New Record Labels #30 – Don’t Be Afraid, Giallo Disco, I/Y, Kalakuta Soul

06.07.2017
Jeden Monat stellen wir euch Labels vor, die neu bei uns im Shop vertreten sind und/oder deren Entdeckung sich lohnt. Die Auserwählten diesmal: Don’t Be Afraid, Giallo Disco, I/Y und Kalakuta Soul.
(https://www.hhv.de/shop/de/don-t-be-afraid-electronic-dance/i:D2L29338N93S6U9]) Don’t Be Afraid ist ein 2010 vom DJ und Produzenten Semtek alias Benjamin Roth gegründetes, britisches Plattenlabel aus Bristol. »Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich gar nicht mehr, warum ich das Label gegründet habe«, gibt Roth zu, der mittlerweile vom DJ und Promoter Dean Driscoll sowie der DJ Amii Little unterstützt wird. »Wir haben auch kein großartiges Ziel außer, Techno und House ein bisschen weiterzutreiben.« Obwohl das staubige Understatement typisch für Roths No-Nonsense-Ansatz ist, legt er bei seiner Arbeit mehr als nur das notwendige Quäntchen Leidenschaft an den Tag. Obwohl es sich bei den Releases von Semtek selbst und zahlreichen anderen EPs von etwa Karen Dwyer, rRoxymore, DJ Bone unter seinem Differ-Ent-Alias oder auch Neville Watson im weitesten Sinne um Clubmusik handelt, erkennt Roth nicht unbedingt einen roten Faden in dem, was er da macht. »Ich könnte dir mit Worten nicht erklären, was ein Don’t Be Afraid-Release ausmacht«, meint er. »Was ich allerdings sagen kann: Wir scheuen davor zurück, uns zwanghaft an Jungle oder UK Garage-Klischees abzuarbeiten.«_ Nicht, dass er etwas gegen Jungle oder UK Garage hätte – Roth denkt nur eben gerne gegen den Strich.

Strich hin oder her, einen roten Faden gibt es bei Don’t Be Afraid dennoch. Die Releases sollen im Club gespielt werden, dafür steht schon das in grellen Farben gehaltene und dennoch schlichte Design der Platten. »Ich möchte den DJs Platten geben, die sie im Club schnell wiedererkennen können«, sagt Roth und fügt hinzu, dass die Kontinuität im Artwork auch SammlerInnen zugute kommt. Neben dem üblichen 12"-Business hat sich das Label allerdings mittlerweile auch auf eine kurze Tape-Serie und Alben von etwa Mr. Beatnick und MGUN verlagert, die sich wie im Falle des Spaniers auch mal selbst am Design austoben können. Was aber macht zum Beispiel ein gutes Album für Roth aus? »Ich höre mir Dance Musik-Alben auf eine andere Art an als beispielsweise experimentelle Platten«, sagt er. »Meine Lieblingsalben sind nicht anders als eine gute Single. Nur lassen sie etwas mehr Spielraum für Experimente«. Als seine absoluten Lieblingsreleases bezeichnet er deshalb auch die auf Kassette erschienen Alben von Halvtrak und Doubt, die als limitierte Ausgaben mit dem gewohnten Don’t Be Afraid-Artwork erschienen – kleine Experimente für sich selbst. Aber solange Roth und sein Label damit Techno und House ein bisschen weitertreiben, reicht das ja völlig aus. KC


(http://www.hhv.de/shop/de/musik/alle/label:giallo-disco]) Giallo Disco ist ein 2012 von den Produzenten Antoni Maiovvi und Gianni Vercetti Balopitas alias Vercetti Technicolor gegründetes Plattenlabel, das in London und Amsterdam ansässig ist. Dass Maiovvi und Balopitas ihr eigenes Ding vor allem aus Frustration aus den Start brachten, das überrascht nicht unbedingt. Denn das Faible, dem sich die beiden Produzenten mit ihrer eigenen Musik widmen, ist doch eher unkonventionell: Ihre Disco-basierte Musik spielt mit der Ästhetik von italienischen Krimis (sogenannten Gialli) und B-Movie-Horrorfilmen, wie sie einst von Goblin mit Soundtracks versehen wurden. Klirrende, Synthie-lastige Musik mit viel Groove und einem Hang zum Dancefloor – dafür gab es neben dem extrem kurzlebigen Kompakt-Sublabel Fright kein Outlet. Sie mussten es also selber machen.

