Mit Erobique gibt es die gute Zeit in der schlechten

23.06.2023
Foto:Anne Backhaus © a sexy
Carsten Meyer aka Erobique hat 25 Jahre nach seinem Debüt ein zweites Album veröffentlicht: »No. 2« liefert den Sound für lange, durchtanzte Nächte und Ausflüge zum Badesee. Aber rosarot, das ist das alles nicht.

»Nee, ich sag nicht, dass alles wieder gut wird«, sagt Carsten Meyer, »aber in den Arm nehmen will ich euch schon.« In den Arm nehmen – und zwar ganz easy mobeasy und mit seiner Musik. Ziemlich genau seit 25 Jahren macht er das. Und ein viertel Jahrhundert nach seinem Debüt hat Carsten Meyer aka Erobique nun sein zweites Album auf Vinyl veröffentlicht. »No. 2« heißt es und ist auf seinem Label a sexy erschienen. 

Däumchen gedreht hat Erobique in diesen 25 Jahren nicht, ganz im Gegenteil. Er hat mit den einstigen Fischmob-Mitgliedern Stefan Kozalla aka DJ Koze und Cosmic DJ als International-Pony in Clubs gespielt. Er war zusammen mit Jacques Palminger am Werk, mit dem er nicht nur »Wann Strahlst Du?« (2007) veröffentlicht hat, sondern mit »Songs for Joy« 2008 auch ein ganzes Album. 

In den vergangenen Jahren hat er vor allem unter seinem bürgerlichen Namen gewirkt: Carsten Meyer ist mitverantwortlich für den Soundtrack zur Mockumentary um die Band Fraktus, hat die Soundtracks zum Tatortreiniger mit Bjarne Mädel geschrieben und fürs Theater produziert. Und mit »Urlaub in Italien« (2018) oder »Easy Mobeasy« (2020) hat er einige der wohl fluffigsten Hits und eindringlichsten deutschsprachigen Ohrwürmer der vergangenen Jahre geliefert – und für so manch denkwürdigen Liveauftritt gesorgt. Auch Cover-Versionen kann Erobique, das beste Beispiel ist wohl die Beatles-Neuauflage von »Hier kommt die Sonne«, die 2011 auf der Compilation der 14. Nachtdigital-Auflage erschienen ist. »Es war ein harter, langer Winter, liebe Leute, ich dachte, er hört niemals mehr auf«, singt Meyer, ein bisschen schief und nie ganz perfekt, aber was ist schöner als das Unperfekte? Augen zu, Hände in die Luft. 

»No. 2« liefert den Soundtrack für genau dieses Gefühl. Die 13 Tracks klingen nach einer Radtour zum See an einem heißen Spätsommertag: Die Felder sind abgemäht, Staub liegt in der Luft, die Sonne knallt – und der Prosecco im Rucksack wird allmählich lauwarm. »Genau für solche Momente ist die Musik gemacht worden, für eine schöne freie Zeit«, sagt Carsten Meyer. So viel zu intellektualisieren gebe es da nicht. Muss es auch nicht. Und der Musiker ist sich seiner Rolle bewusst: »Es ist mein Job, Leuten eine gute Zeit zu bereiten. Und auch ein bisschen Eskapismus zu bieten, über Musik, übers Tanzen, über schöne, warme Harmonien. Das wollte ich mit der neuen Platte auch machen.« 

Hat er gemacht, und das auch nicht allein, sondern in Gesellschaft. Ein »Gruppending« sei das neue Album geworden, sagt Meyer, der in den vergangenen 25 Jahren auch einen Haufen Kontakte geknüpft hat. Fürs neue Album hat er sich nicht nur Künstlerinnen wie Sophia Kennedy, Nicola Rost oder Luis Baltes an Bord geholt, sondern auch DJ Friction oder den Berliner Produzenten Siriusmo. »Magic« sei das gewesen, von Siriusmo sei er selbst seit 1998 Fan, sagt der Musiker und strahlt in die Webcam.  

