Low Leaf hebt die LA-Beat-Theorie in andere Höhen

16.09.2013
Foto:Andy Kassier
Um Low Leafs Sound zu beschreiben, muss man Musikstile heranziehen, die man sonst nicht zusammengebracht hätte. Aber was gehört schon zusammen und was sind Gegensätze, wenn etwas Größeres über allem steht?

Wir nehmen an, ich hätte mich auf einem Konzert letzte Woche übel betrunken und am nächsten morgen vergessen, wer es war, den ich dort spielen sah. Erinnern könnte ich mich nur an Sound. Es könnte Flying Lotus gewesen sein. Ich erinnere mich an Beats, die ein tiefer Bass trägt und die sich durch jazzige Elemente aus der Tiefe zwirbeln, wo sie vorher noch gegluckert und geklackert haben.

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Vielleicht war ich aber auch mit meinen Eltern auf einem Konzert von Maria Mena? Ich weiß zwar nicht, warum ich meine Eltern dabei begleitet haben sollte, aber erstens bin ich ein guter Sohn und zweitens erinnere ich mich an eine Stimme ähnlich der der norwegischen Pop-Sängerin: Mal haucht sie weich, als würden die Töne nicht die Kehle passieren, mal liegen Nuancen eines Krächzen in der Stimme, im nächsten Moment singt sie mit geballter Kraft. Vielleicht war ich ob der Raps und Stammes-Gesangseinlagen auch auf einem M.I.A-Konzert – wobei die lieblichen Gitarrenklänge eher für eine Singer/Songwriter-Dame sprechen würden.

Erinnern würde ich mich schließlich wegen eines ganz speziellen Instruments: der Harfe. Low Leaf! Ich war auf einem Konzert von Low Leaf. Unglaublich, welche musikalische Bandbreite die Musikerin abdeckt und dabei alle Instrumente selbst bedient, singt und rappt. Also angenommen ich wäre unentschuldbar betrunken gewesen, ich würde mir Low Leaf mit mindestens vier Armen vorstellen.

Eins mit dem Instrument


Tatsächlich hat sie zwei Arme. Das stelle ich fest, als Angelica Lopez aka Low Leaf neben mir sitzt und ruhig mit ebendiesen gestikuliert. Dass zwei davon reichen, um Klavier, Gitarre, Laptop und Harfe zu bedienen, bleibt mir ein Rätsel. Vielleicht liegt die Lösung des Rätsels darin, dass Low Leaf ihre Art zu musizieren nicht als Multitasking versteht, sondern, dass alles eins wird. »Ich bin das Instrument, das die Vibrationen kanalisiert. Wovon auch immer sie stammen mögen: Klavier, Gitarre, was auch immer«, erklärt Low Leaf. Spiritualität ist ein häufiges Thema der Songs und die treibende Kraft im Schaffen der Musikerin aus Los Angeles mit philippinischen Wurzeln. Da die Harfe wohl das prägnanteste Element ihres Sounds ist, will ich mehr über ihre Beziehung zu diesem Zupfinstrument wissen.

»Ich bin das Instrument, das die Vibrationen kanalisiert.«

Low Leaf weigert sich fast ein Instrument hervorzuheben, als wären es ihre Kinder, aber bestätigt dann: »Zur Harfe habe ich die engste Verbindung. Durch sie habe ich angefangen Instrumente anders wahrzunehmen. Einfach nur, weil ich mir selbst beigebracht habe, wie man sie spielt. Aber jedes Instrument trägt die Vibration seines Schöpfers«. Vibration und Schöpfung, das sind die Lieblingswörter von Low Leaf. Wenn man nun aber von der These ausgeht, dass Musik heute nur noch neu-interpretiert, was bereits da war, entgegnet das nicht den Ansprüchen von Low Leaf, die sich selbst als Schöpferin sieht?

Nach Low Leafs Antwort fühle ich mich nun tatsächlich ein wenig breit: »Ja, man recycelt schon. Man schaltet sich in eine Frequenz ein, die bereits da ist und erlaubt ihr Realität zu werden. Also in einem Sinne spielt jeder Song, der je gespielt wurde, immer noch. Es ist schön, dass so zu sehen: Es bin nicht wirklich ich, die schöpft! Das schafft das Ego ab. Mir wird nur erlaubt euch eine Interpretation von etwas zu geben, das viel größer ist als wir«. Das Kölner Label Melting Pot Music hat Low Leafs Frequenzen nun das erste Mal auf Schallplatte gepresst. Und das war der nüchternste Satz, der für das Ende dieses Artikels möglich war.