Mit Ben Bertrand durch belgische Auen- und Sternenlandschaften

07.10.2024
Foto:© Julie Calbert
Ben Betrand und seine Bassklarinette. Er zieht sie in die höchsten Höhne und bodenlose Tiefen. In den vergangenen sechs Jahren hat er drei beeindruckende Alben vorgelegt. Irgendwie immer mittendrin: Belgien.

Das Nachbarland mit der Dreisprachigkeit, der Schokolade und der Monarchie ist der Ausgangspunkt für die musikalischen Erkundungen, die Ben Bertrand antreiben. »Ja, Adolphe Sax! Natürlich ist die Klarinette ein belgisches Instrument«, entfährt es ihm auf die Frage nach der Herkunft der Bassklarinette, seiner Bassklarinette. Der Belgier Adolphe Sax, nach dem heute ein sehr bekanntes Instrument, das Saxofon, benannt ist, hat die Klarinette weiterentwickelt.

Darauf scheint Bertrand stolz zu sein – aber: »Ich spiele, was ich bin. Und ich bin Belgier. Ich spiele folglich belgische Musik. Aber ich meine das nicht in einem nationalistischen Sinne«. Sondern? »Meine Musik ist von der Tradition und der Kultur hier beeinflusst.« Nachvollziehbare Gedanken. Aber kann man das auch hören? »Ich weiß nicht, ob man das hören kann. Ich denke, ich liebe es einfach, Musik zu machen, und das, was dabei herauskommt, bin ich.«

Ob belgisch oder nicht, faszinierend ist vor allem das, was am Ende herauskommt. Denn Ben Bertrands Musik klingt nicht so, wie man sie bisher gehört hat. Dafür hat er sich in den letzten Jahrzehnten ein Set-up gebastelt, das man durchaus als Klanglabor bezeichnen kann. Hier werden die Töne seiner Klarinette durch eine Loopstation vervielfacht, langsam entsteht ein ganzes Panorama aus wohlig warmen, manchmal aber auch bedrohlichen Klängen. Das wiederum wird durch Effekte wie Hall und Delay gejagt, und am Ende glaubt man, nicht einem klassischen Musikinstrument, sondern den Klängen des Weltalls zu lauschen.

»Ich liebe es einfach, Musik zu machen, und das, was dabei herauskommt, bin ich.«

Ben Betrand

So auf seinem 2018 erschienenen Debütalbum »NGC 1999«. Langgezogene Töne, betörend schön, aber gewaltig und gefährlich wie ein schwarzes Loch. So klingen die fünf Stücke, die damals für Aufsehen sorgten. »NGC 1999« ist ein Sternennebel, der nach kosmischen Maßstäben nur einen Katzensprung (1500 Lichtjahre) von der Erde entfernt ist. Ben Bertrand erkennt natürlich die Nähe seiner Klänge zu dem, was man »kosmisch« nennt – aber das ist nicht sein Antrieb: »Für mich spricht die Klarinette eine Sprache, eine besonders aufmerksame Sprache. Klarinetten und Celli – wenn sie im Raum sind, kann ich nicht weghören. Es ist, als würden sie zu mir sprechen.«

Belgium is a halfpipe


Dabei hat er ganz anders begonnen: »Ich habe mit der Geige früh angefangen. Die habe ich gelernt und gespielt – bis ich 14 war.« Und dann? »Mit 14 kam das Skateboarden.« Das Skateboard und seine Community haben Bertrands ganze Zeit verschlungen. Er fuhr stundenlang, tagelang, wochenlang nur Skateboard. Was überrascht, wenn man ihn heute bei einem Konzert sieht: Da sitzt er auf einem Stuhl hinter seiner Bassklarinette, klickt hier etwas am PC, tritt dort behutsam auf Effekte – einen Skater möchte man da nicht sehen. Und doch ist da eine rebellische Verspieltheit, die ins Bild passt. Irgendwann wollte er dann doch wieder Musik machen – der Vater, der Gitarre spielte, und ein Umzug aufs belgische Land, wo es die »Harmonie des Dorfes« zu erkunden galt, waren die Triebfedern.

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Dass Dörfer, dass Land und auch Tradition eine Rolle in seinem Leben spielen, konnte man dann 2021 auf »Dokkaebi« erkennen, für das er erstmals mit anderen Musiker*innen (u.a. Margaret Hermant und Otto Lindholm) ins Studio ging. Hier zitiert Bertrand die Mystikerin Hildegard von Bingen; der Klangkosmos erinnert nicht mehr an den Weltraum, sondern eher an Auenlandschaften – was durch Field Recordings aus der Natur unterstützt wird. Was die drei Alben (»Manes« erscheint 2020) verbindet, sind also nicht Assoziationen, sondern eine Spielhaltung, die – da sind wir wieder – in einer Stadt wie Brüssel und bei Acts wie Aksak Maboul oder Lawrence Le Doux weit verbreitet ist: Experimentell und Underground. Und irgendwie auch belgisch.