Frei aufspielen

Jetzt sei es an der Zeit, das Album endlich live zu spielen, er scharre mit den Hufen, sagt der mittlerweile 50-Jährige. »Ich freu’ mich wieder rauszukommen, ich will wieder vors Publikum und möchte vor Menschen spielen. Da bin ich eher positiv aufgeregt, anstatt nervös zu sein. Und ich finde das Album selber toll, das reicht dann erstmal auch.«

Wer Carsten Meyer einmal live gesehen hat, weiß: Mehr Entertainer geht nicht, der Typ gehört auf die Bühne. Die fehlende Resonanz mit dem Publikum, sagt er, habe ihm beim Produzieren des Albums gefehlt. »Ich habe mich über die Jahre davor gescheut, das, was ich da auf der Bühne mache, vor Publikum, das die Musik und die Performance genauso beeinflusst wie vielleicht noch eine andere Musiker:in auf der Bühne, das habe ich natürlich vermisst im Studio.« 

Es ist Musik für Momente, in denen »man nur noch denkt, die Welt, wie man sie kennt und liebt, geht vor die Hunde«

Wie also sieht es aus, wenn Erobique sich in ein stilles Kämmerlein zurückzieht und Musik macht? »Ich setze mich jetzt nicht gezielt hin und schreibe Musik«, sagt er. Die komme ganz frei zu ihm und entstehe spontan – zum Beispiel während Konzerten und beim Improvisieren auf der Bühne. »Und deshalb fiel es mir schwer, so ein Lied wie ›Easy mobeasy‹ als Studioversion zu machen, weil einfach die Hälfte fehlt: das Publikum.«  Musik gemacht und aufgenommen habe er dennoch ständig. Auch gemeinsam mit Freund:innen und anderen Künstlerinnen und Künstlern habe er über die Jahre ein kleines Archiv angehäuft. »Es war viel Arbeit, sich durch dieses Archiv zu wühlen und die Perlen rauszuholen.« Aber wann, wenn nicht zum 25. Bühnenjubiläum, macht man sich diese Arbeit? 

Das Jubiläum hat Carsten Meyer im Mai dieses Jahres im Hamburger Golden Pudel Club zelebriert – an dem Ort, an dem er zum ersten Mal vor 25 Jahren mit seinem Debüt »Erosound« auf der Bühne stand. »Das tolle am Pudel Club ist, dass die ein Herz für ihre Oldies haben und dann bekommen so Opis wie ich auch mal noch einen Mittwochabend«, erzählt er und grinst. Mit dem Pudel verbinde er einen Freiheitsbegriff, der sich »über das normale Ravetum« erstreckt.  

Beim Wühlen im Archiv sind auch Songs entstanden, die mehr als einfach nur Rave sind. Lieder wie die erste Single von »No. 2«.  »Verkackt« – ein Titel, der durchaus zum Interpretieren einlädt. Verkacken kann man ja Vieles im Leben, und genau darum geht es in dem Lied. Damit kann das omnipräsente Verkacken in der Klimakrise oder Kriege gemeint sein, großes weltpolitisches Verkacken also: Es ist Musik für Momente, in denen »man nur noch denkt, die Welt, wie man sie kennt und liebt, geht vor die Hunde«, sagt Carsten Meyer.

Und fügt hinzu, als müsste der gutgelaunte Entertainer dezidiert darauf hinweisen, dass auch er manchmal Grant und schlechte Laune und Momente der Verzweiflung haben kann: »Die Nachrichten laden ja nicht immer dazu ein, besonders happy zu sein. Da hat man hin und wieder eine dystopische Weltsicht.« Aber auch dagegen hat Erobique ein Rezept: »Ein bisschen als Gegenmotivation hab ich aus ›Verkackt‹ ein sehr freundliches Stück gemacht.«

Da ist er wieder, der Erobique, der uns in den Arm nimmt und uns zumindest in Momentaufnahmen einen nötigen Eskapismus ermöglicht. »Ich finde es auch toll, wenn die Leute das Lied singen, wenn ihr Fußballverein verloren hat, oder wenn Paare es als fröhlichen Trennungssong nehmen. Oder wenn man versucht, mit einem Youtube-Tutorial die kaputte Waschmaschine zu reparieren, und man verkackt es halt einfach. Dafür ist der Song auch durchaus geeignet.« Carsten Meyer lacht. Alles gut in diesem Moment.