Florenz, 1944. Die Nazis haben den Norden Italiens besetzt, das Land ist in zwei Hälften geteilt. Zwar rücken die Alliierten sukzessive von der Toskana in Richtung Emilia-Romagna vor, doch das Massaker von Marzabotto würde noch bevorstehen. Piero Umiliani ist da gerade 17 Jahre alt. Er verdient sich seine ersten Lira als Barpianist mühsam aber engagiert in einer Soldatenkneipe der US-Armee.
Zu dieser Zeit auch schnappt er das erste Mal afro-amerikanischen Jazz im Schweizer Rundfunk auf. Vor allem von Duke Ellington ließ er sich immer wieder inspirieren, dem er später auch ein Tribut-Album widmete. Von den Groschen, die ihm die Soldaten hinterließen, konnte er sich und seiner Familie genügend zu essen leisten und die Schrecken des Krieges vergessen machen. Früh zahlte sich so die Notwendigkeit des Spielens aus.
Nach Ende des Kriegs erhielt Umiliani von der italienischen Rechteverwertungsgesellschaft SIAE den Auftrag, Bebop-Interpretationen klassischer Jazz-Standards zu schreiben. Mit Veröffentlichung der Interpretationen in ganz Italien, verdiente Umiliani bereits mit 19 Jahren prozentual Tantieme pro Aufführung. Doch trotz seines enormen Talents, verlor Umiliani nach und nach an Qualität. Das klassisch orientierte Studium an der Musikhochschule Florenz verwirrte ihn umso mehr und die Damenwelt schien interessanter zu werden als die der Jazz-Musik. Als 1952 ein Freund Umiliani darauf aufmerksam machte, dass der große Armando Trovajoli Hilfe beim Arrangieren benötigen würde, ging Umiliani umgehend nach Rom um seiner Bestimmung zu folgen. Kurze Zeit später folgten 1954 mit »Dixieland in Naples« eigenwillige Interpretationen neapolitanischer Standards und damit sein erster Langspieler über RCA.
Zwischen den 1960er und 1980er Jahren experimentierte Umiliani mit sämtlichen Genres der Zeit. Von Dixieland über experimentelle Exotica, Jazz-Funk hin zu Proto-Techno-Versuchen, veröffentlichte Umiliani eine kaum zu überblickende Anzahl an Projekten. Heute gilt er vor allem als Galionsfigur für Library-Musik und Komponist unzähliger Scores von Exploitation-Filmen. Zeit seines Lebens feierte er damit allerdings nur mäßige Erfolge. Zahlreiche Fantasienamen verschleiern zudem das unüberschaubare Œuvre. Erkennbar ist Umiliani für viele an der Muppets-Version von »Mah Nà Mah Nà«. Um so interessanter ist der retrospektive Blick. Seit seinem Tod 2001 und dem Aufkommen der Retro-Nostalgik gegenüber italienischer Library-Musik, wird Umiliani oft in einer Reihe mit den Großen genannt: Nino Rota, Ennio Morricone, Riz Ortolani et al.
Schema hat jetzt ein weiteres seiner Werk veröffentlicht: »Discomusic«. Zeit, mal zwölf essentielle Werke des Maestros vorzustellen, in denen keines aus der Reihe tanzt – weil es keine Reihe gibt.
Bevor Umiliani durch seine Filmkompositionen bekannt wurde, veröffentlichte er Jazz-Platten. Da sich die Szene in Italien durch den Krieg nur langsam entwickeln konnte, waren ambitionierte Jazz-Produkte nach dem Vorbild der ganz Großen aus den USA eine Seltenheit. Umiliani aber lieferte mit »Da Roma A New York« ein derart überraschend tightes Spiel, sodass ihm amerikanische Kritiker schon bald Arrangements mit eben jenen Größen prophezeiten. Nur zwei Jahre sollte es dauern, bevor Umiliani für »Audace Colpo Dei Soliti Ignoti« auf die Trompete des großen Chet Baker traf.
Trotz der humoresken Filmvorlage ließ Umiliani an den Arbeiten für »Smog« viel Melancholie in die Stücke einfließen. Dank des großzügigen Budgets des Films stand Umiliani nicht nur ein großformatiges Orchester zur Verfügung. Jazz-Legende Chet Baker spielte an der Seite von Sängerin Helen Merrill eine vergleichsweise düstere Form des Jazz. Umiliani, der größtenteils für Komödien schrieb, sehnte sich später nach genau solchen Aufträgen.
