Minimal Wave, kalter Sound und der zweite Frühling eines Genres

23.05.2013
Foto:Julie Nagel
Veronica Vasicka hat mit Minimal Wave Records nicht nur ein Label gegründet, sondern gleich ein ganzes Genre gefunden, geordnet und wieder zugänglich gemacht. Ein Blick auf ein außergewöhnliches Label und seine Geschichte.

Die Geschichte von Minimal Wave Records ist eine Ballung von Anachronismen. In den 1980er Jahren machen verschiedene Musiker in Nordamerika, Europa und Japan – vom Mainstream und der sich herausbildenden Independent-Industrie weitgehend unbemerkt – minimalistische Musik auf Synthesizern. Aufgenommen in Schlafzimmern auf Tape-Recordern, beeinflusst von Avantgarde Bewegungen wie dem Futurismus, dem Konstruktivismus und Science-Fiction-Literatur verschwinden die wenigen DIY-Kassetten wenige Jahre nach Erscheinen. In den 1990er Jahren entdeckt ein Teenager in New York City diese Kassetten und würdigt die Produktionen schließlich in den Nullerjahren mit unverhofften, späten Releases auf einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Label: Minimal Wave Records.

Als Veronica Vasicka in den 1990er Jahren als Teenager in einem Plattenladen in Brooklyn arbeitet und nebenbei in der Dunkelkammer ihrer Highschool die Grenzen der Fotografie auslotet, wird das ästhetische Universum geformt, das sich bei ihrer Entdeckung der alten Minimal Electronic, Minimal Synth-, Cold Wave-, New Wave-, Techno Pop- und Synthpop-Tapes in der Musik spiegelt: Ohne klassische Ausbildung, jenseits der eigentlichen Szene, getrieben von nichtkommerziellen Interessen, Ausdruck von Individualität, der Mode der Zeit voraus oder ihr diametral entgegen stehend.

Veronica Vasicka hat vergessene Zusammenhänge und Verbindungen mit einem beinahe archäologischen Enthusiasmus zu Tage gefördert und verfügbar gemacht.«

Die Veröffentlichung ihrer ersten Compilation »Lost Tapes« (MW003) von 2006 bringt dieses sehr persönliche Verhältnis zu ihren Veröffentlichungen auf den Punkt: »Das Cover der ersten Compilation war ein Foto, das ich in der Highschool gedruckt hatte, es war eine Kombination aus diesem Visuellen und dem Auditiven, was die Compilation ausmachte. Es ging weniger um Nostalgie oder das, was verloren ist, sondern um die Ästhetik; darum nicht zu wissen, was man da eigentlich tut, die Dinge nicht selbstbewusst zu machen, sondern sie einfach zu machen, aus einer Spontanität und Intuition heraus.«

Veronica Vasicka, immer noch Fotografin und ansonsten auch als DJ und Radio-Host des East-Village-Radios (wo sie damals begann die wiedergefundenen Tapes zu spielen) eine hervorragende Kuratorin, hat vergessene Zusammenhänge und Verbindungen mit einem beinahe archäologischen Enthusiasmus zu Tage gefördert und verfügbar gemacht.

Wiederentdeckung- und Belebung eines Genres

»Viele Informationen werden erst in den Gesprächen mit den Künstlern freigelegt. Ich lerne sie besser kennen und es ergeben sich viele überraschende Verbindungen. Ich habe z.B. verschiedene Releases von Matthias Schuster (Synonyme: Im Namen des Volkes, Bal Pare, Das Institut) gemacht. In letzter Zeit habe ich an einem Release von The Fast Set gearbeitet und habe nach den Originalbändern ihrer Demo von damals gesucht, da sie die selbst nicht mehr hatten. Auf Ebay gab es dann eine sehr teure Kassette dieser Demo und in der Beschreibung stand: Kopie der Originalbänder aus dem Studio von Matthias Schuster. Und da fiel ihnen wieder ein, das sie die Bänder einer Sängerin gegeben hatten und die anscheinend später nach Deutschland fuhr und sie im Studio von Matthias vergessen hat. Also rief ich ihn an und ein paar Wochen später bekam ich die Originalbänder in der Post. Die Band hatte keine Ahnung, was darauf zu hören war und bat mich ihnen eine Kopie zu machen.«

Beispiele wie dieses erklären, warum einige Bands des Labels seit ihrer Wiederentdeckung durch Veronica Vasicka wieder angefangen haben, Musik zu machen. Denn Minimal Wave hat dieses Material nicht nur einer neuen Generation zugänglich gemacht, sondern zum ersten Mal auch der Generation, die diese Genre bis 2005 vergessen hatte.

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