»Das ist Melbeatz’ Power-Juicer. Hättest du mir mit 16 erzählt, dass mir Kool Savas’ Produzentin mal ihre Saftpresse ausleiht, ich hätte dich für verrückt erklärt!« Die gestrige Partynacht steht noch auf dem Tisch und während er seinen Kater mit einem Vitamincocktail bekämpft, erzählt Mortis wie er mit Karate Andi und Damion Davis um die Häuser zog. Allein dieses Bild verdeutlicht: Mortis ist ein Weltenbummler. Aufgewachsen im Südharz zog der Rapper/Producer vor einigen Jahren zunächst nach Hannover, um von dort via Tramperticket in die Cyphers der Republik zu feuern und nebenher – wie es sich nach neudeutschem Sprachgebrauch schimpft – zu netzwerken. »Ich bin ohnehin ein sehr kontaktfreudiger Mensch, aber dieses Community-Ding ist für mich einfach Hip Hop. Es geht darum, dass man ohne Vorurteile überall hingehen kann und willkommen ist, solange du ein cooler Mensch bist.« Eine überraschend oldschoolige Sicht für jemanden, der erst Anfang der 2000er beginnt Rap zu hören und mit 18 Jahren erste eigene Beats produziert – natürlich aus selbst-gediggten Soul-Samples. Überhaupt ist Mortis ein Backpacker mit echter Graffiti-Vergangenheit, doch grenzt er sich klar vom stereotypischen Boom Bap-Ignorant ab: »Diese Leute peilen den Sound von damals einfach nicht. Die denken ihre Plug-ins und das Vinyl-Sample von YouTube machen das schon. Denen fehlt aber das Wichtigste: Knowledge. Genau das habe ich aber von Rap gelernt: Knowledge – du musst wissen, was du tust.«
Mittlerweile in Berlin wohnhaft, entledigte sich Mortis nicht nur dem One im Namen, sondern präsentiert auf seiner jüngst bei Showdown Records erschienen EP ein anderes musikalisches Spektrum als man es von den Aufschneidersprüchen der früheren Mixtapes erwartet hätte. »Der Goldene Käfig« reflektiert melancholisch-melodiös über den zweifelhaften Lebensstil der Generation Maybe zwischen Großstadtmoloch und Hinterland-Hölle aus der Sicht eines nicht mehr ganz so jungen Twenty-Something. »Meine Stärken waren immer Songs mit viel Bildsprache. Dieses ›Illmatic‹-Ding: der kleine, normale Junge am Fenster, der dir erzählt, was er sieht – klassisches Storytelling. Das habe ich jetzt noch stärker fokussiert.« Nicht unzuträglich für Mortis’ Geschichten wird seine aktuelle Wahlheimat sein: eine Musiker-WG im Erdgeschoss in Berlin-Kreuzberg, Nahe Kottbusser Tor, wo Touristen, Junkies und andere Lebenskünstler den Wahnsinn zum Alltag machen. Rastlosigkeit und Sehnsucht sind die kreativen Triebfedern. »Als ich 15 Jahre alt war, bin ich mit meinem Disc-Man immer wochenlang durch die Wälder gefahren – ohne Ziel, ich musste einfach irgendwohin, Musikhören und Sachen aufsaugen.« Stilisiert als Deutschraps Jim Stark, der Paraderolle von James Dean, greift Mortis mit Hilfe von Nobody’s Face zwar nach wie vor auf Referenzen klassischer Sample-Beats zurück, doch fühlt sich mittlerweile auch in poppiger Vielfalt Zuhause – mit dem Herzen im Rucksack und dem Ohr in alle Himmelsrichtungen. »Die wirklich einzig Konstante in meinem Leben ist die Unkonstante. Meine ganzen Umzüge, die Fahrten zu den Jams – Reisen ist einfach alles für mich. Ein Hotelzimmer kann für mich nach einem Tag schon Zuhause sein.« Stillstand ist seine Sache nicht und so kann sich Mortis sogar vorstellen, eines Tages in Los Angeles zu wohnen. »Da habe ich richtig Bock drauf. Einfach weil dort krasse Musiker sind. Ich habe auch ein paar Kontakte dahin. Außerdem ist es so affektiert. Jeder ist Künstler in LA, das ist noch schlimmer als in Berlin.« Wohin es ihn verschlagen wird, kann er selbst noch nicht sagen, sein bereits angekündigtes Album trägt allerdings schon mal den programmatischen Titel »Hollywood Psychose«.»Diese Leute peilen den Sound von damals einfach nicht. Die denken ihre Plug-ins und das Vinyl-Sample von YouTube machen das schon. Denen fehlt aber das Wichtigste: Knowledge.«
Mortis