäht. Markiert das innerhalb der Geschichte den Beginn einer individuellen Reifeprüfung? Analog zum gleichnamigen Film, in dem der Song erstmals kontextualisiert wurde? Was später bei »American Pie« zitiert und parodiert wurde? Und die hier darin aufgeht, dass – oha – die Manson Family gefickt wird? Raum für naheliegende bis wüste Spekulationen bietet Quentin Tarantino immer. Ein Angebot, das stets ebenso dankbar angenommen wird, wie seine Soundracks auf Platte angenommen werden.