Man Recordings – Mit Energie und Leidenschaft

01.12.2010
»Bringing Noise since 2005« lautet das Credo des in Berlin angesiedelten Plattenlabels Man Recordings, das im September sein fünfjähriges Bestehen feierte. Wir trafen uns mit Labelgründer Daniel Haaksman.

»Mittlerweile ist es Man Recordings-Geschichte geworden, die globalen Verwandtschaftsverhältnisse von diversen Musikstilen offen zu legen und auch neu zu verbinden«, sagt Gründer, Label-Don und DJ Daniel Haaksman anlässlich der Anfang November stattgefundenen Label-Nacht im Wiener Club Flex, wo auch Joyce Muniz, Schlachthofbronx und Pola Riot an den Turntables standen. »Der Sound hat sich 2010 ein bisschen gewandelt – weg von Original-Baile-Funk und brasilianischen Künstlern mehr hin zu europäischen Adaptionen.«

»Als Künstler oder Labelmacher musst du alle zwei, drei Tage irgendwas rauswerfen. Sei es eine Statusmeldung, ein neues Produkt. Wenn du es nicht machst, bist du in drei Monaten vergessen.«

Daniel Haaksman
Was vor der Label-Gründung geschah
Und so kam es zustande: Daniel Haaksman, 1968 geboren, lebt in den 1980er und 1990er Jahren im US-Airbase-und GI-geprägten, dadurch früh mit Hip-Hop versorgten, Frankfurt am Main, wo er 1989 selbst als DJ aufzulegen begann und gemeinsam mit Stefan Hantel alias Shantel von 1990 bis 1997 den Club »Lissania Essay« organisiert. Instrumental-Hip-Hop und frühe House-Platten treffen auf Worldmusic vor allem brasilianischer und arabischer Prägung, Kontakte zur Wiener Downtempo-Szene werden geknüpft, aus dem Club geht schließlich das Label Essay Recordings mit »Bucovina Club« als erster Veröffentlichung hervor.
In einer Phase desillusioniert vom überkommerzialisierten und in den USA an Ideenlosigkeit absterbenden Hip-Hop, aber auch von unterkühlter elektronischer Tanzmusik und der Dominanz und Vorherrschaft angloamerikanischer Produktionen, bekommt Haaksman 2003 von einem Freund, der gerade aus Brasilien zurückkommt, einen Stapel CDs geschenkt. Darauf zu hören: der Baile-Funk aus den Favelas der Megacity Rio de Janeiro mit Wurzeln im Black-Rio-Movement der 1970er Jahre, damals beeinflusst von amerikanischem Soul und Funk. Später geprägt von Rap und Miami Bass. Begeistert von der rauen Energie der einfach produzierten, aus ein paar Loops und Samples hergestellten elektronischen Beats mit portugiesischem Rap darüber, reist Haaksman 2004 selbst in die Armenviertel der zweitgrößten brasilianischen Stadt – ungefähr zeitgleich wie Diplo, den es auch in die Favelas treibt. Haaksman veröffentlicht nach seiner Rückkehr zuerst noch auf Essay Recordings die Compilation »Rio Baile Funk – Favela Booty Beats«, die den Funk Carioca erstmals von Europa aus in Umlauf bringt. Unstimmigkeiten mit Shantel, der mehr darauf setzt, traditionelle südosteuropäische Musik clubtauglich zu machen, führen Daniel Haaksman schließlich dazu ein eigenes Label zu gründen: Man Recordings. »Ich bin glücklich, dass ich von Anfang an dabei war, um die Entwicklung und den wahnsinnigen Kampfgeist von Daniel zu sehen, der Baile Funk nach Europa als Musikstyle und Genre gebracht hat«, meint Joyce Muniz, die 2006 mit Stereotyp für die erste Platte der Serie »Funk Mundial« zusammenarbeitete. Die 1983 in São Paulo geborene und seit Mitte der 1990er Jahre in Wien lebende DJane, Sängerin und Produzentin vermutet, »wenn die Arbeit von Daniel nicht gewesen wäre, wäre das in dieser Größe nicht zustande gekommen.«

»Einzigartige Musik veröffentlichen, die eine gute Geschichte hat und Künstler, die etwas zu erzählen haben. Energie und Leidenschaft… das ist wie in einer Liebesbeziehung – darum geht es am Ende.«

Daniel Haaksman
Beyond Baile Funk – Stagnation, Turbozirkulation, Penetration
»Im Baile Funk gibt es seit zwei, drei Jahren eine relative künstlerische Stagnation. Im Prinzip kam jedes Jahr ein neuer Sound nach Europa. Kuduro, Kumbia, seit vier, fünf Monaten ist Guarachero aus Mexiko der heiße Scheiß«, sagt Haaksman. Dass der extrem beschleunigte, entmaterialisierte Informationsaustausch über das Internet via MP3, Videos und Blogs reale Auswirkungen auf die Produktionsverhältnisse hat, zeigt sich auch im Falle von Man Recordings. Aus Kosten- und Zeitgründen wird mehr kein Vinyl gepresst, es wird hauptsächlich digital releast. Das Label müsse mit der Geschwindigkeit Schritt halten, glaubt der 42jährige. »In den letzten zwei Jahren hat sich das so drastisch verändert. Unser Vinylvertrieb MDM ist Pleite gegangen und viele Plattenläden haben zugesperrt. Mittlerweile ist auch die Halbwertszeit von Tracks oder Stücken so kurz geworden, dass man Tracks zwei, drei Monate spielt und dann ist es vorbei. Es ist gibt keine Exklusivität mehr. Vinyl ist ein Medium der Langsamkeit und Behäbigkeit. Das hat früher funktioniert, wo es halt noch kein Konkurrenzmedium wie das Internet gab.« Wie sehr die Global Bass-Musik selbst zur Auflösung bisheriger Strukturen und zur Entwertung beiträgt, Katalysator für die Turbozirkulation ist und wer, wo dabei auf der Strecke bleibt, ist fraglich. »Als Künstler oder Labelmacher musst du alle zwei, drei Tage irgendwas rauswerfen. Sei es eine Statusmeldung, ein neues Produkt. Wenn du es nicht machst, bist du in drei Monaten vergessen – das ist das Dilemma. Es ist eine ständige Penetration. Es geht auch kaum mehr um Talent. Das ist nur mehr ein Teil des Ganzen. Das sind vielleicht 20 % und der Rest geht darum, wie gut du connected bist.« Haaksman hält als Produzent, A&R-Manager, Künstler in einer Person alle Fäden in der Hand und hat sich von Majorkonzernen wirtschaftlich unabhängig gemacht – diese Unabhängigkeit schafft jedoch noch keine Loslösung vom kapitalistischen Paradigma neoliberaler Ausformung und der damit einhergehenden, erzwungenen Selbst- und Fremdausbeutung, die auch die Musikbranche knebelt. »Man versucht zu überleben und Kosten zu minimieren. Man muss immer super sparen und schauen, dass man keine Angestellten hat, die halt Geld verlangen. Die einzigen Leute, die kontinuierlich Geld kosten, sind Grafiker und das Mastering. Das sind Sachen wo man nicht sparen kann, weil es halt auch Qualität sein muss.« Den heutigen schwierigen ökonomischen Bedingungen zum Trotz, die Aufgabe von Man Recordings beschreibt Daniel Haaksman so: »Einzigartige Musik veröffentlichen, die eine gute Geschichte hat und Künstler, die etwas zu erzählen haben. Energie und Leidenschaft«, schmunzelt er, »das ist wie in einer Liebesbeziehung – darum geht es am Ende.«