Frage besser den Staub. Aber frage nicht Lorn. Er hat nicht unbedingt Lust zu antworten. Also frage den Staub. »Ask The Dust«, so schlägt es auch der Titel seines neuen Albums vor. Vor allem eines mag Lorn offensichtlich nicht: Wenn man über das Dunkle in seiner Musik reden will. Er wehrt sich sogar gegen dieses Adjektiv, um sein Schaffen zu beschreiben. Aber was ist das dann? Mitreißend ist das auf jeden Fall; ein Lorn-Track kann aus einem Zimmer ein endloses Warenhaus machen. Er selbst beschreibt sein drittes Album als »haunted, oily, smeared«. Also nach Terrassen-Frühstück inmitten von Rosmarienduft klingt die Beschreibung nicht. Und auch »Ask The Dust« nicht. Es brummen darauf verrostete Motorräder, riesige Maschinen rattern und verzerrte Streicher jammern. Hip Hop-Beats für wüsten Eastcoast-Rap könnte dieser Sound sein; gepaart mit Industrial und Techno à la Andy Stott. Dunkel, düster, rabiat. Aber davon will Marcos Ortega aus Milwaukee aka Lorn nichts wissen: »Leute, die meine Musik dunkel finden, müssen denken, dass die Hölle der schlimmstmögliche Ort ist« Okay, also nicht dunkel. Was dann? Brutal vielleicht, oder gewalttätig? Immerhin gibt es auf dem neuen Album Songs mit Titeln wie »The Gun« und »Violence Is Everything«. »Das ist was du annimmst», entgegnet Lorn, »In ›The Gun‹ geht es um Alkohol. ›Everything Is Violence‹ handelt buchstäblich davon, wie alles – bis hin zu den Atomen – bebt, sich bewegt; chaotisch ist«. Wieder daneben also – ich beginne ihn zu nerven. Fassen wir noch mal zusammen: der röhrende Sound, die Songtitel, Alkohol, Chaos. Jetzt ist der Groschen gefallen! Lorn verarbeitet mit seiner Musik das Negative auf dieser Welt. »Nein«, gibt Lorn schroff zurück. Doch es ist noch zu früh, um sich damit zu begnügen, den Staub zu fragen.
Machen und rausschmeißen»Leute, die meine Musik dunkel finden, müssen denken, dass die Hölle der schlimmstmögliche Ort ist.«
Lorn
Vielleicht hilft eine allgemeine Frage, um seiner Musik auf den Grund zu kommen: »Wie und wann hast du diese sehr spezielle musikalischen Mixtur gefunden«, frage ich. und er antwortet: »Ich war 13 oder 14 Jahre alt und habe The Aphex Twin und Drum&Bass entdeckt. Dann Hip Hop wiedergefunden; auch Metal und klassische Musik habe ich entdeckt«. Ah, schon besser. Und diesen Stilmix setzt der Produzent dann zusammen und erschafft diesen speziellen und intensiven Sound, frage ich mich – und ihn. Nein, auch das passt ihm nicht: »Ich lege mich nicht fest etwas Intensives zu schaffen. Und wenn ich in meinem Studio sitzen würde, um Emotionen zu designen, würde da nicht länger ein Mysterium oder irgendeine Wahrheit sein; es würde keinen Sinn machen, überhaupt Musik zu machen.«
Das leuchtet mir ein. Lorns Musik entspringt weder zwangsweise Emotionen, die er benennen kann, noch hat sie eine bestimmte Wirkungsintension. Sie passiert einfach. Was der Hörer mit der Musik macht, was er beim Hören fühlt, darauf will Lorn kein Einfluss nehmen. Ich brauche mich also nicht mehr niederzuknien, um den Staub zu fragen, was das ist, was ich da höre. Ohnehin hat der Album-Titel eine andere Bedeutung, erklärt der Produzent: »Der Albumtitel stammt von einer Novelle von John Fante. Schon der Titel alleine hat mich inspiriert. Am Ende des Buches nimmt der Protagonist, ein Schriftsteller, sein kürzlich veröffentlichtes Buch und schmeißt es in die Wüste. Und das ist tatsächlich das Einzige, was ich tun kann: Alles in meine Musik zu stecken und es dann einfach rausschmeißen.« Wer diese schließlich anhört, kann Lorn nicht mehr beeinflussen. Was derjenige dabei empfindet auch nicht. Aber frage Lorn bloß nicht, warum Du diese Empfindung hattest. Denn was das ist, das weiß er nicht. Auch der Staub wird es nicht wissen. Die Antwort kann sich der Hörer nur selbst geben.