»In gewisser Weise beginnt die Geschichte des Labels Offen mit einer Platte, die gar nicht auf dem Label erschienen ist«, so der Labelmacher Vladimir Ivkovic. Gemeint ist die Single »Jagd auf den Hirsch« des damaligen Düsseldorfer Duos Der Räuber und der Prinz. Die Vinyl-12“, die 2010 den Tanzmusik-Underground formulierte, erschien damals auf einem Label, das man bis dato nicht für Krautrock oder artverwandte Genres kannte: Desolat. Das Label des umtriebigen Tech-House-DJs Loco Dice brachte »Jagd auf den Hirsch« raus. »Ich war damals, und bin es auch heute noch, Manager des Labels in Düsseldorf. Die Platte tauchte in meinem Umfeld auf. Ich überlegte, wie man sie veröffentlichen könne, zeigte sie Loco Dice und ihm gefiel sie vom Fleck weg.« Dass die vermeintlich erste 12“ eben nicht auf Offen erschien, war für Ivkovic verzeihlich; immerhin stellte sie einen Anfangdar. So merkt er heute an: »Das waren keine alten Stücke, die jemand entdeckt hatte. Man musste diese nicht ausgraben. Sie waren neu und lebendig. Und in meinem Umfeld gab es viele Musiker und Musikerinnen, die so klangen.«
Vladimir Ivkovic ist in Jugoslawien geboren, ging dort zur Schule und verließ einen Tag bevor der Krieg ausbrach durch einen Zufall das Land. Er hatte erfahren, dass er eingezogen werden solle; und am Flughafen hatte man ihn wohl für einen Schüler gehalten, obwohl er schon seinen Abschluss gemacht hatte und wehrfähig gewesen wäre. Über einige Pfade und Umwege landete er zuerst im Ruhrgebiet und dann irgendwann in den 2000er Jahren in Düsseldorf. Dort wurde er schnell Teil des Salon des Amateur, nachdem der berühmt-berüchtigte Klub in der Altstadt der Rhein-Metropole 2004 eröffnet wurde. Einer seiner Mitgründer: Detlef Weinrich, auch bekannt als Tolouse Low Trax. Außerdem tummelten sich weitere Gesichter undergroundiger Entwürfe. Da war Lena Willikens, mit der Ivkovic jahrelang das Programm des Clubs gestalten sollte und heute als DJ-Duo auftritt. Da war Jan Schulte (Wolf Müller, Bufiman) – oder eben Ralf Beck und Sebastian Lee Philipp, die erst Der Räuber und der Prinz bildeten und dann Die Wilde Jagd (wenngleich Philipp das Projekt heute alleine betreibt). Dieses Umfeld, diesen Kontext, muss man immer im Hinterkopf behalten, wenn man über Offen spricht. Selbst wenn ein Großteil der Veröffentlichungen eher lose mit Düsseldorf verbunden ist.
»Das waren keine alten Stücke, die jemand entdeckt hatte. Man musste diese nicht ausgraben. Sie waren neu und lebendig. Und in meinem Umfeld gab es viele Musiker und Musikerinnen, die so klangen.«
Vladimir Ivkovic
Doch Ivkovic ist leicht erkennbar kein BWL’er im DJ-Gestalt, sondern ein feinfühliger Mensch, der die Entscheidungen für sein Label aus dem Bauch und dem Herzen trifft. Persönliche Beziehungen stehen da meilenweit über betriebswirtschaftlichen Interessen. Aus dem Herzen stammte dann eben auch der tatsächlich erste Release (und noch weitere, die folgten): Rex Ilusivii und sein Album »Moon Cage« tragen die Katalognummer 001. »Mitar Subotić war ein Underground-Musiker, der zum Bekanntenkreis meiner Eltern gehört. Seine Stücke waren immer zugegen in meiner Jugend«, erzählt er. Es war also ein Blick zurück in die eigene Vergangenheit, der die Zukunft des Labels darstellte. Noch zwei weitere Alben des jugoslawischen Exilanten hat Ivkovic mittlerweile releast. Denn genauso wie der Labelchef verließ Subotić das zerrissene Land – ihn zog es nach Brasilien. Wo dann auch das Album »Wayang« unter dem Moniker Suba entstand, das den Durchbruch für das Label bedeuten sollte.
Die Wege des Labels führen dennoch häufig nach Düsseldorf. Da sind die Platten des Duos Toresch, bestehend aus Detlef Weinrich (s.o.) und Viktoria Wehrmeister – die als Decha auf Malka Tuti veröffentlicht.. Da ist das Projekt Metaclaw, das sich spontan nach einem Abend im Salon des Amateurs gründete; oder auch Karamika – an beiden ist der Produzent und Labelbetreiber Gordon Pohl beteiligt. Auch so ein Freund aus Düsseldorf.
Die aktuellen und kommenden Veröffentlichungen sind dennoch etwas Besonderes für Ivkovic: Hier wendete er sich Musiker•innen zu, die er seit längerem bewundert. Diese Platten sind losgelöst vom Düsseldorfer Umfeld entstanden – na klar, auch der Salon des Amateurs pausiert pandemiebedingt. Aus der Not macht Ivkovic eine Tugend: Die Stücke der letzten (und kommenden) Monate zeigen sich sehr eigenwillig und mutig. CZN, das Projekt des portugiesischen Drummers Joao Pais Filipe, gehört da genauso dazu wie der anstehende Nic Arizona-Release. Sorge muss man demnach nicht haben. Eines bleibt sicher: Wo Offen drauf steht, da ist Herzblut drin.