Mort Garson hat Musik für die Mondlandung, Pflanzen aber doch auch Menschen gemacht

03.11.2020
Er war an über 900 Liedern beteiligt, erreichte Platz 1 der Billboard Charts, doch Mort Garsons heutiger Ruhm beruht auf einer Begegnung mit Bob Moog, den er überredete, ihm einen seiner Synthesizer zu überlassen. Eine Wiederentdeckung.

»Mein Vater war ein Träumer, er lebte in seinen Gedanken«, sagt Day Darmet. Sie ist die Tochter des 2008 verstorbenen Elektronik-Pioniers Mort Garson. Jener Mann, der 1976 ein Album für Pflanzen aufnahm, den NASA-Trip zum Mond vertonte und über 900 Arrangement-Credits auf der Plattform Discogs nachweisen kann. Zuletzt legte das Label Sacred Bones sein Album »Mothers Earth Plantasia« neu auf. Eine Ambient-Platte mit grünem Daumen und schmalzigen Synthesizer-Melodien, fast vergessen, aber durch den YouTube-Algorithmus in die Playlists hunderttausender Menschen gerutscht. Garsons Tochter Day lebt heute in San Francisco. Dass weitere Alben von Mort Garson erscheinen, ist neben Sacred Bones-Chef Caleb Braaten vor allem ihr zu verdanken: »Im Keller stehen Kisten über Kisten mit der Musik meines Vaters« so Darmet. Vier Jahre später dreht sich ein Großteil dieser Musik wieder auf Plattentellern, zu Topfpflanzen und in Kleingartenanlagen.

Mort Garson kam 1924 an der Ostküste Kanadas als Kind jüdischer Einwanderer auf die Welt. Die Familie zog nach seiner Geburt nach New York City, später zog ihn die Armee im Zweiten Weltkrieg ein. Nach seiner Rückkehr verdiente sich Garson als Session-Musiker die Miete, überzeugte bei den großen Plattenfirmen aber mit dem Talent zu eingängigen Kompositionen und Hit-tauglichen Arrangements. »Our Day Will Come« von Ruby and the Romantics kletterte mit seinem Zutun auf Platz 1 der Billboard-Charts. Das war 1962. »Gleich danach zogen wir nach Kalifornien«, sagt Garsons Tochter. Er begann eine Zusammenarbeit mit Doris Day, schrieb Jingles für Werbespots und Filme, fand trotzdem Zeit, um Welthits wie »Guantanamera« von The Sandpipers zu arrangieren. Erfolge wie diese brachten nicht nur die Steaks auf den Teller, sondern auch die Möglichkeit zum musikalischen Experiment. Als Garson Ende der 1960er Jahre auf Bob Moog trifft, schwatzt er ihm einen seiner neuen Synthesizer ab, was ihn zu einem von nur 28 Leuten machten, die zu dieser Zeit an diesem Ding herumschrauben konnten –, eine Chance, die gleichzeitig das Ende seiner kommerziellen Karriere einläutete.

»Man sah, wie die Astronauten am Mond landeten, herumspazierten und die Flagge aufstellten – und all das war großartig. Aber das Großartigste für unsere Familie war die Musik, die mein Vater auf dem Moog komponiert hatte.«

Day Darmet

1967 platzte Garson mit einem unbekannten Space-Sound zwischen Rockgitarren und LSD-Sessions. »The Zodiac: Cosmic Sounds« ist die erste Platte, auf der ein Moog-Synthesizer zu hören ist – und der erste Vorbote für Garsons Abkehr von traditionellen Songstrukturen. Zunächst komponierte er damit aber Jingles für TV und Radio, was das neue Instrument einem Millionenpublikum bekannt machte. Alle hörten Moog, weil er nach Zukunft klang und alle wollten nach Zukunft klingen, weil sie den Moog hörten – die Steilvorlage für den Sound der Apollo 11-Mission. »Der einzigen Geräusche, die zur Raumfahrt passen, sind elektronische«, sagte Garson später. An den Tag der Mondlandung erinnert sich Day, seine Tochter gut. »Es war sein 45. Geburtstag, alle Freunde waren da, die Sonne schien. Es gab Cocktails und Champagner, dann versammelten wir uns um den Fernseher. Man sah, wie die Astronauten am Mond landeten, herumspazierten und die Flagge aufstellten – und all das war großartig. Aber das Großartigste für unsere Familie war die Musik, die mein Vater auf dem Moog komponiert hatte.«

Anders drauf

Die Familie lebte in Laurel Canyon, der Geburtsstätte des Softrocks. Von dort komponierte Garson weiterhin für Werbung und Film – aus Geldgründen. »Meine Mutter wollte finanzielle Absicherung«, so Darmet, die betont, dass ihr Vater nie Interesse an Geld gehabt hatte. »Er interessierte sich nicht, ob auf dem Scheck zehn Dollar oder zehn Millionen stand. Aber als er anfing, sich nur noch mit den elektronischen Sachen zu beschäftigen, sah meine Mutter keine Möglichkeit, dass er damit überhaupt Geld verdienen könnte.« Sie sollte recht behalten. Leute, die gerade Pink Floyds »Ummagumma« gehört oder die Jimi Hendrix Experience gemacht haben, dürften sich bei Garsons ausgerauschten Space-Pop-Alben wie »Electronic Hair Pieces« oder »Didn’t You Hear« gefragt haben, ob der Mann noch alle Transistoren im Synthesizer verlötet hat. Gleichzeitig vertonten Platten wie »Black Mass« den psychedelischen Seelen-Trip und dürften in manchen Kommunen rauf unter runter gelaufen sein – bis viele zu alt, spießig oder down wurden, sich die Haare abschnitten und die ideologische Brücke zum Yoga-Guru schlugen.

In den 1970er Jahren kam es in den USA zum Fitnesskult, der spirituelle Ursprung ging durch den Bauch: Vegetarische Lokale verirrten sich zwischen Wendys-, Burger King- und McDonalds-Filialen, in denen Monstera-Pflanzen wucherten wie in einer Studenten-WG in Kreuzberg 2020. Als mit »The Secret Life of Plants« ein Buch in Garsons Hände fiel, das Pflanzen telepathische Fähigkeiten und menschenähnliche Gefühle zuschrieb, wuchs der Mann hinter seinem zimmerfüllenden Moog-Synthesizer über sich hinaus: »Mothers Earth’s Plantasia«, das 1976 erschien, spielte »warme Musik für Pflanzen und die Menschen, die sie lieben«. Eine Ode an die Natur, eine Passion für die Kleingartenanlage – Mort Garson gab Pflanzen einen Grund zum Wachsen und der Natur zehn fromme Liedlein, die man – eh, klar! – nur in einem Hipster-Laden für Grünzeug oder als Gratis-Giveaway zu einer Matratze bekommen konnte.

Während die Magnolien gewässert wurden, verabschiedete sich Mort Garson in experimentelle Gefilde. In den 1980er Jahren starb sein Sohn an AIDS, die Familie übersiedelte nach Frankreich. Seine Musik gab der Moog-Meister trotzdem nie auf. »Er schrieb Musik bis zum Tag seines Todes«, sagt Darmet. Als Garson am 4. Januar 2008 in San Francisco starb, verneigten sich Pflanzen aller Welt. »Der letzte Song, den er für mich spielte, war ›Stormy Weather‹ – ich wünsche, er könnte sehen, wie viele Menschen seine Musik wiederentdecken.« Die Musik lebt weiter, dieser Satz stehe auf seinem Grabstein, sagt seine Tochter. »Für mich und für viele andere Menschen«.