Ihre Liebe zu schrägen Filmen mit großartigen Soundtracks lassen Maiovvi und Balopitas auch auf den aufwändig gestalteten Covern aufleben. Dem hauseigenen Designer Eric Adrian vertrauen die beiden blind. »Er ist so ein Genie, dass wir ihm nur selten irgendwelchen Input geben müssen. Er bringt es jedes Mal auf den Punkt«, schwärmt Maiovvi über die farbenfrohen, von grellen Rot- und Grüntönen geprägten Sleeves des Grafikers. Ähnlich schrill klingt auch das, was Giallo Disco auf Vinyl pressen. Die beiden Produzenten nennen nicht ohne Grunde niederländische Labels wie Bunker, Crème Organisation und Clone als Inspiration für ihre Arbeit, sondern beziehen sich ebenso auf ihren eigenen Tracks auf House- und vor allem unterkühlte Electro-Grooves. Legowelt etwa steuerte zum erste Release – einer Split zwischen den Labelgründern – einen Remix bei und auch Produzenten wie Brassica oder sogar die britische Techno-Legende Neil Landstrumm finden sich hier mit für sie ungewöhnlichen Beiträgen wieder.

Als reine DJ-Tools für Dancefloor betrachten die beiden die Releases auf Giallo Disco nicht, vielmehr soll die Musik auch genauso von der Couch aus genießbar sein. »Sie sollten beides leisten können und deinen Kopf mit fantastischen Bildern füllen«, so Maiovvi. À propos: Wer sich bei Bildsprache sowie musikalisch bei der Filmwelt bedient, hat doch bestimmt auch cineastische Ambitionen? Die LP »Wild In Blue (Original Motion Picture Soundtrack)« lässt daran denken, doch Maiovvi wiegelt ab. »’Wild In Blue‘ war tatsächlich ein gefakter Soundtrack, ähnlich wie Vercetti Technicolors ‚Black September‘-LP«, heißt es. Die Musik zum Feature-Film »Baskin« von Volkan Akaalp indes wie auch eine einseitig bespielte 7″ mit Musik aus dem Film »Hangman« sind durchaus ebenso real wie die Musik zum griechischen Exploitation-Film »Island Of Death«, dessen Neuauflage Giallo Disco erstmals besorgte. Was die beiden Giallo Disco-Gründer aus Frustration begannen, das hat bisher ungeahnte Dimensionen angenommen. Auch das: beinahe unheimlich. KC

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(http://www.hhv.de/shop/de/musik/alle/label:i-y]) I/Y ist ein 2013 von Irakli Kiziria und Yacoub Chakarji gegründetes, deutsches Plattenlabel aus Berlin. Wer die Berliner Techno-Szene in den letzten paar Jahren nur beiläufig beobachtet hat, wird sich irgendwann gewundert haben, wo I/Y plötzlich herkamen – und warum sie plötzlich überall sind. Das erste eigene Release des eifrigen und bestens vernetzten DJ- und Produzentenduos markierte zugleich den Beginn ihres Labels, auf welchem dem Namen zum Trotz nicht nur die Musik von I/Y gepresst wird. »Zunächst einmal war das Label eine Plattform, auf der wir uns verwirklichen wollten«, erinnert sich Kiziria. »Dann waren aber die ersten beiden Platten ziemlich schnell ausverkauft und die hatten uns etwas Aufmerksamkeit gebracht.«_ Mit der gesteigerten Aufmerksamkeit kam eine größere Reichweite und noch größere Ambitionen hinzu. Das Label öffnete sich zuerst für eine EP des Berliners Blind Observatory und beherbergte zwischenzeitlich auch das Urgestein Savas Pascalidis oder weniger bekannte Namen wie Tempre oder Backyard Aliens. Die Releases der Staub-Serie kommen ohne jeglichen Hinweis auf ihre UrheberInnen aus. Ganz im Sinne der Berliner Techno-Matinee, von der sie sich ihren Namen leiht und deren Line-Up bis zum Veranstaltungstag ein Geheimnis bleibt.