Der Soundtrack zu einer einmalig gesendeten TV-Dokumentation über Italiens Industrialisierung der späten 1960er verschwand nach Ausstrahlung nahezu ungehört in den Archiven von »Omicron«, Umilianis Label. Einige der elektronisch angehauchten Stücke tauchten 1975 auf dem Album »Atmospheres« wieder auf. Diesmal als ausgewiesenes Leftfield-Experiment.
Umilianis wohl bekanntester Soundtrack. Obwohl der Mondo-Film »Svezia, Inferno E Paradiso« unter anderem den Drogen-, Alkohol- und Pornokonsum der Schweden »dokumentierte«, fand die ursprüngliche Version des späteren Muppets-Schlagers »Mah Nà Mah Nà« hier zuerst statt Der Song war nicht auf der Erstauflage des Soundtracks enthalten, verkaufte sich ein Jahr später als Neuauflage aber besonders gut.
Die obskure Mondo-Dokumentation über Okkultismus in der Gesellschaft war weniger ein guter Film als die wohl beste Zusammenarbeit zwischen Regisseur Luigi Scattini und Umiliani. Mittlerweile als Kultfilm gesehen, stieg auch der Wert der Platte. Originale Kopien erzielten bereits bis zu vierstellige Erlöse.
Einer der weniger bekannteren Filme mit Klaus Kinski bekam einen Soundtrack auf den Leib geschnitten, als Umiliani in sich gerade in einer der kreativsten Phasen seiner Karriere befand. Die Mischung aus filigranen, romantischen und groovenden Stücken hätte das Label »Crime Jazz« am ehesten verdient.
Nachdem »Mah Nà Mah Nà« sich zu einem echten Erfolg aufschwang, erschien das Stück hier unter dem Titel »Viva La Sauna Svedese« erneut. Daneben griff Umiliani viele progressive Beat- und Rock-Techniken der Zeit auf und verarbeitete sie auf typische Weise. Zur vollständigen Verwirrung zuträglich: psychedelische Kraut-Momente sucht man hier vergebens.
Früh löste Umiliani sich auch von den Erwartungen und Arbeitsweisen seiner Mitspieler. »Synti Time« war zwar auch ein Modealbum, wie viele andere in den Frühsiebzigern entdeckte Umiliani darauf die neuen Möglichkeiten der Instrumentierung. Im Gegensatz zu den deutschen Elektronikern klangen Umilianis Produktionen allerdings wesentlich humorvoller und bereits einen Schritt weiter.
Möglichst schnell sollte der zweite Teil von Piero Scattinis Film-Trilogie in die Kinos kommen. Weil der unerwartet große Erfolg des ersten Teils »La Ragazza Dalla Pelle Di Luna« basierend auf der kommerziellen Entdeckung Miss Eritreas 1969, Zeudi Araya, nach Zugaben lechzte, musste ein ebenso kohärenter und suggestiver Soundtrack her wie der des Vorgängers. Kein Problem, Umiliani hatte bereits den ehrwürdigen Sound Work Shop hergerichtet. Zu dieser Zeit betrug Umilianis Output bis zu einem Dutzend Veröffentlichungen pro Jahr. »Il Corpo«, der dritte Teil der Reihe folgte nur ein Jahr später.
Trotz der Fülle an Genres, die Umiliani zu bedienen wusste, gelang es ihm immer wieder, die eher offensichtlichen zu einem neuen Gesamtkontext zusammenzuführen. Das 21 Songs umfassende Instrumental-Album »To-Day’s Sound« mischte loungige Easy-Listening-Rhythmen mit schwungvollem Jazz zu Pop-Melodien. Für eine Vielzahl der Stücke setzte Umiliani dabei den damals kaum erforschten Moog-Synthesizer ein. Heute gilt die Platte als besonders Sample-tauglich.
»Discomusic« erschien gleich zwei mal unter falschem Namen. Als Rovi produzierte Umiliani viele Proto-House-Werke, dazu zählt auch das Stück »Discomania«. Lange diente die Melodie als Outro der italienischen Fußball-Sendung »90° Minuto«. Veröffentlicht wurde die Platte aber unter dem Pseudonym The Soundwork-Shoppers. »Tra Scienza E Fantascienza», 1980.
Als eine der skurrilsten Arbeiten galt der Sci-Fi-Jazz, den Umiliani 1980 als Moggi veröffentlichte. Hier konzentrierte er sich beinahe ausschließlich auf Synthesizer-Miniaturen, die retro-futuristisch einerseits die Zukunftshoffnungen der Siebziger zitieren wollten, andererseits bereits den Minimalismus der Folgejahre vorweg griffen. Zumindest hinsichtlich elektronischer Experimente ist dies eines der progressivsten Umiliani-Werke.
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