»Filme geben der Musik einen Kontext«, sagte Kai Hugo in einem mit uns Als Palmbomen II produziert der Niederländer seit zehn Jahren Klänge, die das Kino in den Kopf projizieren. Damit ist er so etwas wie der umgekehrte Caretaker, weil bei ihm keine Erinnerungen verschwinden, sondern neue entstehen. Durch Videos, die seine Musik zwar ergänzen, aber auch erweitern, schafft er Musik für Orte, die es nicht gibt, wegen der entstehenden Erinnerung aber doch zu existieren beginnen. Mit seinem Album »Memories of Cindy«, das 2017 auf Beats in Space erschien, kurbelte Palmbomen II an der Trommel für Lynch’eske Black-Lodge-Reminiszenzen und Déjà-Vu-Erlebnisse, die niemals stattgefunden haben. Eine Geschichte entstand aus einem Vibe, einer Atmosphäre oder Aura. Eine, die zeigte, dass die Erinnerung immer selbst Geschichte ist. Und deshalb das fiktive Vergangene mit der realen Gegenwart verbindet.
Palmbomen II baut Erinnerungswelten. Vielleicht hat es ihn deswegen aus der niederländischen Provinz über den Lost Highway nach Los Angeles verschlagen – eine Stadt, die wie keine andere für Träume steht. Und für alle, die nie in Erfüllung gingen. Dort, auf diesem Pflaster der zerplatzten Erinnerungen, komponiert Hugo noch immer. Musik, die Filme untermalt. Oder sie dreht. Schließlich erscheint mit seinem neuen Album »Make A Film« eine Platte, deren Titel den kategorische Imperativ für Möchtegern-Schlingensiefs aus- und klarmacht: Dreh einen Streifen! Score ihn mit meiner Musik! So einfach kann’s gehen, wenn man auf der Suche nach der nächsten X-Files-Staffel wäre oder das überfällige Sequel für »Fire Walk With Me« plante. Anders gesagt: Scheiß auf Hans Zimmer und abgenudelte Library-Music-Scheiben aus den Achtzigern. Richte das Smartphone auf den nächsten Hinterhof, schau was passiert. Und leg ein ein »Sad Piece« drunter. Welche Schallplatten ihn in Sachen Filmmusik geformt, gebessert und gebildet haben und warum, dass hat er uns in diesen Tagen erzählt.
Palmbomen II: Die »alten« Tangerine Dream sind für mich eine große Inspiration mit ihren Soundtracks aus den Achtzigern. Einige meiner Lieblingsfilme wie »Miracle Mile« (»Nacht der Entscheidung«) haben sie vertont, aber der Soundtrack zu »Risky Business« (»Lockere Geschäfter«) ist für mich der beste. Und es gibt dieses »Movie Kit«, das fast mein Konzept ist, das ich gerade mache, ein Kit mit all den verschiedenen Stücken für den Film, sogar kürzere Versionen von Stücken zu Promozwecken.
Palmbomen II: Ich habe eine Sammlung von New-Age-Kassetten, die ich immer mal wieder in Second-Hand-Läden und auf Flohmärkten finde. Sie gefallen mir und inspirieren mich sehr. Diese hier liebe ich, aber ich hätte auch eine Menge anderer Kassetten hier unterbringen können. Oft sind diese Kassetten von anonymen Komponisten komponiert worden. Ich habe das Gefühl, dass sie sich ein bisschen schämen, weil sie vielleicht ein »ernsthafter« Musiker waren und diese Kassetten für Geld aufgenommen haben.
Palmbomen II: Ich liebe diese Art von Musique-Concrète-Produktionen und die Komponisten, die dafür geschrieben haben, das ist eine schöne Kombination. Ein Großteil dieser Art von Musik klingt für mich normalerweise etwas langweilig, weil es immer zuerst um die Produktion geht, aber ich mag die Zusammenarbeit zwischen Produzenten (von denen eine die berühmte Delia Derbyshire ist) und vielen Fernsehkomponisten, die diese inspirierenden Filmstücke geschaffen haben.
Palmbomen II: Alfred Jodocus Kwak war eine ziemlich bekannte Zeichentrickserie, die sehr beliebt war, als ich aufwuchs, und ich wuchs mit all den Kassetten auf, die die Musik und die Geschichten dieser Serie enthielten. Sie hat wirklich schöne Synthesizer-Scores.
Palmbomen II: Ich war ein Kind, als ich »Grand Theft Auto« zum ersten Mal spielte, und es brachte mich mit so viel Musik zusammen. Für mich ist es einer der ultimativen Soundtracks. Wie eine Kulturkapsel für einen Moment der Zeit. Einer der besten in der GTA-Serie. Mein Traum wurde wahr, als sie meine Musik für einen späteren Teil von GTA verwendeten.
Palmbomen II: Ich habe das Gefühl, dass Enya schon immer von Musiksnobs verspottet wurde, und ich hatte immer das Gefühl, dass das einen sexistischen Ursprung hat. Ich glaube, sie wurde verspottet, weil sie keine »coolen Synthesizer« oder »verrückten Drums« verwendete, sondern einfach nur sehr nah an ihren Kompositionen geblieben ist und ein Keyboard und ihre Stimme benutzt hat. Dieses Album ist für mich der Höhepunkt, und es hat die gleiche melancholische Stimmung, die ich beim Komponieren suche, es geht nicht um die Produktion, sondern um die Komposition, und das liebe ich.
Palmbomen II: Konsolenmusik und insbesondere SNES-Musik war für mich schon immer etwas Besonderes. In dieser begrenzten Umgebung, in der diese Konsolen winzige Synthesizer darstellen und mit denen man so kreativ wie nur irgend möglich komponieren kann, wie bei Enya, geht es um die Noten und darum, so kreativ wie möglich mit seinen Arrangements zu sein. Dieser Soundtrack ist spitze, er ist eine solche Inspiration für mich. Das beste Stück hier ist wohl »Aquatic Ambience«, eine Art Klassiker, den jeder in meiner Umgebung kennt.