Klingt nach faceless Techno und dementsprechend wertekonservativ, I/Y aber stehen für ein dezidiert offenes Konzept ein. Trotzdem sollen die Releases ihre Halbwertszeit nach der Peak Time nicht überlebt haben, sondern diese überdauern. Über die Compilation-Reihe »Moments«, die ebenso aus einer von I/Y organisierten Partyreihe entstand, sagt Kiziria: »Der Fokus liegt auf den Momenten einer Party, welche inspirieren, unvergesslich und einzigartig sind. Es ist großartig, wenn man die Möglichkeit hat, diese Momente musikalisch festzuhalten.« Und obwohl I/Ys Kriterienkatalog für die Releases auf ihrem Label zuerst recht pragmatischer Natur waren, so änderte sich auch dieser Anspruch im Laufe der Zeit. »Ich fragte mich, was passiert in 50 Jahren, wenn jemand eine I/Y-Platte in die Hand nimmt und sie sich anhört. Wird sie wie viele tausend andere alte Platten klingen oder noch was Zusätzliches transportieren?« An die Zukunft denken? Auch das: very Techno. Zugleich aber auch: sehr selbstkritisch. Was wiederum nicht unbedingt Techno ist. Der hohe Anspruch an sich selbst schlägt sich in aufwändigen Artworks und strahlenden Vinyl-Farben wieder,um deren Gestaltung sich der Designer und Architekt Kiziria selbst kümmert. Das Visuelle bezieht sich dabei direkt auf die Musik – oder umgekehrt. »Manche betrachten Architektur als Musik oder eine Skulptur als Poesie. Ich persönlich finde Musik-als-Skulptur ein sehr interessantes Konzept.« Bleibt nur abzuwarten, wie die Skulpturen von I/Y der Techno-Generation in 50 Jahren zusagen. KC

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(http://www.hhv.de/shop/de/musik/alle/label:kalakuta-soul]) Kalakuta Soul ist ein 2013 gegründetes, deutsches Plattenlabel aus Bochum.. Die Geschichten vieler Indie-Labels nehmen ihren Anfang in durchzechten Nächten, doch nicht Kalakuta Soul. Lange bevor die fünfköpfige Crew aus Bochum ihr erstes Release veröffentlichte, gründeten sie ihn Anlehnung an Fela Kutis sozialistisches Wohnexperiment, der Kalakuta Republik, und das Bermuda3eck, einem Kneipenviertel in der Bochumer Innenstadt, das Kalakuta Dreieck. »Mir sollte verboten werden, einen öffentlichen Platz mit Musik zu bespielen. Selbsternannte Sheriffs wollten das bestimmen«_, erinnert sich das Mitglied Guy Dermosessian an die spontane Taufe einiger weniger Quadratmeter, die von ihm und anderen mit der entsprechenden Musik bespielt wurden. Kalakuta Soul war geboren und aus der Plattform für widerspenstige Musikfans wurde schnell ein Label. Das anonyme Produzentenduo Cuttlefish & Asparagus – angeblich aus dem sagenumwobenen Atlantis – steuerte zum ersten Release drei Edits bei und sollte dem Label auf Dauer erhalten bleiben. Um wen es sich dabei handelt, darüber schweigt Dermosessian allerdings – den guten Draht zu den Artists zu bewahren, ist der Crew schließlich wichtig.

Recht zügig wurde aus einem guten Draht allerdings ein ganzes Netzwerk, das sich über die gesamte Welt erstreckt. Globale Größen wurden aber regional angeheuert. Das Chicagoer Soul In The Hole-Mitglied Sadar Bahar und der britische Plattenladenbesitzer Zaf etwa wurden bei einem Besuch in Bochum rekrutiert, die französische Edit-Legende Julien Minarro alias Waxist wiederum in Berlin nach einem Set abgefischt. So wie aus den Partys des Kalakuta Soul Systems also regelmäßig neue Releases resultieren, so sehr war die Musik anfangs auch für den DJ-Gebrauch bestimmt, sagt Dermosessian. Das aber hat sich zwischenzeitlich geändert. »Mir war es immer wichtig, möglichst kein anderes Label zu doppeln«, sagt er. »Es sollte Musik aus allen Ecken Platz haben. Mit möglichst verschiedener Inspirationen.« Soul, Funk, Disco und auch jazzige Töne von etwa dem Trio Homewreckers finden hier zu einer Mischung zusammen, die so ziemlich jeder Plattentasche gut stehen würde – und sei es nur des Artworks wegen. Für das Design der farbenfrohen Sleeves von beispielsweise Sadar Bahar und Cary Grant zeigt sich das Berliner Design-Studio Book Book verantwortlich. Deren ebenso klassischer wie bunter Ansatz spiegelt perfekt die einerseits traditionsbewusste wie zeitgenössisch orientierte Musik des Labels wider – und auch dessen Gründungsgedanken. Denn was sich gegen das durchgentrifizierte Alltagsgrau auflehnt, tut das am besten mit viel Soul und Farbe. KC

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