Es könnte so eine schöne Geschichte sein: Der junge Mikael Seifu, geboren und aufgewachsen in Addis Abeba, zieht los in die Staaten. Angetrieben von den Ansprüchen seines Vaters und dem eigenen naiven Wunsch, Mainstream-Erfolg mit der eigenen Musik zu erlangen. Er schreibt sich in New Jerseys Ramapo College ein und kehrt dann, abgeschreckt von der Bissigkeit und des plumpen Erfolgsstrebens seiner Mitstudenten wieder zurück in seine Heimat – um dort die Tradition hochleben zu lassen und sie mit kontemporären Klängen zu mischen.
Die Geschichte hat sich wie beschrieben zugetragen. Nur ist sie unerfüllt geblieben. Zumindest, wenn man die Antworten liest, die Mikael Seifu per E-Mail geschickt hat und sie auch anderen Magazinen gegeben hat. Man meint eine gewisse Bitterkeit aus ihnen zu lesen. Ein romantisiertes Bild eines 27-jährigen Afrikaners zu verfassen, der aus Lieber zur Tradition seines Heimatlandes die Musik seiner Vorfahren den jungen Musikhörern von heute zugänglich macht zu zeichnen, ist nicht möglich. Und das ist ganz in Seifus Sinne. Auf die Frage, ob er das Gefühl habe, dass sich die Berichterstattung über Musik in Afrika seiner Ansicht nach inzwischen differenzierter gestalte, gibt er zu Protokoll: »Nicht wirklich. Es wird viel schneller falsch berichtet, als dass sich etwas verbessert. Ich glaube fest daran, dass die Berichterstattung über afrikanische Musik gebürtigen Afrikanern überlassen werden sollte.«
Versuchen wir es trotzdem. Fakten helfen da: In seinem zweiten College-Jahr öffnet eine Vorlesung des experimentellen Komponisten Ben Neill Seifus Augen bzw. verändert sein Gehör für Musik.
Kurz darauf bricht er sein Studium ab und zieht zurück in seine Heimatstadt, wo er seinen eigenen Stil verfeinert. Via Soundcloud wird ein alter Bekannter auf ihn aufmerksam: Dawit Eklund, der ebenfalls in Addis Abeba aufwuchst, ist Mitbegründer des in Washington D.C ansässigen Labels 1432 R. Vergangenes Jahr erscheint darauf Seifus erste Veröffentlichung, die »Yarada Lij EP«. Schon darauf war der Sound zu hören, den Seifu auf seinem neusten Release »The Lost Drum Beat« verdichtet, beschwert und ins Dunkle gezogen hat. Auf’s Gröbste herunter gebrochen klingt dieser, als würde Burials Geist von den Tönen äthiopischer Folklore durch den Sand getrieben.»Ich glaube fest daran, dass die Berichterstattung über afrikanische Musik gebürtigen Afrikanern überlassen werden sollte.«
Mikael Seifu
Desillusioniert zwischen Tradition und Moderne
Was halten nun beispielsweise die Azmari, die Sänger traditioneller Musik aus Äthopien davon, wie ein 27-jähriger das von ihn Erschaffene in die Moderne hebt? Empfinden sie es als Frechheit oder Ehrerbietung? Nichts von beiden, wie Seifu erklärt. »Meine Musik ist auf null Interesse in Äthiopien gestoßen. Die Musiker und das Publikum sind zu beschäftigt damit, sich selbst zerstörende Traditionen zu beschützen.«
Bei diesem Thema bahnt sich Enttäuschung den Weg in Mikael Seifus Antworten. Seine Geschichte ist nicht die eines verlorenen Sohnes, der die Liebe zu seiner Heimat wiederfindet und zurück geliebt wird. Eher ist es die Geschichte eines sensiblen jungen Mannes, der sich vom blinden Fortschrittswahn abgewendet hat und dessen gleichzeitiger Durst nach Fortschritt in seiner Heimat an den Mauern von sturer Tradition verebbt.
»Es gibt hier nichts als obsolete Technologie und archaische Gesetze und Kulturen, die von Betrügern bestärkt werden, die aus der irrationalen Angst heraus, dass die Stimme der elektronischen Musik den Samen für kommende politische Instabilität trägt, die Entfaltung von kreativem Potential verhindern.« Ein Brocken von Satz. Der zum Inhalt aber eben auch jenen Brocken hat, der Seifu im Weg liegt. Seifus musikalische Geschichte ist zu diesem Zeitpunkt eine von Desillusionierung.»Es gibt hier nichts als obsolete Technologie und archaische Gesetze und Kulturen…«
Mikael Seifu
In allen früheren Artikeln über ihn konnte man noch lesen: Der junge Produzent hat die Türen immer offen und leiht Kindern und Jugendlichen sein Studioequipemt. Heute macht er das nicht mehr. Dazu sagt er, er habe irgendwann verstanden, dass es ein vergebliches Unterfangen gewesen sei. Unglücklicherweise, fügt er hinzu.
Das Unterfangen eine elektronische Szene in seiner Heimatstadt zu etablieren, die als Alternative zu den EDM-Dissen dort existieren kann, gestaltet sich als zähes Unterfangen. Immerhin: Aufgegeben hat Seifu noch nicht. Er träumt davon, ein Label zu betreiben. Zusätzliche Motivation sollte durch das europäische Interesse an seiner Musik gegeben sein, Ende April spielte er seinen ersten Gig in London.
Jeder, der »Lost Drum Beat« oder »Brass« gehört hat, der wird den reichen musikalischen Nährboten förmlich riechen können, auf dem Seifus Musik entsteht. Dass er trotz der ihm entgegengähnenden Ignoranz weiterhin Ethio-Jazz mit allerlei UK-Diesdas mischt, kann man nur hoffen.
Auf die Frage wie wichtig zu diesem Zeitpunkt seine eigene musikalische Entwicklung sei, antwortet Seifu mit einem alten äthiopischen Sprichwort: »There is nothing new under the sun« und schließt für sich »es kann für mich also nur die Kollaboration mit verwandten Geistern gebe, bis ich sehe, dass bessere Dinge passieren«. Das Adjektiv vor Geschichte ist also alles andere als bereits in Stein gemeißelt.