Dora Morelenbaum setzt die MPB-Tradition mit fast unverschämter Unbefangenheit fort. Doch die scheinbare Leichtigkeit gehört eben entscheidend zu dieser Musik dazu und macht einen nicht unerheblichen Teil ihrer Großartigkeit aus. Morelenbaums Debütalbum »Pique« ist gerade erschienen. Aber Dora Morelenbaum ist keine völlig Unbekannte. Sie spielt im Quartett Bala Desejo, das sich 2020 während der Coranapandemie gründete und zwei Jahre später sein Debütalbum »SIM SIM SIM« vorlegte.
Pique Black Vinyl Edition
Während man bei Bala Desejo eine vornehmlich juvenile Energie am Werk zu hören meint, kommt Dora Morelenbaums Soloschaffen in großen Teilen deutlich abgehangener daher. Schon ihre erste EP, »Vento de Beirada« von 2021, orientierte sich in Stimmung und Arrangements an klassischen Vorbildern wie Gal Costa, ohne einfach wie eine Kopie derselben zu klingen. Da war plötzlich eine Stimme, und was für eine, die sanft und perfekt kontrolliert ihren Platz einforderte.
Und jetzt »Pique«. Hört man ohne Vorwissen einen Song wie das zurückgelehnte »Não Vou Te Esquecer«, mit dem die Platte beginnt, würde man nicht an den Einstand einer Debütantin denken. Der Reklamespruch des Labels Mr Bongo, man habe es mit einem »future classic« zu tun, ist da nicht ganz abwegig. Man könnte das Ergebnis allemal für einen Klassiker aus früheren Jahren halten, einen Teil des Albums zumindest.
Neben Eleganz macht sich ein bisschen Schmutz ganz gut
So ganz aus dem Nichts kommt dieser souveräne Auftritt allerdings nicht. Zwar soll man bei Musikern ja nicht übermäßig deren Familienverhältnisse zum Gegenstand machen, bei Dora Morelenbaum kann es gleichwohl nicht schaden zu wissen, dass sie die Tochter der Sängerin Paula Morelenbaum und des Cellisten, Komponisten und Arrangeurs Jaques Morelenbaum ist und dass beide unter anderem zehn Jahre in der Nova Banda von Antônio Carlos Jobim spielten. Musikfern ist Dora Morelenbaum damit ziemlich sicher nicht aufgewachsen.
Die bis ins Detail abgerundete Stilsicherheit beschränkt sich im Übrigen nicht aufs Reproduzieren. Einige der Details setzen immer wieder Akzente, die »Pique« vor der eigenen Musealisierung bewahren. Spätestens ab »Sim, Não.« kann man einen leicht raueren Sound bemerken, beginnend bei der dezent verzerrten Stimme Morelenbaums. Produziert hat Dora Morelenbaum ihr Album denn auch zusammen mit Ana Frango Elétrico, eine andere Protagonisten der neuen Well MPB. Beide arbeiten hier nicht zum ersten Mal zusammen.
Die bis ins Detail abgerundete Stilsicherheit beschränkt sich im Übrigen nicht aufs Reproduzieren.
Auf Ana Frango Elétricos Alben »Little Electric Chicken Heart« von 2019 und »Me Chama De Gato Que Eu Sou Sua« aus dem Vorjahr war Morelenbaum ihrerseits schon als Arrangeurin und Backgroundsängerin in Erscheinung getreten. Die erhöhten Funkanteile auf »Pique« gegenüber Morelenbaums erster EP dürften in dem Fall auf das Konto Ana Frango Elétricos gehen. Neben der makellosen Eleganz macht sich so ein bisschen Schmutz ganz gut.
Related reviews
Morelenbaums Bandkollegen von Bala Desejo kommen ihrerseits zum Zug, wobei sie ihre Beiträge dem Gesamtbild unterordnen. Schließlich ist dies Morelenbaums Statement als Solokünstlerin. Um das Bild zu vervollständigen, haben sich auch Morelenbaums Eltern an »Pique« beteiligt, mit Hintergrundgesang und Arrangements.
Man mag das eine privilegierte Position nennen, aus der Dora Morelenbaum an den Start geht, dennoch ändert das nichts daran, dass sie aus diesen Voraussetzungen wirklich etwas Bemerkenswertes gemacht hat. Für die brasilianische Musik, die da noch kommen mag, sind das sehr gute Nachrichten.