Lil B – Live am 20.7. im Cassiopeia in Berlin

21.07.2011
Foto:Jan Wehn
Das war kein Konzert, das war eine Erfahrung. Das war keine schnöde Live-Performance, nein, das war ein Happening. Lil B kam nach Berlin und verzauberte eine kleine Ansammlung von Menschen.

Was war denn da verdammt noch mal gestern Abend im Cassiopeia los? Höchstens 70 Zuschauer, dafür aber dicht gedrängt vor der Bühne, mit dem seligsten Grinsen im Gesicht gesegnet. Einige formten Zeige- und Mittelfinger zum Peace-Zeichen. Einer führte – seine Ellenbogen schüttelnd und mit dem Handgelenk Rührbewegungen ausführend – einen Kochtanz auf. Andere skandierten minutiös »Swag«-Sprechchöre und nutzten jede Beat-freie Minute um den Mann, der da vorne grenzdebil am DJ Pult lehnte und an seinen güldenen Grills vorbei die einleuchtendsten Lebensweisheiten formulierte, zu danken: »Thank you, Based God!« Und dazu hatte man allen Grund. Lil B in Berlin – das war kein Konzert, das war eine Erfahrung. Das war keine schnöde Live-Performance, sondern ein Happening.

Wer’s hat, der hat’s
Um das Phänomen Lil B zu verstehen, muss man allerdings ein ganzes Stück in der Zeit zurückgehen. Genaugenommen bis ins Jahr 2006. Lil B, gerade zarte 16 Jahre alt, war Teil der Hyphy-Hypmen um The Pack. Die Bay-Area-Burschen lieferten mit Vans rückblickend tatsächlich eines der zentralen Stücke des kurz darauf aufbrandenden Hipster-Rap-Phänomens ab – eine hypnotische Bassline, elektroide Vocalsamples und ein paar zugedröhnte Grünspäne, die über ihr liebstes Schuhwerk fachsimpelten. Solche Songs gehen, leicht abgewandelt, locker von der Hand; und nach The Pack saß Lil B plötzlich auf über 1500 dieser Art. Wie im Wahn generierte er MySpace-Pages (155 an der Zahl!) und lud alle Stücke hoch – wohlgemerkt zu einer Zeit, in der Social Media vielen Künstlern noch ein Fremdwort war und man sich auf den zusammengekoksten Marketingplan einer überbezahlten Agentur verließ. Sein neues Album I’m Gay (I’m Happy) hat er im Internet verschenkt. Einfach so.

Nach der Show setzt Lil B sich an den Bühnenrand und gibt das Mikrofon herum. Wer noch etwas sagen möchte, kann das tun.

Lil B hat geackert. Wie ein Wahnsinniger. Und deshalb ist es nur fair, dass ihm seit dem letzten Jahr dieser unglaubliche Respekt wiederfährt. Und das, obwohl selbst vom neutralsten Standpunkt aus gesagt werden muss, dass viele seiner Songs tatsächlich nur aus Krach bestehen, neben dem Takt gerappt sind und man den Sinn vergebens sucht. Interessant ist, dass Lil B eigentlich ein wirklich guter Rapper ist – aber hier jetzt noch das Fass der Persiflage auf verwässerte Popkultur aufzumachen, würde den Rahmen sprengen. Bei Lil B kann es schon mal vorkommen, dass er auf dem einen Song Justin Bieber, auf dem nächsten Charlie Sheen und dann schlussendlich auch noch Miley Cyrus ist. Ein Post-Lil Wayne’scher Weirdo-Rapper ohne Ängste, auch nur irgendetwas falsch zu machen. In der Based World ist alles möglich. Findet nicht nur er, sondern seine Fans auch – denn des Based Gods‘ Affinität zu Twitter, Facebook und Tumblr-Blogs hat mit der Zeit Fantum absurden Ausmaßes, inklusive wirrer Memes, Slogans und Codes, generiert.

Die große Umarmung
Und von der spürte man am Mittwochabend so einiges. Das okaye Brostepgedudel des DJs wird urplötzlich von M83s Can’t Stop abgelöst. Alles ist dunkel und Lil B bahnt sich sachte seinen Weg durch das Publikum auf die Bühne. Er legt den Gästen die Hand auf die Schulter, drückt sie behutsam bei Seite, nickt und lächelt ihnen zu. Es kann losgehen. Jetzt aufzuzählen, welche Songs der Based God an diesem Abend performt, würde keinen Sinn machen. Justin Bieber war dabei, Ellen Degeneres auch. Aber schlussendlich ist das auch egal. Viel wichtiger ist, was für eine unbeschreibliche Stimmung im Cassiopeia herrschte. Von Spoken Word bis hin zu Stay Positive-Parolen – es ist das Zeremoniell eines Lebensbejahers, Selfmademan und DIY-Helden, welcher diesem Abend alle mit seiner Aura und seinem Charisma ansteckt. All das gipfelt in einer knapp zehnminütigen Predigt, welche mitreißender, ehrlicher und ansteckender kaum sein konnte und in deren Rahmen der Based God dem Publikum sogar erlaubt, mit seiner Bitch zu schlafen – eine Ehre für jeden Based God-Jünger. Hingeschrieben klingt das ziemlich dämlich – aber wer da war, weiß, wovon hier die Rede ist. Nach der Show setzt Lil B sich an den Bühnenrand und gibt das Mikrofon herum. Wer noch etwas sagen möchte, kann das tun.

Donnerstagmorgen, Mordskater. Aber man grinst immer noch wie ein Honigkuchenpferd. Schnell das Smartphone anschmeißen, um zu sehen, was der Based God so über sein erstes Deutschlandkonzert in Berlin zu sagen hat. Okay, wir kannten die Texte. Alles klar. Gut, ein paar hübsche Frauen waren auch da. In Ordnung. Aber dann greift der Based God kurz bevor er in den Flieger nach Norwegen steigt nochmal zum Mobiltelefon und twittert diese wundervolle Sentenz: »It’s beautiful looking at all the different animals in Europe and insects. I seen some different birds and some very unique bugs. Eww.«